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Soziale Plattformen im Internet bieten Jugendlichen ganz neue Ausdrucksmo¨glichkeiten. Selbstinszenierung dominiert, ihre Rezeption ist stark vom Bild abhängig: Wie nimmt sich die Darstellungspraxis bei jungen Frauen und Männern aus?

Foto: APA/dpa/Armin Weigel

Der Band liefert die erste systematische Analyse von Jugendkulturen im Web 2.0 und gibt Einblicke in geschlechts(un)spezifische Bildwelten.

Birgit Richard, Jan Gru¨nwald, Marcus Recht, Nina Metz
Flickernde Jugend - rauschende Bilder
Netzkulturen im Web 2.0

2010, kart., 290 Seiten
ISBN 978-3-593-39305-6

Foto: Buchcover Campus Verlag

Haben Sie in letzter Zeit Videos oder Fotos von sich gemacht und ins Internet gestellt? Nein? Dann sind Sie alt! Für Jugendliche nämlich ist die eigene Zurschaustellung Alltag und zum Zweck der Selbstinszenierung die Hauptbeschäftigung im Web 2.0. Gelesen und geschrieben wird nicht annähernd so häufig wie das eigene Leben und Ich bebildert. "Egoshots/-clips" nennt man diese auf die Aufnahme der eigenen Person konzentrierten narzisstisch motivierten Bilder/Videos, von denen es auf Onlinekommunikationsplattformen wie YouTube, Flickr, Facebook, MySpace oder studiVZ nur so wimmelt.

Im Gegensatz zu älteren "Medien-Aborigines" beherrschen die Jungen ihr Verhalten vor einer Kamera quasi professionell: Sie orientieren sich an Medienmatrizen, die Stars und Promis liefern und trainieren diese Posen regelrecht. Die jungen OnlinerInnen eint dabei oftmals ein bedenkenloser Umgang mit ihrer Privatsphäre: Wo Erwachsene oft zu Recht Datenexhibitionismus orten, sehen sie nur sich, neu entworfen, selbst in Szene gesetzt, in zeitgeistiger Verbindung zu den im Netz gleichermaßen aktiven peers und deren Identitätsspiegelungen. Die Möglichkeit einer gelungenen Präsentation s/einer Selbst über bewegte und stille Bilder überwiegt die Risken möglichen Datenmissbrauchs und Cyberbullyings.

Dass diese Bilddominanz ein spannendenes Forschungsgebiet ist, beweisen deutsche WissenschaftlerInnen in ihrem frischen Druckwerk "Flickernde Jugend - Rauschende Bilder". Birgit Richard, Professorin für Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik der Goethe Universität Frankfurt, hat sich mit ihrem Team Jan Grünwald, Marcus Recht und Nina Metz der Bilderflut im Web 2.0 ausgesetzt und im Zuge dessen ausführlich die geschlechtsspezifischen Muster der Selbstinszenierungspraxen von Jugendlichen wie Adoleszenten analysiert.

Sexy, aber nur bei Mädchen

So ist ein Egoshot nicht gleich Egoshot: Während Mädchen vor der Kamera "posen", machen Jungs "Gesten". "Posing" wird beim Mann als "unnatürlich" aufgefasst, weil er es durch die "'patriarchale Dividende' nicht 'nötig' hatte, sich aufreizend mit seinen körperlichen Qualitäten zu präsentieren", stellen die ForscherInnen fest. "Posen" wird entlang der traditionellen Geschlechtersollbruchstellen und symbolischer Ordnung als Nachmachen verstanden, "Gesten" als selbstständig Machen. So wird "Posen" bei weiblichen Nutzern als selbstverständlich akzeptiert.

"Junge Frauen sind durch ihre mediale Sozialisation in ihren Selbstdarstellungsschablonen auf körperliche Sexiness-Posen festgelegt." Es nimmt also nicht Wunder, dass weibliche Körperdarstellungen in sexualisierter Form den elektronischen Raum vermehrt einnehmen. Die Userinnen stellen diese Bilder selbst und freiwillig ins Netz, und bei den wenigsten wird mit dem normativen Rahmen der heterosexuellen Matrix gebrochen. Die ForscherInnen teilen die weiblichen Bilder drei Typen zu: der erotischen Darstellung, bei welcher der Grat zwischen Sexiness und kommerziellem Anpreisen des Selbst äußerst schmal verläuft, der Inszenierung von "Hässlichkeit" und der künstlerisch-motivierten.

Widerständige Weiblichkeitsbilder

Aber nicht nur bei geschlechterkonformen Bildern werden die ForscherInnen häufig bei jungen Frauen fündig, sondern auch bei "neuartigen", widerständigen Körper- und Sexualitätsbildern. Gerade weil "Männer handeln" und "Frauen erscheinen" stehen letzteren mehr Möglichkeiten der Unterwanderung der Stereotypen zur Verfügung, die sie auch nutzen. "Perfoming Gender" gelingt ihnen vor allem über die "Kleinstabweichungen, Modulationen und Mechanismen der Wiederholung und so in der Infragestellung von Sehgewohnheiten", schreibt das Team um Richard.

Ein äußerst beliebtes Motiv dafür ist die Frau mit Bart, die in verschiedenen Variationen auf Netzbildern auftaucht. Sie stellt nicht unbedingt einen Bruch mit weiblicher Performanz dar, wenn der Rest sorgfältig typisch konstruiert - geöffnete Lippen, große Augen, gezupfte Brauen - erscheint. Auch zu humoristischen Zwecken kleben oder malen sich Mädchen Bärte ins Gesicht. Die Aneignung anderer männlich konnotierter Muster, der Verzicht, sexy oder niedlich zu wirken, hingegen erschafft queere Bilder und macht die bärtige Frau zum gender bender.

Den gegenteiligen Weg beschreiten junge Frauen, die ihre Weiblichkeit sexuell-offensiv überzeichnen und damit neu lesbar machen wollen, wobei die Frankfurter WissenschaftlerInnen festhalten, dass auch hier der Versuch der Widerständigkeit bloß eine weitere Facette innerhalb eines gemeinhin sexualisierten Frauenbildes ergibt. Bilder von ironiefreien aggressiven, unheimlichen Frauen hingegen - die sich sich vor allem in der Metal- und Punkszene finden - bewerkstelligen den Bruch mit Weiblichkeitsstereotypen, weil sie auf sexuelle oder pornografische Inszenierung verzichtet. Aber auch eine weibliche Zartheit, die in einer überaus passiven, todesähnlichen Haltung kulminiert, erkennen die ForscherInnen als abweichend.

A Room of their own

Was die Aufnahmen jugendlicher Selbstinszenierungen über die Geschlechter hinweg verbindet, ist ihre "asoziale" Selbstreferenz: Sie sind ein Lob der Oberfläche ohne verborgene Wahrheit und Sinn dahinter, schreiben die AutorInnen in Bezug auf Flusser. Nicht das Einzelbild steht im Vordergrund, sondern durch die massenhafte Erzeugung das Einstellen in einen Verbund, der sie zusammenhält. Sie zeigen viel, aber sagen nichts. Und das ist nicht pessimistisch oder abwertend zu verstehen: Weil die Erwachsenen "HerrscherInnen" über Wort und Sprache sind, haben die Jugendlichen sich in den Bildern eine Nische erobert, die ihr "sinnliches Austoben" geradezu herausfordert  - und wohin ihnen die Erwachsenen mit ihrem visuellen Wissensdefizit nicht so schnell folgen können. (Birgit Tombor/dieStandard.at, 29.11.2010)