Júlia Spronz (36) begann vor 15 Jahren während ihres Studiums in Frauenhäusern zu arbeiten. 2003 wurde sie Mitglied von "Habeas Corpus", einer frauenpolitischen Arbeitsgruppe, aus der 2006 die "Patent Association" hervorging.

Foto: Spronz

In Ungarn wurde Mitte April eine neue Verfassung verabschiedet, die nicht nur bei der ungarischen Opposition und Zivilgesellschaft, sondern auch auf internationaler Ebene für Empörung und Besorgnis über die demokratische Entwicklung des Landes geführt hat (siehe derStandard.at/Ungarn). In der neuen Verfassung ist der "Schutz des Lebens eines Fötus von der Empfängnis an" festgeschrieben, eine Formulierung, die sonst in keiner europäischen Verfassung zu finden ist. Frauengruppen befürchten, dass es nach dem Inkrafttreten der Verfassung im Jänner 2012 zu massiven Einschränkungen bei den Abtreibungsgesetzen des Landes kommen wird. Bis dato galt die Gesetzgebung in Ungarn hinsichtlich reproduktiver Rechte als vorbildlich in Europa. So ist etwa der Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal und nicht nur "straffrei", wie z.B. in Österreich.

Immerhin, im Rahmen der breiten Protestbewegung gegen die Verfassung der rechtskonservativen Fidesz-Partei wurden erstmals auch Frauengruppen im Mainstream gehört, wie Júlia Spronz von der "Patent Association" aus Budapest betont. Die kleine, privat finanzierte Organisation bietet Frauen rechtliche, soziale und psychologische Beratung und versteht sich als Lobbygruppe für Frauen- und Homosexuellen-Rechte in Ungarn. Mit ihr sprach dieStandard.at über die Konsequenzen der neuen Verfassung für die reproduktiven Rechte von Frauen und die gesellschaftspolitische Entwicklung im Land.

dieStandard.at: Sie setzen sich seit mehreren Jahren für Frauenrechte in Ungarn ein. Wo orten Sie die Hauptprobleme der neuen Verfassung aus frauenpolitischer Sicht?

Júlia Spronz: Besonders beunruhigt sind wir über den Umstand, dass in der neuen Fassung der 'Schutz des Lebens des Fötus von der Empfängnis an' festgeschrieben wird. Es handelt sich um eine Formulierung, die dem Fötus den Status eines legalen Subjekts nahelegt und damit in direkte Konfrontation mit dem Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Frauen geraten könnte. Diese Feststellung ermöglicht es im Prinzip jedem Staatsbürger, sich an den Obersten Gerichtshof zu wenden mit der Ansicht, dass das Abtreibungsrecht nicht verfassungskonform ist.

In Ungarn gibt es eine starke Anti-Abtreibungs-Bewegung, die sich um die Bündnis-Partei von Fidesz, der Christ-Demokraten (KDNP) formiert. Die rechtsradikale Partei Jobbik hat auf dem parlamentarischen Weg bereits versucht, unser Abtreibungsrecht zu verändern, aber sie kamen damit nicht durch. Von regierungsnahen Politikern hieß es dann, dass die Zeit nicht dafür reif sei. Im Jänner 2012 tritt nun diese neue Verfassung in Kraft und wir fürchten, dass die Zeit dann gekommen sein wird.

dieStandard.at: Gibt es bereits konkrete Anzeichen von Seiten der Regierung, in diese Richtung zu arbeiten?

Spronz: Die Regierung erklärt zwar, dass sie nicht am Abtreibungsrecht rütteln will, aber spätestens, wenn die neue Verfassung in Kraft tritt, wird es am obersten Gerichtshof liegen, zu beurteilen, ob unser Gesetz noch verfassungskonform ist.

Derzeit ist die Lage außerdem so, dass die ungarische Bevölkerung keine Verschärfung des Abtreibungsrechtes wünscht. 72 Prozent sagten bei der letzten repräsentativen Umfrage vom Februar 2011, dass sie gegen eine Änderung beim Abtreibungsgesetz sind. Paradoxerweise haben sie sich in der gleichen Umfrage für den Schutz des Fötus in der Verfassung ausgesprochen.

dieStandard.at: Was hat ihre Organisation unternommen, um den Passus zu verhindern?

