"In 20 oder 30 Jahren" sollten Frauenrechte überall selbstverständliche Menschenrechte sein, hofft Maria Schaumayer.

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Standard: Wie werden Sie den Feiertag am Dienstag begehen?

Maria Schaumayer: Mit einem Heringsschmaus, da Faschingdienstag ist - und in der Früh werde ich mich dem Weltfrauentag widmen.

Standard: Welche Bedeutung hat der Internationale Frauentag am 8. März für Sie persönlich?

Schaumayer: Er ist wie viele dieser institutionalisierten Gedenktage immer wieder ein Weckruf, nachzudenken darüber, was erreicht wurde und was noch fehlt.

Standard: Was fehlt noch?

Schaumayer: Es fehlt - bei allem, was erreicht wurde - in zwei Bereichen stark an Berufungen von qualifizierten Frauen: im universitären Bereich und in der Wirtschaft. Auch in diesem Bereich scheint es einen zyklischen Ablauf zu geben, ein Auf und ein Ab. Ich stelle mit Sorge fest, dass wir uns zurzeit im Ab befinden. Über die Gründe bin ich mir im Unklaren. Die mittlere Ebene in den Unternehmen ist inzwischen mit qualifizierten Frauen besetzt, aber es scheint so, als ob es sich manche Frauen nicht antun wollen, die oberste Ebene zu besetzen, die ja zweifellos für alle Männer und Frauen keine wirkliche Komfortstufe ist. Oder aber es gibt noch immer unausgesprochene Vorbehalte.

Standard: Warum verzichten so viele Unternehmen noch immer auf das Potenzial hochqualifizierter Frauen?

Schaumayer: Das macht mir wirklich Sorge, denn die demografische Entwicklung und die doch weithin gelebte partnerschaftliche Gesellschaft würden es sinnvoll und lukrativ erscheinen lassen, auch in den Führungsebenen den Frauenanteil zu stärken. In der Wirtschaft wäre es hilfreich, wenn mehr Frauen in den Aufsichtsräten wären. Immer vorausgesetzt, dass wir, und das betrachte ich als echten Fortschritt, mittlerweile solidarisch wurden als Frauen. Es rennen nicht mehr dutzende Einzelkämpferinnen herum. Man unterstützt einander. Mir fiel altersgemäß in manchen Belangen die Rolle der Eisbrecherin zu, und ich hoffe, dass das auch Ermutigung ausgestrahlt hat.

Standard: Angesichts der massiven Unterrepräsentanz von Frauen in der Wirtschaft wird der Ruf nach Quoten lauter. Schließen Sie sich dem Ruf an?

Schaumayer: Ich war sehr lange gegen die Quote, weil sie immer als Entwertungsmittel verwendet werden konnte. Über diesen Punkt sind wir hinweg. Ich bin selbstbewusst genug, zu sagen, dass eine bessere Quote keineswegs eine schlechtere Qualität bedeutet. Im Gegenteil, in Aufsichtsräte werden aus der Betriebsratskurie gern Frauen entsandt, die fragen unbefangener, couragierter, so dass ich sie auch sachlich als Bereicherung empfinde, nicht nur als Aufputz.

Standard: Sie sind also zur Quotenbefürworterin geworden?

Schaumayer: Ich wäre glücklich, wenn es nicht notwendig wäre, aber ich komme eher zu dem Schluss, es wird sich nicht vermeiden lassen. Aber die Politik muss aufpassen, dass sie nicht selber den Rückfall erleidet in frauen-ärmere Zeiten. Umgekehrt müssen Frauen die Chancen, die sich ihnen bieten, wirklich nützen. Und ganz wichtig: Kinderbetreuung ist, wenn sie nicht professionell und leistungsstark erbracht wird, ein echtes Karrierehindernis, weil jede Mutter, die sich Gedanken machen muss, was mit dem Kind ist, während sie in Verhandlungen sitzt, diese Doppelbelastung, nämlich die innere, auf Dauer nicht ertragen kann.

Standard: Was raten Sie jungen, ambitionierten Frauen?

Schaumayer: Eine gute Ausbildung in Bereichen, die den eigenen Neigungen entsprechen. Damit kommt auch Selbstbewusstsein. Wichtig sind eine grundlegende Bereitschaft, Chancen, die sich bieten, zu ergreifen, und Beharrlichkeit im Verfolgen von Karrierezielen. Und sie sollen von den Möglichkeiten, die solidarische Netzwerke bieten, Gebrauch machen.

