Die niederösterreichische Richterin Lilian Hofmeister ist seit November 2010 Vorsitzende des Verein Frauen-Rechtsschutz. Seit 1998 ist sie Ersatzrichterin am Verfassungsgerichtshof. Ihre Richterinnen-Laufbahn verbrachte sie hauptsächlich am Handelsgericht Wien. Als Mitglied des Frauenvolksbegehren Personenkomitee 1997 ist sie auf dem Foto zu sehen.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

Bettina Gamperling ist seit 2005 für den Verein Frauen-Rechtsschutz als Geschäftsführerin tätig.

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Viele Frauen können sich in schwierigen Lebenssituationen häufig keine adäquate Rechtsvertretung leisten, außerdem ist gerichtliche Verfahrenshilfe nicht in allen Verfahrensarten rechtlich vorgesehen. Unter anderem aus diesem Grund wurde 1998 der Verein Frauen-Rechtsschutz von Mitarbeiterinnen des Vereins Wiener Frauenhäuser und von Juristinnen um den Verein Österreichischer Juristinnen gegründet. Ziel des Vereins ist es, jene Defizite für Frauen beim Zugang zum Rechtssystem abzubauen, die diese in vielerlei Bereichen erleben. Lilian Hofmeister, die Vorsitzende des Vereins, und Bettina Gamperling, die die Geschäftsführung innehat, schildern im dieStandard.at-Gespräch unter anderem warum der Verein besonders an Musterverfahren interessiert ist. Derzeit plant der Verein eine Evaluierung der bisher durchgeführten Verfahren, um etwa politischen EntscheidungsträgerInnen eine Grundlage für künftige Gesetzgebung vorlegen zu können. Der Verein wird von verschiedenen Ministerien und Frauenabteilungen einiger Bundesländer subventioniert. Einnahmen werden auch aus privaten Spenden und Mitgliedsbeiträgen lukriert. 

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dieStandard.at: Sie sind seit 1976 Richterin, nun in Alterspension und seit November ehrenamtliche Vorsitzende des Verein Frauen-Rechtsschutz. Wie kam es dazu?

Lilian Hofmeister: Ich war fast 40 Jahre in der Justiz, überwiegend am Handelsgericht Wien, tätig. In den 80er Jahren habe ich begonnen, mich für Frauenrechte zu interessieren, weil ich gemerkt habe, dass am Arbeitsplatz einiges nicht so gelaufen ist, wie ich mir das vorgestellt hatte. Mir ist auch aufgefallen, dass rechtssuchende Frauen vor Gericht eigentlich schlechter behandelt wurden als Männer. Das wurde von den KollegInnen zwar immer wieder bestritten, aber es war offensichtlich, dass da Vorurteile im Spiel waren.

dieStandard.at: Können Sie ein Beispiel nennen?

Hofmeister: Ich meine damit beispielsweise, wie die Glaubwürdigkeit einer Zeugin im Verhältnis zu einem Zeugen bewertet wird oder wie ernst man eine Klägerin nimmt. Meiner Erfahrung nach hat man da eher dem Beklagten zugehört als der Klägerin, die einen Anspruch verfolgen wollte. Das ist auch der Bezug zum Verein. Ich bin durch meine Berufserfahrung darauf gekommen, dass sich Frauen innerhalb der Rechtsordnung nicht annähernd gleich gut durchsetzen können wie Männer. Insbesondere aber nicht gleich gut durchsetzen können wie multinationale Konzerne, Versicherungen oder Banken. Für die nämlich ist die Rechtsordnung nahezu maßgeschneidert und wenn denen Vorschriften fehlen, können sie in den Parlamenten lobbyieren - wie wir inzwischen ja alle wissen. Große Unternehmen gehen, wenn sie etwa Zweifel an der Auslegung eines Gesetzes haben, zum Verfassungsgerichtshof, zum Obersten Gerichtshof, nach Luxemburg oder zum Menschenrechtsgerichtshof und lassen das ausjudizieren. Dann haben sie eine gesicherte Basis für ihr Handeln.

Für Frauen gilt das nicht. Frauen haben zwar oft vehemente Ansprüche. Das Problem dabei ist auch, dass ihr Fall meist eine Querschnittsmaterie ist, sodass mehrere juristische Fächer angefragt sind. Für solche Fälle gibt es fast keine juristischen Fachpersonen. Der zweite Punkt ist, dass Frauen Verfahren ökonomisch oft nicht durchhalten.

dieStandard.at: Verstehen Sie sich dann als eine juristische Lobby für Frauen?

