Die "schrille Muttertagsaktion" der Plattform 20.000frauen: Ein Devotionalien-Tisch voll mit Muttertags-Kommerz: Darauf wurde symbolisch "gekotzt".

Foto: Bettina Frenzel

Auch ein Speakers-Corner wurde am Urban-Loritz Platz eingerichtet: Jede/r hatte die Möglichkeit, die Meinung zu äußern.

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Nachdem der Würfel beim "Wahlfreiheits-Monopoly" fliel,  hieß es etwa: "Du machst Karriere im Parlament, musst also ab jetzt schweigen: Es gilt Fraktionszwang". Oder: "Du stehst vor der Gläsernen-Decke. Zurück an den Start".

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Durch die am Boden aufgeklebten Spielfelder, erfuhr so manche/r SpielerIn, dass sie/er in einem typischen Frauenberuf arbeitet und daher ein Drittel des Gehalts an Männer verschenkt werden muss.

Foto: Bettina Frenzel

Die Szenerie von Oben. Die Aktion dauerte insgesamt zwei Stunden. Hier sind einige mit dem "Wahlfreiheits-Monopoly" beschäftigt.

Foto: Bettina Frenzel

Rund um den Platz vor der Wiener Stadtbibliothek wurden Plakate aufgehängt. "Mutter(Tags)-Kommerz: Nein, Danke", war zu lesen...

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... oder auch "Weg mit dem Mief der 50er Jahre. Hinein ins 21. Jahrhundert".

Foto: Bettina Frenzel

"Mama, Mama, großen Schulden hamma, und der Grasser ist noch reich: Danke liebes Österreich", tönte es am 5. Mai am Urban-Loritz Platz aus dem Verstärker der Plattform 20.000frauen.at. Die selbstgedichteten Reime waren Teil ihrer "schrillen Muttertagsaktion". "Liebe Mama, du bist ein Schatz, ich wünsche Dir einen Arbeitsplatz. Du gehörst zur Generation, ohne Aussicht auf Pension. Jetzt hast du einen Teilzeitjob, doch die Weltwirtschaft ist mies und grob", wurde da weitergedichtet. Mit ihrer Demonstration stellten die Aktivistinnen klar, dass sie genug haben vom "Mutterkult, der Instrumentalisierung von Müttern, von der moralischen Überhöhung von Mütterlichkeit und Muttertags-Kommerz".

Die Aktivistinnen tragen mit dieser Aktion den Widerspruch zwischen der Idealisierung von Mütterlichkeit, verbunden mit hoher sozialer Verantwortung, und den nicht ausreichend vorhandenen Rahmenbedingungen auf die Straße. "Befriedung, Versorgung, Verteilung sind Tugenden und Erwartungen die an Mütter gerichtet werden", so Ulli Weish, Initiatorin dieser Aktion gegenüber dieStandard.at. Sie fordern unter anderem eine finanzielle Umverteilung und Investitionen in Kinderbetreuungseinrichtungen. "Die angeblich flächendeckende Kinderbetreuung der Stadt Wien ist eine Farce und zugleich ein Marketing-Gag. Bei weitem erhalten nicht alle einen Kindergartenplatz. Die Welt soll genesen am weiblichen Wesen: Genau das haben wir satt", so die Initiatorin.

Kommerz und Nationalsozialismus

Die Frauen indignieren sich ebenso über die Kommerzialisierung des Muttertags und "kotzen" (siehe Foto) symbolisch darauf. Die Wirtschaft spielt in der Entstehung des Muttertags aber seit je her eine große Rolle. In den 1920er Jahren plakatierte der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber "Ehret die Mutter". Die Huldigung wurde schließlich von eben diesen an die "Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit" übertragen und weiter propagiert. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Muttertag 1933 zum offiziellen Feiertag erhoben. Gebärfreudige Mütter wurden als Heldinnen zelebriert, da sie die "germanische Herrenrasse" förderten. In Österreich begründete 1927 Marianne Hainisch dessen Einführung mit dem "sittlichen Verfall durch den Krieg" und die beginnende Berufstätigkeit von Frauen in einer Radioansprache "mit dem Abgrund menschlicher Verwilderung" und damit, dass "Eltern den Einflüssen des Zeitgeistes nicht gewachsen" seien.

Die Historikerin Ursula Kubes-Hofmann tituliert gegenüber dieStandard.at diese Muttertagsbegründung "als präsenter denn je, wenngleich unter gänzlich anderen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Muttertag dient dem Abfeiern einer abstrakten Rolle bestimmter Frauen, nämlich jener, die den Staat mit Nachwuchs versorgt haben", so die Historikerin. Politisch wurde und wird das unterschiedlich begründet: Entweder ideologisch re-nationalisierend und rassistisch oder sozialtechnokratisch pragmatisch. In beiden Kontexten geht es um eine Spaltung der Frauen in "gute" und "böse" Mütter oder zwischen Mütter und kinderlose Frauen generell. "Von dieser machtpolitischen Strategie lebt das patriarchal-kapitalistische Geschäft bis heute", gibt Kubes-Hofmann zu verstehen.

