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Soll laut Sarkozy gefälligst gefällig sein: die in Berlin lebende Marie N'Diaye 2009 in Paris.

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Marie N'Diaye, "Drei starke Frauen" . Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. € 23,60 / 342 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2010.

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Ein Dämon habe sich auf ihren Bauch gesetzt, wiederholt Norah und meint die Macht ihres Vaters über die Familie. Der einst so selbstbewusste, elegante Senegalese, "ein unerbittlicher, fürchterlicher Mann", ruft gewohnt herrisch und ohne nähere Angaben seine Tochter, die sich in Paris zur Rechtsanwältin hochgearbeitet hat, dringend nach Dakar. Dort findet sie ihn müde, ungustiös, alt und muss langsam erfahren, sie solle ihren Bruder verteidigen - er hat den Mord an der Stiefmutter gestanden. Die Reise in den Vater-Kontinent und in die Vergangenheit wird zur Gefahr für Norahs eigenes Familienleben, für ihre Erinnerungen und ihren Verstand.

Diese Geschichte von Abwendung und Zuwendung bildet den ersten der drei subtil verknüpften Teile in dem Roman "Drei starke Frauen" von Marie N'Diaye, einer Großen der französischen Literatur. Wie Norah verfügen Fanta und Khady Demba auch in mieser Lage über eine besondere innere Kraft und Menschlichkeit. Entsprechend sind sie aus tiefer Innensicht mit ihren Regungen nahegebracht, ohne dass in der Sie-Erzählung die Betrachtung von ihrem Ich begrenzt wäre. Nur das Mittelstück kommt aus dem Indirekten der Perspektive eines Ehemanns.

Eine Stimmung des "Dazwischen"

Während Marie N'Diaye in ihrem vorherigen Werk, dem Roman "Mein Herz in der Enge" die Figuren fast unmerklich, jedoch geradlinig unausweichlich ins Katastrophale führt, erschließen sich in "Drei starke Frauen" die Zusammenhänge erst mit der Zeit, tauchen die entscheidenden Episoden allmählich aus Abgründen des Gedächtnisses auf. Der genaue und feine - in der Übersetzung nicht ganz getroffene - Duktus baut eine Stimmung des "Dazwischen" auf. Es ist eben jene dieser Frauen, diskret verstärkt mit fantastischen Elementen.

Vor dem Haus in Dakar berührt Norah ein Flammenbaum mystisch, "der bittersüße Geruch nach faulenden Blüten, nach aufgeblühten, gleichgültig oder erbittert zertretenen Blüten" haftet am Vater. Schritt für Tritt in diesem nun vernachlässigten Haus, in der Stadt und bei den Besuchen im Gefängnis erfährt Norah die Tragödie der Familie und das Geheimnis des patriarchalischen Dämons, des Vaters, der im Baum nistet. Mit seinen langen gelblichen Zehennägeln wirkt er wie ein Unglücksvogel, und die "Kälte eines übermäßig dichten, unnormalen Schattens" huscht über die Terrasse.

Metaphorische Verdichtung

Wie andere Merkwürdigkeiten (plötzlich sieht Norah in Dakar ihren Lebensgefährten, dessen und ihre eigene Tochter in trauter Dreisamkeit) klingt dies - es ist N'Diayes Kunst - unspektakulär, erweist sich aber als weitreichend und zeugt von metaphorischer Verdichtung, die dazu beiträgt, die Romanteile zusammenzuhalten: Im zweiten spitzt ein Bussard das Geschehen zu; im dritten tänzelt ein Führer ins Unglück, so "wie die schwarzen Raben unweit von ihnen herumhüpften, schwarz mit einem breiten weißen Band um den Hals - vielleicht, vielleicht war er ein Bruder von ihnen, der sich listig in einen Menschen verwandelt hatte, solange es brauchte, um Khady fortzubringen."

Khady Demba, die im ersten Teil Kindermädchen für Norahs kleine Stiefschwestern ist, wird von der Familie ihres plötzlich verstorbenen Manns weggeschickt. Man könne sie nicht durchfüttern, sie müsse nach Europa zur Kusine Fanta, die dort prächtig lebe, und Geld schicken. So macht sie sich in dieser erschütternden Geschichte wie Abertausende auf einen Weg, der ins grässliche Elend mündet und unter einem Zaun endet, über dem ein Vogel mit langen, grauen Flügeln ruhig kreist. "Das bin ich, Khady Demba, dachte sie" , die sogar in der größten Misere ihr Selbst nie aufgibt.

Kontrapunkte am Ende

Die Kusine Fanta lebt im südwestlichen Frankreich nicht so prächtig. In Dakar war sie Lehrerin am Gymnasium, mit ihrem weißen Mann Rudy ging sie nach Europa. Der Mittelteil des Romans ist aus seiner, Rudys, Sicht erzählt, manisch als Gedankenmühle. Er umkreist seine Schuld, Fanta ins Unglück gebracht zu haben, wie ein Bussard Rudy umkreist und auf ihn herniederstürzt. Dieser einst fesche Franzose darf nicht mehr unterrichten, die tragischen Ursachen erfährt er sich: Statt Küchen zu verkaufen, zuckelt er mit seinem alten Auto durch einen heißen Tag. Seine Mutter, die lächerliche und zerstörerische Seite des Fantastischen, glaubt an Engel; er glaubt, Fanta gebe sich vor Langeweile auf. Und N'Diaye schafft es, dass im Indirekten ein anderes Bild dieser starken Frau ersteht.

Ans Ende der drei Teile hat Marie N'Diaye jeweils einen kurzen "Kontrapunkt" gesetzt. Ihr selbst widerfuhr ein andersartiger: Für "Drei starke Frauen" erhielt sie 2009 den renommiertesten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt; da sie kritische Worte über das Sarkozy-Regime gefunden hatte, wollte ihr die Entourage des Präsidenten einen Maulkorb verpassen. Der Prix verpflichte, und sie, die noch dazu in Berlin lebe, solle als "Kulturbotschafterin" des Landes gefälligst gefällig sein. So viel zur Freiheit der Kunst und des Wortes im Land von "liberté égalité fraternité". (Klaus Zeyringer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4./5.12.2010)