Hofmeister: Den Begriff "Lobby" möchte ich dafür nicht verwenden. Lobby ist gerade sehr in Misskredit gekommen und hat jetzt zum Teil einen anderen Begriffsinhalt, sodass auch kriminelle Handlungen hineinspielen. Wir sind parteilich in Bezug auf Frauen. Das heißt, wir sind bereit, rechtssuchenden Frauen ihre Geschichte erst einmal zu glauben. Das sind Vorschusslorbeeren, die wir diesen Frauen geben, weil sie im staatlichen Getriebe immer wieder gleich am Start abgeschmettert werden. Der nächste Schritt ist dann, dass wir schauen, ob wir statutenmäßig und auch in budgetärer Hinsicht fähig sind, diese Fälle zu unterstützen. Da gibt es sehr krasse Fälle, wo eigentlich staatliche Organe tätig werden müssten. In der Praxis ist das aber nicht immer der Fall. Da sind wir parteiisch zugunsten von Frauen.

dieStandard.at: Vertreten Sie auch Transgender-Personen?

Hofmeister: Wir wollen zukünftig auch Tansgender-Personen einbeziehen. Wir prüfen gerade, inwieweit die Statuten das ohnedies schon zulassen, ansonsten werden wir die Statuten dahingehend ändern.

dieStandard.at: Wie viele Klientinnen vertritt der Verein pro Jahr?

Hofmeister: Wir prüfen jährlich rund 100 Verfahren. Einen Teil davon begleiten wir. Dabei muss man aber bedenken, dass ein Verfahren auch mehrere Jahre dauern kann. Manchmal gibt es auch Anschlussverfahren, nicht im juristischen sondern im faktischen Sinn, sodass wir uns um eine Frau in mehreren Phasen ihrer Rechtsdurchsetzung kümmern.

dieStandard.at: Können Sie ein Beispiel nennen?

Hofmeister: Zur ziemlich gleichen Zeit wurden zwei Frauen von ihren Ehemännern schwer bedroht. In einem Fall hat weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft, und im anderen Fall hat nur die Staatsanwaltschaft diese Gewalt falsch eingeschätzt, nämlich bagatellisiert. Polizei und Justiz meinten, dass die Verfolgung des Aggressors im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes ausreichen würde. Tatsächlich aber waren es schwere Drohungen mit Tod und Körperverletzung. Die Täter haben die Drohungen schließlich wahr gemacht und beide Frauen umgebracht. Hierbei wurde nach der CEDAW, der Frauenrechtskonvention, festgestellt, dass Österreich den rechtssuchenden Frauen ungenügend Rechtsschutz gewährt hat. Diese zwei Verfahren haben wir erfolgreich geführt. Die Nachkommen der ermordeten Frauen haben sich dann aber nicht mehr getraut, ein Amtshaftungsverfahren gegen die Republik durchzuziehen. Das wäre aber wichtig gewesen, weil das der juristische Abschluss der tragischen Fälle gewesen wäre.

dieStandard.at: Wo bleibt hier der Rechtsstaat?

Hofmeister: Der Staat ist nicht sehr hilfreich. Ich kenne die Justiz sehr gut. Ich kenne auch die Personalpolitik in der Justiz und ich kenne auch die Auffassungen, die im Justizministerium und in der Richterschaft herrschen. Beispielsweise bei der Österreichischen Vereinigung der RichterInnen ist das Thema Gender - gelinde gesagt - "unterbelichtet", auch wenn es einige Verbesserungen und Veränderungen gab. Jetzt verwendet man allmählich eine Gender-Rhetorik, aber den Geist der Gesetze hat man noch nicht erfasst.

dieStandard.at: Abgesehen von diesem schweren Delikt, mit welchen Anliegen kommen Klientinnen sonst zu Ihnen?

Hofmeister: Wir haben einerseits arbeitsrechtliche Fälle, wo uns die Gleichbehandlungsanwaltschaft auf den Fall aufmerksam macht und die Klientin zu uns schickt - dabei handelt es sich etwa um Diskriminierung am Arbeitsplatz, Mobbing, sexuelle Belästigung, etc. Tatsächlich haben wir schon jetzt sehr viele Fälle im Bereich Pflegschaft, Obsorge, Besuchsrecht, Kindesentführung. Dann haben wir natürlich die gesamte Asyl- und Fremdenrechtsproblematik in allen Variationen aus Sicht der Migrantinnen.

dieStandard.at: Wie steht der Verein zu den geplanten Gesetzesänderungen der Justizministerin in der Obsorge-Debatte?

