Leider bin ich erst jetzt auf den "Kommentar der anderen" von Georg Graf (Standard, 29. 12.) aufmerksam geworden, der mich ob seiner fehlenden Rechtskenntnisse schon verwundert. Auf die gültige Rechtslage, dass Abtreibung in Österreich grundsätzlich verboten ist, nur unter bestimmten Prämissen straffrei bleibt - was ja nicht ganz unwesentlich ist, hat schon NR Huainigg an dieser Stelle hingewiesen (Standard, 5. 1. ) Schon hier wäre zu fragen, wieso etwas, was grundsätzlich verboten ist, einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen kann - doch darüber mögen Juristen gar trefflich streiten.

Viel entscheidender ist aber (und das wird in der laufenden Debatte nur von NR Huainigg kurz erwähnt, sonst von allen Zeitungen übersehen, dass der Anlass für den Gesetzesvorschlag die einander diametral widersprechenden OGH Urteile der letzten 10 Jahre ist, was ja auch viele Juristen stört - nur offenbar Herrn Graf, Professor für Privatrecht, nicht.

Zwischen 1999 und 2009 sind vom OGH in dieser sehr komplexen Materie "Kind als Schaden" acht Urteile ergangen, sieben zu Neugeborenen und ein Urteil zur Aufklärungspflicht bei einem HELPP Syndrom. Der 1. Senat hat bei übersehenen Extremitätenmißbildungen (1 Ob 91/99k) auf Ersatz des Mehraufwandes entschieden, der 5. Senat hat bei einem M.Down Kind mit zusätzlichen Mißbildungen (5 Ob 165/05h) und bei einem Kind mit MMC (5 Ob 148/07m) auf Ersatz der gesamten Pflege- und (!) Lebenskosten entschieden, wobei er sehr wortreich zu begründen versucht hat, dass natürlich nicht das Kind der Schaden sein könne, schon gar nicht das behinderte Kind, sondern nur die durch dessen Existenz verursachte Vermögensminderung. Hingegen hat der 6. Senat bei einer sogen. Erbkrankheit (6 Ob 303/02f), bei Drillingen (6 Ob 148/08w) und vor allem bei einer miSSglückten Samenleiterunterbrechung (6 Ob 101/06f) festgestellt, dass kein schadensersatzpflichtiger Schaden vorläge, da ein Kind per se keinen Schaden darstellen könne.

Was gilt nun eigentlich? Diese rechtsgültigen, da in der obersten Instanz ergangenen Urteile schließen einander klar aus. Wenn es aber von einem Zufall abhängt, zu welchem Senat und damit zu welchem Urteil man kommt, ob man also freigesprochen oder zu lebenslangen Zahlungen von rund 3700 € monatlich verurteilt wird, dann werden OGH-Urteile zur Lotterie, was wohl in einem Rechtsstaat nicht sein dürfte. Diesen Missstand haben aber die Juristen resp. der Gesetzgeber zu klären, da auch Ärzte den Anspruch auf Rechtssicherheit erheben.

Das achte Urteil (9 Ob 64/08i) aber stammt vom 9. Senat und schränkt die Aufklärungspflicht ein, die vom 5. Senat noch sehr exzessiv ausgelegt worden ist: Der Kollege hat zwar dreimal seine Patientin aufgefordert zur Risikoambulanz zu gehen, was diese als "mündige" Patientin aber unterlassen hat. Da hätte er eben alle hundert Möglichkeiten aufzählen müssen, um ihr ja Angst einzujagen - bloß haben sich in NÖ bereits Mütter beschwert, dass ihre Geburtshelfer sie über so viele mögliche Komplikationen aufgeklärt haben, dass sie ihre Schwangerschaft nur mehr mit Angst und Schrecken erlebt hätten...

Ich habe zu allen acht Urteilen die Ordnungsnummer dazu geschrieben, um es Herrn Graf leichter zu machen seine Rechtskenntnisse aufzufrischen. Jedenfalls sind die Unterhaltskosten in Österreich bis jetzt nur in 2 von 7 Fällen erfolgreich eingefordert worden, nota bene nicht einmal in letzter Zeit, so dass auch von einem Paradigmawechsel keine Rede sein kann. Im Salzburger Fall kann ich überhaupt kein strafbares Verhalten erkennen, da dem Arzt nicht anzulasten ist, dass seine Patientin seinen Empfehlungen nicht folgt. Im Klagenfurter Fall verstehe ich die Enttäuschung der Eltern voll - dennoch halte ich das Gutachten für extrem streng und überfordernd. Allerdings hätte die Kollegin auf Kontrollen im Spital bestehen sollen - bei der niedergelassenen Kollegin sind diese Kontrollen aber sehr wohl erfolgt. Jedenfalls taugen beide Fälle nicht als Beispiele, wie sich Ärzte vor einer Haftung für Diagnosefehler davonstehlen. (Olaf Arne Jürgenssen, DER STANDARD Printausgabe 14.1.2011)