Ein schwerer Fall von Sozialporno, der mit seinen ProtagonistInnen rumfuhrwerkt wie die OperateurInnen mit den "Patienten": "Ein Leben für die Schönheit" auf ATV.

Foto: Screenshot Ein Leben für die Schönheit/ATV

Wenn Dagmar Millesi im Motorboot am Kaiserwasser am unappetitlichen Proletariat vorbeibraust oder auf der Sonnenseite des Wörthersees mit der Witwe des Kärntner Sonnenkönigs relaxt, wenn Artur Worseg bei einem jovialen After-Work-Lounging seinen erdig-männlichen Single-Charme bei seinen Mitarbeiterinnen versprüht oder im Box-Studio fürs einfache Volk seine starke Bodenhaftung demonstriert, wenn Jörg Knabl glitschiges Bodypainting mit Nacktmodellen zur Hohen Kunst macht oder stilvollendet an seiner Zigarre saugend hoch über den Innenstadtdächern Wiens über sein Leben sinniert: Dann eröffnen sich Einblicke in "Ein Leben für die Schönheit" für die unbehandelte Menschenmasse vor den TV-Geräten.

ATV macht's möglich. Der österreichische Privatsender steht mit seinen Eigenproduktionen den deutschen Kollegen der RTL-Group oder ProSiebenSat.1 Media AG um nichts mehr nach. Ein bisschen stirln in problemüberlasteten Familien ("Teenager werden Mütter"), ein bisschen jugendliches Koma-Saufen "dokumentieren" ("Saturday Night Life"), Männer auf Brautfang im Ausland begleiten ("Das Geschäft mit der Liebe") und nun den zweiten Staffel-Leckerbissen von Reich und Schön auf Österreichisch servieren, der den geneigten ZuseherInnen den "Alltag der (oben genannten) Schönheitschirurgen" vor Augen führt.

Die können nicht anders als diese reizenden Impulse ans Gehirn weiterzuleiten, und dort angekommen, sagt meines: Es tut weh. Und das liegt nicht nur an den Bildern, die sich im Operationssaal abspielen. Es klingelt auch seltsam in den Ohren, wenn in dieser Sendung die Frauen, die sich unters Messer legen, durchgehend als "Patienten" betitelt werden. Dabei: Kein einziger Mann weit und breit, außer die Herrn Doktoren. Die Kamera ist natürlich auch bei der präoperativen Begutachtung der als wandelnden Problemzonen vorstelligen Frauen dabei - merke: bei jeder lässt sich "was" machen. Die Nackte-Haut-Quote ist vorbildlich erfüllt, so, wie es sich für ein solches Format gehört.

Und der Rest ist beredtes Vorführen der HauptdarstellerInnen, deren Selbstinszenierung dank redaktionellen Grobschliffs aus dem Ruder gerät. Wenn "Patienten" schon "an sich arbeiten", bevor sie in seine Praxis kommen, findet Knabl das äußerst lobenswert; bei jenen, die sich nicht bemühen, wäre seine Arbeit wie "Perlen vor die Säue werfen". Auch Worseg zieht über seine "Patienten" her: Die ließen sich aushalten und den Mann noch für die Brust-OP zahlen, bevor sie sich einen Neuen nehmen.

Aber halt: Hier wird ein Bild entworfen, dass eine Seite als ProfilneurotikerInnen zeichnet, die sich auf der Gewinnerseite sehen und sich vergewissern müssen, dass alle anderen das auch so sehen. Und die andere Seite wird als Menschenmaterial präsentiert - denn die Patientinnen sind nur Stuckwerk, das beglotzt, begutachtet und letztlich voyeuristisch vorgeführt wird. "Ein Leben für die Schönheit" ist - auch wenn der Blick nicht, wie viele weitere Formate das vorexerzieren, aufs Prekariat abgestellt ist - ein Sozialporno: Ein Produkt, das zu Be- und Aburteilung anderer verleitet und Vorurteile reproduziert, sodass sich die ZuseherInnen doch irgendwie immer als Überlegene fühlen können.

"Wohlfühl-Fernsehen" dieser Machart ist ein klarer Fall für die Medizin: Da muss einiges rausgeschnitten und vorallem eines eingesetzt werden. Hirn. Als Erste Hilfe gibt's von uns aber gleich eine Zitrone. (bto/dieStandard.at, 26.4.2011)