Im Stichwort diskutierten (von links): Christine Klapeer, Anneliese Erdemgil-Brandstätter, Hanna Hacker, Sushila Mesquita und Birge Krondorfer. 

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Judith Butler: "Gender Trouble", Verlag: Taylor & Francis, Mai 2006, 272 Seiten, ISBN: 978-0415389556

Foto: Cover Gender Trouble, Verlag: Taylor & Francis

Keine, die sich heute mich Gender Studies oder auch mit praktischen feministischen Fragen beschäftigt, kommt um das Buch herum. Judith Butlers "Gender Trouble" erschien vor zwanzig Jahren und führte nicht nur innerhalb von Theoriekreisen zu hitzigen Debatten. Richtig ruhig ist es um die Theorien der US-Philosophin noch immer nicht geworden, und so verschaffte sich der Text einen prominenten Platz im Kanon der Gendertheorie, der Queertheorie und im feministischen Diskurs im Allgemeinen.

Die von Stichwort (Archiv der Frauen & Lesbenbewegung) organisierte Veranstaltung "Smash Patriarchy? Feministischer Aktivismus nach zwanzig Jahren Gender Trouble" am 30. November nahm das 20-Jahr-Jubiläum zum Anlass, vier Feministinnen samt Publikum über feministische Schlüsselerlebnisse, Konsequenzen aus "Gender Trouble" und Widersprüche im Feminismus diskutieren zu lassen. Das Gespräch mit den Podiumsdiskutantinnen Anneliese Erdemgil-Brandstätter (Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle "Kassandra"), Birge Krondorfer (Philosophin und Mitgründerin der Frauenhetz), Sushila Mesquita (Philosophin und Queer-Theoretikerin) und Christine Klapeer (Politikwissenschaftlerin) wurde von Hanna Hacker (Soziologin und Historikerin) moderiert.

Kritik an Ansätzen der zweiten Frauenbewegung

Sexualität, Separatismus oder Identitätspolitik waren wichtige Aspekte, die mit "Gender Trouble" - wenn auch nicht zum ersten Mal, aber unter großer Aufmerksamkeit - aufs feministische Tapet gebracht wurden. Anhand dieser Themen wurde zunehmend Kritik an den Ansätzen des klassischen zweite-Welle-Feminismus laut, fasste Hacker die Entwicklungen zusammen. Auch die weiße Hegemonie in den Frauenbewegungen wurde in "Gender Trouble" kritisiert.

"Frau-sein" bedeutet noch keine Gemeinsamkeit

Vor allem die Frage der Identitätspolitik entpuppte sich in der Diskussion als ein noch immer heißes Eisen, ein Thema, beim dem sich auch das Publikum stark einbrachte. Während etwa Birge Krondorfer nach wie vor nicht nachvollziehen kann, was an der Hinterfragung der Kategorie "Frau" so bedeutsam gewesen sein soll, beschreibt Sushila Mesquita wie wichtig es für sie war, dass die Bezugnahme auf sich selbst als "Frau" problematisiert wurde - und zwar in einem positiven Sinn. Auch aus dem Publikum hieß es, dass es doch gut sei, "sich nicht auf diese eine Identität beschränken zu müssen." Zudem bedeute "Frau-sein" bei weitem noch keinerlei Gemeinsamkeit. So ist man eben nicht nur "Frau", sondern kommt auch aus einer bestimmten Klasse, was "mindestens ein so großer Teil meiner Identität ist".

Dennoch könnten wir nicht selbstbestimmt darüber entscheiden, mit welchen Identitäten wir uns in der Welt bewegen, lautete ein Einwand, und: Die vielen Fremdbestimmungen scheren sich auch wenig um die Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre. Klar, "Identität ist kein Wunschkonzert", da gäbe es sehr vieles, was eindeutig nicht zur Wahl steht, lautete die Antwort aus dem Publikum.

Dass "Gender Trouble" aber vor allem für die Generation der Dreißigjährigen wichtig war, zeigte sich in der Runde schnell. Zwar nicht nach dem ersten oder zweiten Anlauf, aber spätestens nach dem dritten fand Sushila Mesquita in dem Buch "Erklärungen für Dinge, die ich auch an mir selber wahrnehmen konnte." Auch die Politikwissenschaftlerin Christine Klapeer war anfangs begeistert, sieht mittlerweile aber einen undifferenzierten und verkürzten Umgang mit den Thesen des Buches, vor allem mit dem Begriff "Konstruktion". Bei den Erzählungen über feministische Schlüsselerlebnisse von Birge Krondorfer und Anneliese Erdemgil-Brandstätter standen vor allem politische Aktionen mit anderen Frauen im Vordergrund, wie die Gründung der ersten Frauenuni 1984 oder die Besetzung des Frauenministeriums im Dezember 1999, die "Aktion Vanillekipferl", erinnert sich Erdemgil-Brandstätter.

Wo ist der "Glaube an die Straße"?

Ob "die Straße" noch immer die beste politische Strategie ist - "Gender Trouble" hin oder her - war eine weitere wichtige Frage, die die Podiumsdiskutantinnen ebenso wie das Publikum bewegte. Denn obwohl Judith Butler theoretisch zwar sehr einflussreich war, über die Handlungsanleitungen für politische Agitation war frau sich in der Diskussion nicht einig. So würde Butlers Rede von "Allianzen" schwammig bleiben, anderseits gab es aber auch die Position, dass "Gender Trouble" verheißen würde, dass nicht alles so bleiben muss, wie es ist, denn: "Alles was konstruiert ist, kann auch dekonstruiert werden - da war plötzlich eine Utopie da."

Aber gerade diese Utopie fehle heute vielen, ebenso der "Glaube an die Straße" als Protestform und als Metapher für Öffentlichkeit, hieß es aus dem Publikum. Stattdessen werde sehr viel Augenmerk auf die Differenzen zwischen den Frauen gelegt und gemeinsame politische Utopien spielen keine große Rolle. Für Aktionen wie die Organisation der Jubiläumsfrauendemonstration am 19. März 2011 wären Utopien aber unverzichtbar.

Auch wenn sich bei der Stichwort-Debatte viele von "Gender Trouble" als Schlüsseltext distanzierten - die darin vorkommende Kritik sei schon viel früher formuliert, die Theorien seien größtenteils schon vor Butler aufgestellt worden -, zeigte sich doch das ungebrochene Potential des Buches: Feministische Grundsatzdebatten am Leben zu erhalten. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 2.12.2010)