Hofmeister: Das ist alles wenig ermutigend. Wir haben jetzt schon Obsorgefälle laufen, die zeigen, dass es einen bestimmten Prozentsatz an schweren Ausreißerfällen gibt. Die PolitikerInnen sagen als Entschuldigung dann immer, dass das halt Härtefälle sind und dass sie sich darum nicht kümmern brauchen. Das halte ich für sehr unseriös. Ich halte das für eine Frage der Gleichheit vor dem Gesetz. Rechtsnormen müssen so gestaltet sein, dass es möglichst keine Härtefälle gibt. Als Richterin meine ich, dass der Einzelfall gut gelöst sein muss und dass sich die Qualität der Rechtsordnung daran bemisst, dass sich der einzelne Mensch durchsetzen kann, zu seinem Recht und einer fairen Lösung zu kommen.

dieStandard.at: Wenn eine potentielle Klientin auf sie zukommt, wie funktioniert dann das Prozedere?

Bettina Gamperling: An den Verein ist ein schriftlicher Antrag zu richten. Darin sind auch Fragen den Sachverhalt betreffend zu beantworten. Es wird auch eine Kostenschätzung verlangt. Das heißt, uns vorgelagert sind Rechtsberatungsstellen, an die wir die Leute weitervermitteln, so sie sich privat an uns wenden und nicht schon über eine Institution der Antrag an uns gerichtet wird. Der Antrag wird dann von den Beirätinnen - das ist ein Konsortium bestehend aus 50 Prozent JuristInnen und 50 Prozent aus Personen der sozialarbeiterischen Praxis - die inhaltlich entscheiden, ob der Verein Frauen-Rechtsschutz fördern soll. Die Entscheidung des Beirats geht dann an den Vorstand - auch der Vorstand ist von JuristInnen und SozialarbeiterInnen durchmischt. Dort wird dann über die Höhe der Mittel - nach Maßgabe der Verfügbarkeit - entschieden. Wir sind also kein JuristInnen-Verein, sondern es geht insbesondere um soziale Belange, daher der hohe Anteil an SozialarbeiterInnen. In den meisten Fällen kommen die Frauen durch andere Fraueneinrichtungen zu uns. Sie können sich aber auch telefonisch oder über das Internet per Mail an uns wenden.

dieStandard.at: Der Verein ist in Österreich einzigartig. Gibt es Bestrebungen auch in den Bundesländern Stellen einzurichten?

Gamperling: Unsere Ansprechpersonen sitzen österreichweit in Gewaltschutzzentren, in den Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern. Wir sind auch in den Bundesländern in ständigem Kontakt mit RechtsanwältInnen und SozialarbeiterInnen und sind diesbezüglich sehr stark vernetzt.

dieStandard.at: Sie scheinen außerdem ein besonderes Interesse an Musterverfahren zu haben.

Hofmeister: Ja, aber unsere Auffassung von der Sache ist, dass man die Frauen nicht als "Versuchskaninchen" einsetzen sollte, wenn sie uns ihren Fall zur Verfügung stellen. Das Ziel ist, den Fall gut zu lösen, sodass die Frauen auch wirklich etwas davon haben. Gleichzeitig soll das dann beispielgebend für andere Frauen sein. Wenn ein Fall also zum Obersten Gerichtshof oder zum Verfassungsgerichtshof geht, soll da ein juristischer Mehrwert in eine genderorientierte Richtung heraus kommen. Das ist unser Ziel. Es hängt aber auch immer vom Durchhaltevermögen der Klientinnen ab.

Derzeit planen wir eine Evaluation unserer Verfahren und der Jahresberichte. Dabei sollen die Ergebnisse gut fasslich aufbereitet werden, um auf politische Fragestellungen Antworten zu geben. Das wäre für politische EntscheidungsträgerInnen nützlich als Anregung für künftige Gesetzesprojekte.

dieStandard.at: Müsste das durch die Verankerung von Gender-Mainstreaming nicht ohnehin geschehen?

Hofmeister: Feminismus ist in der Justiz und im öffentlichen Dienst leider ein Schimpfwort. Wenn man als Feministin bezeichnet wird, ist es noch schlechter, als als Emanze bezeichnet zu werden. Der Geist einer egalitären, Gender orientierten Rechtsordnung kann nur dann weiter getragen werden, wenn die Menschen, die diese Rechtsnormen anwenden sollen, ein entsprechendes Bewusstsein haben. Das fehlt aber derzeit.