Standard: Hatten Sie im Laufe Ihrer Karriere irgendwann das Gefühl, diskriminiert zu werden?

Schaumayer: Ganz am Anfang schon. In der Creditanstalt, meiner ersten beruflichen Karrierestufe, habe ich die Chance gehabt, den Nachwuchsführungskräftelehrgang zu absolvieren. Ich bin daher zum Direktor gegangen und habe gefragt, wann ich mit der Prokura rechnen könne. Der hat ganz entgeistert gesagt: Wenn überhaupt, in zehn Jahren. Da habe ich gesehen, dass keine Förderung da ist. Das war und ist heute noch der springende Punkt, dass ein gewisses Maß an Förderung nötig ist, um das Bewusstsein zu stärken. Das Selbstbewusstsein der Bewerberinnen und das Bewusstsein derer, die die Entscheidung zu treffen haben.

Standard: Was haben Sie sich gedacht, als Heinrich Drimmel, ehemaliger ÖVP-Unterrichtsminster und Wiener Vizebürgermeister, Sie einmal "den einzigen Mann in der ÖVP" genannt hat?

Schaumayer: Ich habe zu ihm gesagt, ich weiß, dass du damit ein großes Lob aussprechen wolltest, aber in Wahrheit hast du uns Frauen beleidigt. Das war jene Männergeneration, die geglaubt hat, der Mann ist das Maß aller Dinge - und das ist er ja nicht. Zu Recht sind Frauenrechte Menschenrechte und nicht Privilegien.

Standard: Sie waren für so ziemlich alle höchsten politischen Ämter der Republik im Gespräch. Bundespräsidentin, Kanzlerin, ÖVP-Chefin. Welche politische Funktion würde Sie heute noch reizen?

Schaumayer: Heute würde mich leider keine mehr reizen, weil ich physisch nicht in der Lage wäre, der Hektik, die notwendig ist, zu entsprechen. Alles, was uns aus unserer Krähwinkelperspektive herausgeführt hat, die Öffnung der Welt, war für mich faszinierend. Dafür stand der Name Reinhard Kamitz am Beginn meiner politischen Interessen. Er, der parteilose Finanzminister der Regierung Julius Raab und spätere Nationalbankpräsident, wollte liberalisieren und Österreich in die Welt einbinden. Ich wollte das auch, daher mein wirklich überzeugter Einsatz für die europäische Integration und die europäische Währungsunion.

Standard: Ist Ihnen das, was jetzt an Politik gemacht wird in Österreich weltoffen und liberal genug?

Schaumayer: Nein. Ich sehe fast eine Parallele zu den Frauen in Führungspositionen. Das verengt sich wieder. Und es scheint sich ein allgemeiner Zug der Kleinlichkeit und des Provinzialismus zu entfalten, der für die Zukunft nicht gut ist.

Standard: Wo kommt dieser Provinzialismus her?

Schaumayer: Jede Entwicklung und jede Öffnung braucht Persönlichkeiten, die mit vollem Einsatz und Verantwortungsbewusstsein ihre Ziele verfolgen und auch kommunizieren. Heute geht ja alles so schnell. Man hat den Gedanken kaum zu Ende gefasst, ist er schon im Internet, und die ersten Blogs sind dagegen. Das macht es nicht leichter. Es ist heute sicher schwieriger, Politik zu machen. Wir sollten unser Leben endlich etwas bremsen, entschleunigen, wie es so schön heißt.

Standard: Heuer jährt sich der Weltfrauentag zum 100. Mal. Sollen wir ihn weitere 100 Jahre feiern - oder soll er überflüssig werden?

Schaumayer: Der Frauentag wurde ja gestartet von Frauen, die für ihr Wahlrecht gekämpft haben - und das ist auch noch nicht auf der ganzen Welt erzielt. Oder denken wir jetzt an die Umbrüche im arabischen Raum. Dort entscheidet sich auch, ob die Frauenrechte als Menschenrechte Akzeptanz finden oder nicht. Also 100 Jahre wird's hoffentlich nicht dauern. Bei einiger Entschlossenheit hoffe ich, dass wir in 20 oder 30 Jahren in allen Bereichen des Lebens - und auch in allen geografischen Bereichen der Welt - gewissermaßen die Aufklärung historisch bewältigt haben werden.

(Die Fragen stellte Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe 4.3.2011)