Istanbul - Nahide Opuz macht keinen Schritt ohne ihren Bodyguard. Selbst zum Geschäft an der Ecke wird die 39-jährige türkische Kurdin von einem staatlich bezahlten Leibwächter begleitet, der sie vor ihrem Ex-Mann schützten muss.

Als 18-Jährige wurde Nahide Opuz 1990 mit ihrem Mann Hüseyin Opuz vermählt. Geschlagen wurde sie vom ersten Tag an. Mehrmals wandte sich Nahide Opuz an die Behörden, mehrmals zog sie unter den Drohungen ihres Mannes ihre Beschwerden wieder zurück.

Immer wieder auf freien Fuß gesetzt

Hüseyin Opuz stach seine Frau nieder, versuchte, sie mit dem Auto zu überfahren - und doch wurde er von der Justiz immer wieder auf freien Fuß gesetzt. Selbst als er vor zehn Jahren die Mutter seiner Frau erschoss, kam er nicht sofort hinter Gitter. Er wurde zwar zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, wegen eines zunächst ausstehenden Urteils der Berufungsinstanz aber erst einmal wieder freigelassen.

Schließlich wandte sich Nahide Opuz an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, dessen Urteilen die Türkei als Europarats-Mitglied unterworfen ist, sprach den türkischen Staat schuldig, beim Schutz der Frau versagt zu haben.

217 ermordeten eigene Ehefrau

Allein im Februar und März wurden laut der von der EU finanzierten Nachrichten-Website Bianet in der Türkei 52 Frauen von Männern ermordet, im gesamten vergangenen Jahr waren es 217. Fast jede dritte dieser Frauen musste nur deshalb sterben, weil sie sich von ihrem gewalttätigen Mann scheiden lassen wollte. In der Türkei, einem Land mit mehr als 70 Millionen Menschen, gibt es nur knapp 50 Frauenhäuser, die diesen Frauen Zuflucht bieten könnten. Dabei steigt die Gewalt sprunghaft an. Zwischen 2002 und 2009 wuchs die Zahl der Morde an Frauen nach offiziellen Angaben um das 14-fache. Regierung und Opposition streiten darüber, ob politisch-ideologische Gründe dafür verantwortlich sind. GegnerInnen der islamisch-konservativen Regierung in Ankara sagen, die Regierungspartei AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) von Premier Recep Tayyip Erdogan betrachte Frauen nicht als gleichberechtigt und habe nicht den politischen Willen, gegen die Gewalt vorzugehen.

Die AKP weist dies zurück. Sie erklärt die horrende Entwicklung der Gewalt-Statistiken mit einer besseren Erfassung der Straftaten und betont, dass die politischen Reformen in der Türkei in den vergangenen Jahren vielen Frauen das Selbstbewusstsein gegeben hätten, häusliche Gewalt bei Polizei und Justiz anzuzeigen statt sie wie früher schweigend zu ertragen.

Neue Konvention

Bei einem Treffen des Europarats kommende Woche in Istanbul soll eine neue Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen präsentiert werden. Das Gastgeberland Türkei will zu den ersten Unterzeichnerstaaten gehören. Nach Presseberichten waren es Schicksale wie die von Nahide Opuz, die das Vertragswerk möglich machten. Wie aber bei vielen Reformen in der Türkei liege das Problem nicht in Gesetzestexten, sondern in der mangelhaften Anwendung, meint Opuz-Anwältin Bestas. "Die Behörden nehmen Todesdrohung (gegen Frauen) nicht ernst", sagte sie. "Staatsanwälte und die Polizei tun ihre Pflicht nicht." Gewalttätige Männer in der Türkei können nach wie vor auf milde RichterInnen hoffen. (APA, red)