Spronz: Frauenpolitische Anliegen bekommen in der ungarischen Öffentlichkeit grundsätzlich nicht viel Aufmerksamkeit. Uns ging es also in erster Linie darum, das Problem sichtbar zu machen.
Dann haben wir natürlich versucht, mit den verantwortlichen PolitikerInnen in Kontakt zu treten, aber sie waren uns gegenüber total abweisend. Ihr Argument lautete, dass der Verfassungseintrag das Ergebnis einer politischen Verhandlung gewesen sei und sie daran nichts mehr ändern können. Sie betonen bis heute, dass es sich dabei 'nur' um einen symbolischen Akt handle, weil sie es als Mangel sehen, dass der Fötus in der Verfassung bisher nicht vertreten war. Wir sollen davon überzeugt werden, dass dieser Passus auf die gesetzliche Lage keinen Einfluss nehmen wird.

Unser ehemaliger Präsident László Sólyom, bis heute eine einflussreiche Stimme in Ungarn, hat in der Öffentlichkeit unsere Befürchtungen bezeichnenderweise 'hysterisch' genannt und als ein Hirngespinst 'dieser verrückten Frauengruppen'.

dieStandard.at: Ursprünglich plante die Regierung ja auch, ein Mehrfach-Wahlrecht für Mütter einzuführen, offiziell um die nachfolgenden Generationen besser zu repräsentieren. Wieso haben sie schlussendlich von dem Vorschlag abgelassen?

Spronz: Bei der Befragung der Bevölkerung zur Verfassung hat sich herausgestellt, dass die Mehrheit den Vorschlag ablehnt. In dieser Befragung waren die Fötus-Rechte übrigens gar kein Thema.

dieStandard.at: Wie hat die ungarische Bevölkerung auf ihre Mobilisierung reagiert?

Spronz: Frauengruppen sind in Ungarn ja für gewöhnlich recht isoliert. Aber mit dieser Kampagne haben wir es erstmals geschafft, im Mainstream wahrgenommen zu werden. Dabei haben wir davon profitiert, Teil einer größeren Bewegung zu sein, die sich gegen die Verfassung ausspricht. Wir hatten z.B. Redebeiträge auf den großen Demonstrationen gegen die Verfassung. Insofern war es ein Erfolg, auch wenn wir den Passus nicht zu Fall bringen konnten.

dieStandard.at: Wie machen sich die AbtreibungsgegnerInnen in Ungarn sonst noch bemerkbar? Gibt es z.B. Probleme vor Abtreibungskliniken?

Spronz: Nein, bei uns wird nicht demonstriert. Wir haben ja auch keine eigenen Abtreibungskliniken, Abbrüche werden in allen Spitälern durchgeführt, was die Frauen nicht so angreifbar macht. Mit unseren Abtreibungsgesetzen waren wir bis jetzt ziemlich gut dran.

dieStandard.at: Die neue Verfassung ist voll von christlichen Werten und Rhetorik. Was müssen Frauen in der Zukunft noch befürchten?

Spronz: Wir wissen noch nichts Genaues. Aber es wurden Gesetze zum Familienschutz angekündigt, die unter dieser politischen Zusammensetzung vor allem die Rechte der Väter betreffen werden. Die neue Verfassung bestimmt das Ideal der Familie als Vater, Mutter und Kind. Sie schreibt die Ehe als die Union von Mann und Frau fest, was homosexuelle Paare grundsätzlich davon ausschließen wird.

dieStandard.at: Welche Aktionen planen Sie in nächster Zeit?

Spronz: Wir bauen derzeit ein landesweites Netzwerk von AktivistInnen, AkademikerInnen, NGOs aber auch staatlichen Organisationen auf, die unsere Forderungen teilen. Im Juni wird es bereits ein Gründungstreffen geben und wir freuen uns, dass uns die WHO bei dieser Unternehmung unterstützen wird. Wir wollen uns so gut es geht vorbereiten, damit wir auf die Vorschläge der Regierung dann nicht nur reagieren müssen. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 5.5.2011)