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Werte ändern sich, die Kälte bleibt.

Foto: AP/MARKUS SCHREIBER

Warschau - Obwohl sich die große Mehrzahl der PolInnen als KatholikInnen bezeichnet, werden in dem Land an der Weichsel immer mehr Kinder in außerehelichen Beziehungen geboren. Galt dies kurz nach der demokratischen Wende vor 20 Jahren für nur sechs Prozent der Kinder, stammt heute jedes fünfte Neugeborene aus so einer Beziehung. Das geht aus Daten des staatlichen Amtes für Statistik GUS hervor.

"Dieser Prozess hat in den 1990er Jahren Tempo aufgenommen", erklärte der Soziologe Maciej Duszczyk gegenüber Radio TOK FM. Viele Menschen seien vermögender geworden und hätten dabei ihre Ansichten über das Leben verändert. Das Stigma, ein "Fräulein mit Kind" zu sein, sei inzwischen auch außerhalb der Großstädte verschwunden, so Duszczyk. "In einer offenen Gesellschaft sind traditionelle Werte, etwa, dass die Frau zu Hause bei den Kindern bleibt, nicht zu bewahren", so Duszczyk.

Vertrauen in die Institution Ehe verloren

Die unmittelbare Ursache für die außerehelichen Kinder ist, dass weniger Ehen geschlossen werden. In den 1980er Jahren waren es jährlich noch mehr als neun pro tausend EinwohnerInnen. In der Zwischenzeit sank dieser Wert auf sechs bis sieben. Gleichzeitig stieg die Zahl der Scheidungen auf heute über 60.000 jährlich. Vor zehn Jahren waren es noch rund 40.000. "Die Geschiedenen heiraten oft nicht noch einmal, viele haben das Vertrauen in die Institution Ehe verloren", so Irena Kotowska, Expertin für demografische Entwicklungen an der Wirtschaftshochschule SGH in Warschau.

Inzwischen haben auch die PolitikerInnen und ihre BeraterInnen die Entwicklung erkannt. "Viele Paare, in denen sich beide im Beruf verwirklichen, sehen keine Notwendigkeit für eine Ehe", erklärte Pawel Kaczmarczyk vom BeraterInnen-Team des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk der Zeitung "Gazeta Wyborcza".

Lebensgemeinschaft soll mehr Rechte erhalten

Die Oppositionspartei "Bündnis der demokratischen Linken" (SLD) erarbeitete einen Gesetzesentwurf, der Lebensgemeinschaften weitgehende Rechte einräumen soll. Die PartnerInnen sollen die Möglichkeit bekommen, sich wie Familienangehörige im Spital zu besuchen, sich gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagen zu lassen und ihren Besitz wie Familienangehörige gegenseitig zu vererben. Solche Lebensgemeinschaften sollen hetero- und homosexuelle Paare anmelden können. Eine Verabschiedung gilt aber als sehr unwahrscheinlich: "Dieses Parlament ist dazu mental nicht bereit", zitierte die Zeitung "Gazeta Wyborcza" einen SLD-Abgeordneten. 2004 war ein entsprechendes Projekt einer SLD-Senatorin allerdings durch den Widerstand in der SLD gar nicht zur Abstimmung vorgelegt worden.

Die rechtsliberale Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) von Ministerpräsident Tusk denkt unterdessen darüber nach, Lebensgemeinschaften das Recht zur Adoption von Kindern zu geben. "Wir werden das in den nächsten Wochen diskutieren", sagte die PO-Abgeordnete Iwona Guzowska. Ein umfassendes Gesetz über Lebensgemeinschaften lehnten PO-Vertreter jedoch schon kurz nach dem Wahlsieg der Partei 2007 ab.

In Österreich trat am 1. Jänner 2010 das Eingetragene Partnerschaft-Gesetz in Kraft, das aber nur für gleichgeschlechtliche Paare gilt. Es betrifft verschiedene Rechtsgebiete, darunter das Erbrecht, das Steuerrecht und das Aufenthaltsrecht. Nach Angaben des Eurostat-Jahrbuches 2010 werden in Österreich derzeit 38,8 Prozent der Kinder in außerehelichen Beziehungen geboren. Der EU-Durchschnitt liegt bei 35,1 Prozent. (APA)