Roswitha Scholz ist Soziologin und Philosophin. Sie arbeitet als freie Publizistin, unter anderem bei der Theoriezeitschrift EXIT. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, Rassismusforschung, Ideologiekritik und Erkenntnistheorie. Das im Jahr 2000 erschienene Buch "Das Geschlecht des Kapitalismus" wird 2011 mit einem neuen Nachwort neu aufgelegt.

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Roswitha Scholz, bekannt durch ihre Verknüpfung von ökonomischen und feministischen Überlegungen, hielt vergangene Woche in Wien im Rahmen der Veranstaltungs- reihe "Krise und Krisentheorie" den Vortrag "Krise und Geschlecht". Dabei ging sie auf das Defizit feministischer Ansätze, die Krise zu erklären, ein. Die deutsche Publizistin plädiert dafür, Geschlecht wieder als Basis der Gesellschafts- strukturen zu erkennen, da, ihrer Meinung nach, die Queer-Theorie von Judith Butler androzentrischen Theorien entgegengekommen ist. Sie ortet eine Verschärfung des Geschlechterkampfs und ein "Trümmerfrauen-Phänomen".

dieStandard.at: Warum meinen Sie, dass feministische Theorien zur Erklärung der Krisen nichts beitragen können?

Roswitha Scholz: Ich kritisiere bei Diskussionen im Feminismus die hegemonialen theoretischen Basisannahmen. Grundsätzlich glaube ich, dass die Kategorie Geschlecht nicht weiterhin als partikulares Problem gesehen werden soll, sondern als Grundproblem der Gesellschaftsstruktur. Im Zuge der ganzen Gender-Positionen ist das verloren gegangen.

dieStandard.at: Inwiefern?

Scholz: Es hat eine Verharmlosung stattgefunden. Ich glaube, man muss zurück vor die 90er Jahre und die Kategorie Geschlecht in neuer und anderer Weise wieder zu einem zentralen Gesellschaftsproblem machen. Anders ausgedrückt: Man muss Geschlecht wieder als Basis der Gesellschaftsstrukturen erkennen. Im Zuge der Dekonstruktionsdebatten ist das verloren gegangen.

dieStandard.at: Abseits von Butler und Foucault, bietet der Feminismus aber auch andere Theorien.

Scholz: Die Queer-Theorie, und schließlich hat sich diese durchgesetzt, ist für mich keine feministische Theorie. Das Geschlechterproblem als Basisstruktur ist aufgrund dieser Theorie kein Thema mehr. Der Dekonstruktivismus will die Benennung der Geschlechterkategorie ja geradezu hintertreiben, insofern ist die Queer-Theorie als eine Entdramatisierungstheorie der Geschlechterproblematik auch androzentrischen Theorien entgegengekommen. Es wird alles verwirrt und man braucht dann auch nicht mehr hinzuschauen, wie die Gesellschaft durch Geschlecht strukturiert ist.

dieStandard.at: Was schlagen Sie im Gegensatz dazu vor?

Scholz: Mein Beitrag ist die Wertabspaltungskritik. Die Geschlechterstruktur muss kompromisslos benannt werden. Es soll keine Entnennung stattfinden. Man muss die Verhältnisse benennen, so wie sie sind, um überhaupt zu einer Handlungsfähigkeit zu kommen.

dieStandard.at: Können Sie die Wertabspaltungskritik etwas ausführen?

Scholz: Es ist für mich problematisch, einen so komplexen Zusammenhang in drei Sätzen in einem Interview zusammenzufassen. Ich habe dazu ein ganzes Buch geschrieben. Zentral für mich ist die Geschlechter- problematik, modifiziert mit der Marxschen Theorie und der Kritischen Theorie – auch eine Wertkritik – in Bezug zu setzen. Das heißt, eine Totalitätsperspektive wieder in Augenschein zu nehmen. Wenn der Feminismus einen Beitrag zum Begriff der Krise bringen möchte, müsste viel mehr passieren als jetzt.

dieStandard.at: Zum Beispiel?

Scholz: Es müsste tatsächlich etwas Neues kommen. Dieser poststrukturalistische Feminismus oder auch dieses Queer, hat sich im Grunde überlebt. Es müsste da sowohl über den 70er, 80er Jahre Feminismus als auch über die Queer- und Gender-Geschichte hinaus was Neues kommen. Ich versuche da meinen Beitrag zu leisten.

dieStandard.at: Kann es dann, Ihrem Verständnis nach, ein revolutionäres Subjekt in der Krise geben?

Scholz: Mein Problem ist, dass ich den Arbeiter-Marxismus gar nicht drauf habe. Meine Interpretation von Marx ist, dass abstrakte Arbeit, der Wert und die Warenförmigkeit an sich das Problem sind. Das heißt, abstrakte Arbeit wird an und für sich in Frage gestellt, auch als tautologischer Selbstzweck. Meine These ist, dass Hausarbeit und Reproduktions- tätigkeiten nicht nur vom ökonomischen Wert und der abstrakten Arbeit abgespalten sind, sondern deren stumme Voraussetzung darstellen. Diese hier vereinfacht formulierte Grundstruktur prägt die Kultur und die Gesellschaft als Ganzes, wobei die Individuen weder in den Geschlechter- stereotypen aufgehen, noch sich ihnen entziehen können.

