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Sprache ist auch ein Machtmittel und kann etwa zur Durchsetzung geschlechtlicher Normen dienen.

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Hannes Kuch, Steffen K. Herrmann (Hg.): "Philosophien sprachlicher Gewalt: 21 Grundpositionen von Platon bis Butler."  Velbrück Verlag, 440 Seiten, 29,90 Euro.

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Alle haben sie schon mal erfahren. Ein Stich oder Schmerz in der Magengegend, vielleicht wegen einer kleinen Bemerkung, einer beleidigenden Anrede oder weil man schlicht unerwähnt blieb.

Auch im öffentlichen Bereich werden mit den Mitteln der Sprache Anerkennung oder Sichtbarkeit verwehrt. Die bis vor kurzem existierende sogenannte "Don´t tell, don´t ask"-Regelung innerhalb der US-Armee ist ein Beispiel dafür. Diesbezüglich liefern aber auch hiesige Gesetze Stoff, so dürfen Lesben und Schwule, die eine eingetragene PartnerInnenschaft schließen, Doppelnamen nicht mit Bindestrich führen, sondern müssen zwischen den beiden Namen eine Leerstelle setzen. Ein winziges Zeichen, aber ein alles andere als ein kleines Symbol für die unterschiedliche Bewertung von gesetzlichen Verbindungen zwischen Hetero- und Homosexuellen. 

Hate Speech

Homophobie, Sexismus, Mobbing oder Rassismus sind Diskussionsfelder, in denen sprachliche Gewalt eine breitere Beachtung findet, "eine sozialtheoretische Unterfütterung dieser Phänomene hat bislang aber gefehlt", so Steffen K. Herrmann gegenüber dieStandard.at. Er hat gemeinsam mit Hannes Kuch das Buches "Philosophien sprachlicher Gewalt" herausgegeben, mit dem sie genau das nach holen wollen. Das Buch sucht auf der Ebene der Sprachphilosophie nach unterschiedlichen Positionen verschiedenster PhilosophInnen zu den Möglichkeiten und Bedingungen sprachlicher Gewalt.

Die akademischen Debatten wurden zuletzt unter anderem durch die berühmte Gender-Theoretikerin Judith Butler und ihr Buch "Hass spricht. Zur Politik des Performativen" angeregt. Sie beschäftigte sich mit dem sprachlichen Weg, einen Subjektstatus erreichen zu können. Sprache ist ein Medium der Anerkennung, erst durch sie erlangen wir "ein Verständnis davon, wer wir sind", so die Herausgeber in ihrer Einleitung. Dass Sprache Existenz verleiht, wodurch sie schließlich auch Existenz beschädigen kann, erklären sie als Grundannahme, um Konzepte von symbolischer Gewalt begreifen zu können. Die Edition "Philosophien sprachlicher Gewalt" steht somit einer anderen Annahme gegenüber, die sprachliche Gewalt nicht als sprachliches Phänomen fasst, sondern als etwas, das sich immer aus der materiellen, physischen Gewalt speist. Demnach wäre die Verletzung durch Sprache nur möglich, weil sie an physische Gewalterlebnisse erinnere. Die Herausgeber gehen hingegen von einer Eigenlogik der sprachlichen Gewalt aus, die direkt in der Sprache verankert ist und auch eine ganz eigene Form der Gewalt ermöglicht.

Sprache als konstruktive Alternative

Auf diesem Ansatz aufbauend beschäftigen sich die AutorInnen des Sammelbandes mit den verschiedensten Theorien, die sich oftmals alles andere als explizit in ihrer Arbeit mit dem Thema sprachliche Gewalt auseinandergesetzt haben. So ist bei Namen wie Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Jürgen Harbermas, John L. Austin oder Monique Wittig der Konnex zu symbolischer Gewalt durch Sprache eindeutig. Bei anderen PhilosophInnen, die im Buch auftauchen, braucht es aber einen guten Willen, um ihnen Interesse an dieser Materie nachzusagen. Auf die Frage, warum man dennoch nach ihnen graben sollte, meinte Hannes Kuch: "Weil uns das Thema sprachliche Gewalt wichtig ist. Obwohl es in der Philosophie marginalisiert wurde - was daran liegt, dass Sprache dort traditionell als friedliche, konstruktive Alternative zur Gewalt gedacht wird -, lässt sich bei gezielter Relektüre klassischer Texte erkennen, dass das Thema sprachliche Gewalt oft indirekt thematisiert wird." Bei Platon, Hegel oder Hobbes lassen sich wichtige und kreative Ansätze im Nachdenken über die "Beleidigungen" oder die "Verbalinjurie" finden, so Herrmann. 

Was die aktuelleren Beträge und Ansätze über sprachliche Gewalt betrifft, scheinen die US-AmerikanerInnen in der Terminologie dem deutschsprachigen Raum etwas voraus zu haben. Die griffige Bezeichnung "Hate Speech" fasst im Englischen die verletzende, diskriminierende und gewaltsame Rede zusammen. "Soweit der Ausdruck im Deutschen überhaupt übersetzt wird, ist meistens von 'Hassrede' oder 'Hassprechen' die Rede. Ich halte den Ausdruck 'hate speech' wenngleich für griffig, jedoch auch für ein wenig irreführend. Damit wird das Phänomen des verletzenden Sprechens nämlich in ganz bestimmte Bereiche abgeschoben", so Herrmann. "Die Rede von 'Hass' scheint zu implizieren, dass verletzendes Sprechen nur zwischen verfeindeten Gruppierungen zum Einsatz kommt. Wir zielen mit unserem Ansatz dagegen auch auf ganz alltägliche Phänomene. Verletzendes Sprechen kann ein Machtmittel im alltäglichen Arbeitsumfeld sein, zur Durchsetzung geschlechtlicher Normen dienen und gerade zwischen Liebenden kann Sprache manchmal eine extrem verletzende Wirkung entfalten", erklärt Kuch.

Überall und trotzdem belächelt

Einführen, vertiefen oder auch "verschieben", das waren die Ansprüche von Kuch und Herrmann an ihren Sammelband. Als Rekonstruktion, Konstruktion, Dekonstruktion bezeichnen sie es an einer anderen Stelle, was sie mit dem Buch durchaus einlösen. Die hervorragende Einleitung der Herausgeber liefert einen spannendenden Überblick über die Debatten und macht auf die 21 Beiträge neugierig. Dass die Auswahl über die üblichen Verdächtigen, die zu Diskurs- oder Sprachtheorie ihren Beitrag leisteten, hinausgeht, verleiht der Thematik neue Perspektiven und Impulse. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag für mehr (theoretisches) Bewusstsein über die vieldimensionalen Formen von Gewalt, die in ihrer symbolischen Gestalt überall anzutreffen ist und trotzdem immer noch gern belächelt wird. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 24.4.2011)