Gender-Gerechtigkeit heißt natürlich auch Gerechtigkeit für Männer - nicht aber Vorrechte für Männer. Es ist auch kein Ausdruck des Feminismus, wenn ein Mann Antragssteller ist, gerechtfertigte Anliegen hat und dann schlecht behandelt wird. Das ist genauso falsch. Den weiblichen Lebenszusammenhang verstehen die wenigsten - auch nicht die Frauen und auch viele Richterinnen nicht. Richterinnen leben oft ganz anders als andere Frauen und abgehoben im Verhältnis zu Teilen der weiblichen Bevölkerung. Die können oft nicht verstehen, dass manchmal ein Betrag von 200 Euro im Monat für Frauen existenzsichernd ist.

dieStandard.at: Wie sieht es dabei mit der Finanzierung der Verfahren oder der Evaluierung aus?

Gamperling: Der Verein will aber kann die Verfahren nicht in allen Fällen ausfinanzieren. Wir versuchen das natürlich. Aber aufgrund unserer eigenen prekären finanziellen Situation geht das nicht immer. Keines der bisher vom Verein unterstützten Verfahren hätte ohne die Finanzierung durch den Verein Frauen-Rechtsschutz geführt werden können.

Hofmeister: Wir sind Bittstellerinnen bezüglich des Budgets. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich an uns Funktionärinnen die Amtssituation der Klientinnen wiederholt, wenn es um die finanziellen Rahmenbedingungen des Vereins geht. Wir haben zwar große Unterstützung von den verschiedenen Stellen, aber es gibt immer den jährlichen Unsicherheitsfaktor. Die Budgetzusagen sind immer sehr kurzfristig.

dieStandard.at: Frau Hofmeister, Sie sind seit 1998 auch Ersatzrichterin am Verfassungsgerichtshof. Im letzten Jahr haben Sie sich dort als Richterin beworben. Wie kam es dazu, dass die Entscheidung auf jemanden fiel, der bezüglich Erfahrung und Qualifikationen weniger vorweisen kann als Sie?

Hofmeister: Verfassungsrichterin wird man nach einem Ritual, das in der Bundesverfassung vorgesehen ist. Aber natürlich gibt es auch hier Feinheiten im Alltag - zum Beispiel nicht nur welche staatliche Institution die/den RichterIn vorschlagen darf, sondern auch welche politische Partei tatsächlich vorschlägt. Bei der letzten Bewerbung im Herbst war das nicht so. Da hat man mir, aber vermutlich auch den anderen KandidatInnen, bis zuletzt nicht gesagt, ob ein Vorschlag im Nationalrat seitens der SPÖ oder der ÖVP an den Bundespräsidenten geht.

dieStandard.at: Nach dem Prinzip der Abwechslung war aber die SPÖ an der Reihe.

Hofmeister: Ja, dran war die SPÖ. Während des Bewerbungsverfahrens habe ich erkannt, dass man eigentlich gar nicht wollte, dass ich zum Hearing komme, obwohl ich eingeladen worden war. Natürlich bin ich zum Hearing gegangen, weil ich die Bewerbung sehr ernst genommen habe. Das Hearing war auch ein sehr positives Erlebnis - etwa 30 Abgeordnete aller Parlamentsparteien haben zugehört und sich interessiert gezeigt. Letztendlich habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, dass die Reihung schon im Vorhinein fest stand. Als es zur eigentlichen Abstimmung im Parlament kam, gab es einen Schönheitsfehler auf dem Wahlzettel: Ich bin darauf gar nicht erschienen.

dieStandard.at: Das ist schon sehr seltsam und eigentlich eine Wahlfälschung, oder?

Hofmeister: Das sei dahingestellt. Ich war die letzte Bewerberin im Rennen. Eigentlich hätte ich auf den Wahlzettel kommen müssen. Außerdem habe ich zwölf Jahre Erfahrung am Verfassungsgerichtshof und 35 Jahre Erfahrung in der Rechtssprechung. Ich denke, meine Qualifikationen sind in Ordnung. Man muss dieses Prozedere als semi-demokratischen Prozess sehen, wo auch die "gläserne Decke" ins Spiel kommt.

(Die Fragen stellte Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 3.4.2011)