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Eigentlich war dieses Buch logisch. Aber das etwas sagt sich im Nachhinein natürlich leicht. Trotzdem: Dass Sabine Fellner und Katrin Unterreiner sich dem Los der illegitimen Kinder, der geheimen Liebschaften, der Nebenfrauen und Konkubinen, der Dienstmädchen und Tänzerinnen im Wien des späten 19. Jahrhunderts widmen würden, war vorherzusehen.

Schließlich hatten sich die beiden Historikerinnen ja schon in ihrem letzten gemeinsamen Buch "Morphium, Cannabis und Cocain. Medizin und Rezepte des Kaiserhauses" ausführlich mit der Doppelmoral in der mutmaßlich "guten alten Zeit" auseinandergesetzt: Die Kapitel über die - klassenübergreifende - Verbreitung von Geschlechtskrankheiten im Wien des fin de siécle und die Beschreibung des Elends derer, die in der sozialen Rang- und Hackordnung an letzter Stelle standen - unverheiratete Frauen und ihre Kindern - , verrieten schon da, dass es hier noch viel zu erzählen, geben würde.

Und tatsächlich: In "Frühere Verhältnisse - Geheime Liebschaften in der k. u. k- Monarchie" beschreiben die beiden so anschaulich wie teils erdrückend, wie das, was Arthur Schnitzler im "Reigen" als spielerisches Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel beschrieb, aussah, wenn der Tanz zu Ende war. Fellner und Unterreiner dokumentieren so ein Stück oft verdrängter, meist idealisierter Sozial- und Moralgeschichte.

Der Anblick eines Frauenknöchels...

Denn im Wien des 19. Jahrhunderts kam einerseits jedes zweite Kind unehelich zur Welt - gleichzeitig aber genügte der Anblick eines unbedeckten Frauenknöchels, um einen Skandal auszulösen. Und der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass nicht nur im Kaiserhaus und im Adel Seitensprung und Verhältnis (männliche) Normalität waren: Heerscharen von Tänzerinnen und Schauspielerinnen hatten die Rolle der Geliebten oder oft nicht einmal wirklich verheimlichte Nebenfrauen inne. Das ist bekannt. Doch die Autorinnen beschreiben auch, was man nicht weiß. Etwa dass es der Geheimpolizei der Habsburger nicht immer leicht fiel, für Liebesdienste ausgestellte Wechsel und Schuldscheine des Hofes dezent zurück zu kaufen.

Was das Buch darüber hinaus von einer Zusammenstellung historischer Liebschaften mit (teils) bekannten Namen abhebt, ist der Blick ans untere Ende der Gesellschaft: Dem Los jener Dienstmädchen, die in bürgerlichen Häusern wie selbstverständlich den männlichen Angehörigen zuwillen sein mussten, wird ebenso ein eigenes, ausführliches Kapitel gewidmet, wie der Perspektive, wenn dieser "Dienst" Konsequenzen hatte.

Anonymes Geburtshaus

Erschreckend und aus heutiger Sicht geradezu bizarr muten darüber die Beschreibungen von Einrichtungen wie dem "Wiener Gebär- und Findelhaus" an: Ein anonymes Geburtshaus, in dem Frauen mit Geld komfortabel und diskret im Einzelzimmer nieder kamen. Wer kein Geld hatte, musste aber schwer körperlich arbeiten - und sich verpflichten, auf Jahre hinweg Ammendienste zu leisten. Auch wenn dieser Blick von zwei Historikerinnen speziell Frauen und weibliche Geschichte im Fokus hat, wollen Fellner und Unterreiner das Buch nicht als "weibliches" Geschichtsbuch verstanden wissen: Es sei, erklären sie, nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, der romantischen Verklärung einer Epoche durch die historische Wahrheit Paroli zu bieten. Und nur, weil geschichstbücherschreibende Männer für soziale Details oft kein Auge haben, sei ihre Blick, noch lange nicht spezifisch weiblich - sondern einfach nur und unvoreingenommen. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Printausgabe 11./12.12.2010)