In der Postmoderne macht das Geschlechterverhältnis eine Metamorphose durch, wenn Normalarbeit und die traditionelle Kleinfamilie obsolet werden. Aber auch, wenn Frauen heute ganz selbstverständlich erwerbstätig sein sollen – im Bildungsniveau mit den Männern gleichgezogen haben. Im Zuge postmoderner Flexi-Zwänge werden sie allgemein immer noch schlechter bezahlt als Männer. Die vermehrte Einbeziehung von Frauen in die oberen Etagen von Wirtschaft und Politik ist eher ein Trümmerfrauen-Phänomen, das nicht mit Emanzipation verwechselt werden darf. Mit einem revolutionären Subjekt kann ich nichts anfangen. Ich glaube, das ist antiquiert. Es gibt kein auserwähltes Subjekt, das da eine Erlöserfunktion haben könnte. Das muss anders passieren.

dieStandard.at: Und wie?

Scholz: Da ist es erst einmal wichtig, in einer historischen Dimension zu fragen, wie es zur Krise gekommen ist. Erst wenn ich das bestimmt habe, kann ich fragen, was zu tun ist. Zum anderen denke ich auch nicht, dass ich jetzt als weiblicher Christus da stehe, der dann sagt, ich verkünde euch die Wahrheit. Das ist heute ja auch ein ganz prominenter Standpunkt der Linken und im Feminismus, überall Widerständigkeiten zu entdecken, wo im Grunde genommen jede Kleinigkeit als Widerständigkeit ausgegeben wird. Das ist einfach alles Käse. Die Verhältnisse müssen als Ganzes negiert werden. Das nehme ich mir raus. Da bin ich so frei, eine radikale Gesellschaftskritik zu bringen und eine ganz grundsätzliche Theorie zu formulieren.

dieStandard.at: Sie haben in Ihrem Vortrag von einer Verschärfung des Geschlechterkampfs gesprochen. Auf welchen Ebenen sehen Sie diese Verschärfung?

Scholz: Um eine Formulierung von den Bielefelder Feministinnen zu nehmen: Männer werden hausfrauisiert. Die Erwerbsarbeit wird obsolet werden. Erwerbsarbeit war aber etwas, woraus sich die männliche Identität zentral gespeist hat. Es wird nicht so sein, dass Männer jetzt bereitwillig den Kinderwagen schieben, sondern dass das Friktionen hervorruft. Da gibt es Konkurrenzen bei den Arbeitsverhältnissen. Ganz plakativ gesagt: Da hat man eine qualifizierte Frau und die nehmen wir jetzt – so wird das nicht ablaufen. Kampflos wird das nicht abgehen.

dieStandard.at: Also eine Verschärfung auf der Ebene der Arbeit?

Scholz: Das ist nur ein Beispiel. Das mit den Arbeitsplätzen ist eine manifeste Sache. Was ich aber in letzter Zeit bei den Linken beobachte: Da werden Kongresse zum Thema "Arbeit und Krise" oder auch dieser "Kommunismuskongress" mit Slavoj Žižek und Toni Negri abgehalten, wo dann Frauen schon gar nicht mehr vorkommen. Wir hätten jetzt objektive Problemlagen, und die müssten Männer diskutieren. In diese Richtung geht das. Dann gibt es noch die Kongresse, wo dann irgendwelche Gender-Frauen daneben sitzen und den Mund halten. Man müsste das – ganz praktisch gesehen – skandalieren was da abgeht, und nicht mit dieser ganzen Dekonstruktion da sitzen. Da müssen wir wieder Tomaten mit nehmen.

Da fällt mir diese Kampagne von Ursula von der Leyen ein, dass Akademikerinnen wieder Kinder kriegen sollen. Von der Leyen kommt als konservative Feministin daher, als siebenfache Mutter, als Eltern-Pflegerin, als Politikerin, als Ärztin und sonst noch was. Diese Frau kann ja wohl kein Vorbild sein. Diese Frau ist eine Comic-Figur.

dieStandard.at: Solche Tendenzen sind auch in Österreich zu beobachten.

Scholz: Das glaube ich gerne. Es müsste einen Gebärstreik geben. Wir müssten sagen: Diesen Sozialdarwinismus und auch Rassismus machen wir nicht mit. Im Grunde genommen, sollen sich Mittelschichtfrauen nämlich fortpflanzen, kriegen die Doppelbelastung mit aufgebürdet, und Unterschichtenfrauen, Hartz IV Empfängerinnen sollten sich am besten sterilisieren lassen. Das müsste alles skandaliert werden.

dieStandard.at: Ihre Wertabspaltungskritik ist eine sehr akademische Debatte. Wie aber könnte man Solidarität entlang des Geschlechts herstellen, und etwa Arbeiterinnen mit ins Boot holen?

Scholz: Ich sehe das jetzt nicht so, dass ich unmittelbar zu irgendwelchen Arbeiterinnen oder Unterschichtlerinnen mit meinem Theoriegebäude hingehen kann. Der Theoriediskurs ist eine ausdifferenzierte Sphäre. Ich kann nicht einfach politisch aktiv werden in einer Partei oder in einer Bürgerinitiative, sondern die kritische Theorie muss erst einmal eigenständig und rücksichtslos entwickelt werden. Was die aktuelle Skandalierung angeht, so müsste man vielleicht Kampagnen mit einigen bekannten Frauen machen, um zu zeigen, dass diese Art der Politik sozialdarwinistische Implikationen hat.

(Die Fragen stellte Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at 23.1.2011)

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