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Gabriele Heinisch-Hosek (links), Viviane Reding.

Foto: APA/ANDREAS PESSENLEHNER und EPA/OLIVIER HOSLET

Es wird Zeit, dass die Frauen den Durchbruch in die Führungsetagen schaffen. Das Potenzial der weiblichen Hälfte unserer Gesellschaft besser zu nutzen ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung. Es ist eine Frage des wirtschaftlichen Erfolgs. Den Frauen ist es ernst damit, Verantwortung zu übernehmen. Leider sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Lediglich eines von zehn Vorstandsmitgliedern in der EU ist eine Frau, und unter den Vorstandsvorsitzenden sind Frauen sogar nur mit 3 % vertreten. Fortschritte waren in den vergangenen Jahren kaum messbar: Der Anteil der weiblichen Vorstandsmitglieder in der EU hat in den vergangenen sieben Jahren jährlich um einen halben Prozentpunkt zugenommen. Bei der Geschwindigkeit brauchen wir weitere 50 Jahre, bis in den Vorständen Ausgewogenheit herrscht!

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein europäischer Grundwert. Schon 1957 wurde der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" im Vertrag von Rom verankert. Einige europäische Länder gehen bei der Öffnung der Vorstandsetagen für Frauen voran: Norwegen hat 2003 als erstes Land eine Frauenquote von 40 % für Unternehmensvorstände eingeführt, Spanien folgte 2007, und Island hat im vergangenen Jahr eine Frauenquote beschlossen. Frankreich, die Wiege der Gleichheit, hat im Jänner 2011 ein Gesetz verabschiedet, wonach bis 2017 40 % der Vorstandsmitglieder in den größten börsennotierten Unternehmen weiblichen Geschlechts sein müssen. Auch in Deutschland überlegt die Politik, ob sie auf gesetzlichem Weg Veränderungen herbeiführen soll. In Österreich sind ähnliche Überlegungen im Gange.

Quotenregelungen sind umstritten. Sie sind kein elegantes, aber ein wirksames Mittel, um der Gleichberechtigung zum Durchbruch zu verhelfen. Die Ergebnisse sind unbestreitbar: In Norwegen ist der Anteil der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder von 25 % im Jahr 2004 auf 42 % im Jahr 2009 angewachsen. In Spanien nahm der Anteil von Frauen in Vorständen von 4 % (2006) auf 10 % (2010) zu. Quoten können dafür sorgen, dass Dämme brechen. Jedoch sollten sie allenfalls für eine Übergangszeit gelten und nur als letztes Mittel eingesetzt werden.

Zuvor aber sollte ein anderer Weg beschritten werden. Als erstes ist die Wirtschaft aufgerufen, Lösungen anzubieten. In den kommenden Monaten werden die Kommission und mehrere Mitgliedstaaten mit den Vorstandschefs der größten börsennotierten Unternehmen zusammenkommen und ihre Vorschläge anhören, wie eine Erhöhung des Frauenanteils in den Führungsgremien mittels einer Selbstverpflichtung verwirklicht werden könnte. Solche freiwilligen Maßnahmen können den gewünschten Erfolg bringen, müssen aber genau kontrolliert werden. Sollten keine glaubwürdigen Fortschritte erzielt werden, liegt der nächste Schritt auf der Hand: Dann wären rechtsverbindliche, durchsetzbare Quoten vonnöten. Jetzt ist die Wirtschaft am Zuge.

Die Notwendigkeit, mehr weibliche Führungskräfte zu gewinnen, tritt deutlicher denn je zu Tage. Angesichts des starken Drucks auf die nationalen Haushalte und der Bemühungen der Wirtschaft um eine Überwindung der Krise ist Europa zur Wiederherstellung seiner weltweiten Wettbewerbsfähigkeit auf sein Humankapital angewiesen. Aus einer Studie von Goldman Sachs geht hervor, dass das Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone bei Überwindung der Benachteiligung von Frauen in der Berufswelt um 9 % zunehmen könnte.

Auch auf der betriebswirtschaftlichen Ebene spricht alles für mehr Frauen in der Verantwortung. Nach einer Untersuchung von McKinsey war der Betriebsgewinn der Unternehmen mit den meisten Frauen in Leitungsgremien um 56 % höher als der jener Unternehmen, die ausschließlich von Männern geleitet wurden. Es geht also um den wirtschaftlichen Erfolg. Vorstände mit einem höheren Frauenanteil erzielen bessere Werte bei Rechnungsprüfung und Risikokontrolle als rein männlich besetzte Vorstände. Frauen treffen 80 % aller Einkaufsentscheidungen - und wir reden nicht über Brot oder Waschmittel. Fragen Sie nur mal im Bekanntenkreis nach, wer in der Familie den letzten PC ausgewählt hat!

Unser Anliegen ist es, dass Europa eine Vorreiterrolle übernimmt, was den Frauenanteil in den Chefetagen der Unternehmen anbelangt. Dafür müssen wir uns ehrgeizige Ziele setzen. Bis 2015 sollten die Führungsebenen in Europa zu mindestens 30 % und bis 2020 zu 40 % aus Frauen bestehen. Im Idealfall gelingt das den Unternehmen auf freiwilliger Grundlage. Aber wir stehen bereit, ab 2012 auch rechtliche Hebel anzusetzen, sollte sich das als absolut notwendig erweisen.

Angesichts der Krise der Staatshaushalte und der Gefahr langsamen Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums können wir es uns nicht leisten, das Potenzial der Hälfte unserer Bevölkerung ungenutzt zu lassen. Einigen Unternehmen ist bereits bewusst, dass die Gleichberechtigung auch wirtschaftlich sinnvoll ist, während andere noch hinterherhinken. An Veränderungen führt kein Weg vorbei. Es ist an der Zeit, dass die Unternehmen sich entscheiden: Kommt der Durchbruch von alleine, oder muss der Gesetzgeber nachhelfen? (Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Gabriele Heinisch-Hosek, Ministerin für Frauen und öffentlichen Dienst, DER STANDARD/Printausgabe 1.3.2011)