"In das Herz einer Mutter darf nie Unrat hinein"

Die Rolle der Frau als Mutter war auch in der Frauenbewegung stets relevant. Viele Feministinnen der Ersten Frauenbewegung haben sich auf den Mutterbegriff gestützt, um Rechte für Frauen zu argumentieren und einzufordern. Diese Diskussion wurde aber nicht nur im Kreis bürgerlicher Feministinnen geführt: In Schriften und Reden der Ersten Frauenbewegung ist Mutter-Sein ein sehr allgemein zu findendes Element. Auch im 18. Jahrhundert hat sich etwa Mary Wollstonecraft intensiv mit der Mütterlichkeit auseinandergesetzt. Frauen waren zu dieser Zeit von politischen Rechten ausgeschlossen, weil sie nicht in den Krieg gezogen sind und insofern auch keinen "Beitrag zur Nation" leisteten. Für viele Feministinnen der Ersten Frauenbewegung wurde die Gebärfähigkeit und Reproduktionsarbeit der Frauen als Gegenargument herangezogen. Die Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Alexandra Weiss bewertet im Gespräch mit dieStandard.at diese Argumentation "als eine zwiespältige Sache, weil durch diese Herangehensweise Mutterschaft zur politischen Pflicht einer Frau wird".

"Das Herz einer Mutter ist keusch, sittsam und rein. In das Herz einer Mutter darf nie Unrat hinein. Das Herz einer Mutter weiß warum und wofür. Dem Herz einer Mutter tut es mehr weh als Dir," schallt es aus dem Verstärker am Urban-Loritz-Platz. Lucilectric mit der Formation "Übermutter" besingt im Lied "Mutterherz" zynisch Ideale und an Mütter gerichtete Erwartungen. Weiss, die sich 1996 in ihrer Diplomarbeit mit dem Frauenbild der Tiroler Nachkriegszeit beschäftigte, schildert, dass auch bei der SPÖ die Mütterehrung im Vordergrund stand, und die Politisierung der Mitglieder - etwa durch den Internationalen Frauentag - dadurch in den Hintergrund geriet. "Die SPÖ wollte dabei indifferente Frauen ansprechen und nicht so sehr den frauenpolitischen Kampftag in den Vordergrund stellen." Kubes-Hofmann konsterniert sich darüber nicht: "Die Partei ist ideologisch patriarchal geprägt mit Wurzeln im 19. Jahrhundert."

Politischer Einfluss von Müttern

"Feministin- und Mutter-Sein" war ebenso ein zentrales Thema der Zweiten Frauenbewegung in den 70er Jahren. Heterosexuelle Frauen mit Kindern stellten innerhalb der Bewegung ein Problem dar, schildert Weiss. Diese Debatte zog sich bis in die 90er Jahre. Geführt wurde sie, um in einer immer schnelllebigeren und unsicher scheinenden Welt, eigene Widersprüche zu eliminieren. "Wenn man in unserer patriarchalen Gesellschaft eine heterosexuelle Beziehung führt und Kinder hat, muss man sehr viele Widersprüche aushalten", gibt Weiss zu bedenken. In der Geschichte der neueren Frauenbewegung ist diese Debatte weitgehend abgehakt. Die feministische Geschichtsschreibung zeigt, konstatiert Kubes-Hofmann, dass es aber vor allem Frauen mit Kindern waren, die politisch etwas bewirken konnten. "Sie boten und bieten dem zu jeder Zeit durchsetzungsfähigen konservativen Feminismus politische Parole und haben mehr Chance auf öffentliches Gehör als kinderlose Frauen, da das Mutterbild - wo es auch noch katholisch besonders aufgeladen ist, wie in Österreich - besonders wirkungsvoll geblieben ist", so die Historikerin.

Demografiedebatten neueren Datums speisen sich vom Amalgam aus Kampfrhetorik, Verzichtsappellen, positivistischen Datenfluten und Rassismus. "Mütter werden für die systemimmanente Zurichtung der nächsten Generation gebraucht. Akademikerinnen ohne Kinder werden aufgrund ihrer Kinderlosigkeit stigmatisiert, Mütter mit niedrigem Bildungsniveau ebenso, weil sie keine familieninternen 'Hilfslehrerinnen' sind", beobachtet die Historikerin. Die von der Plattform 20.000frauen kritisierte Instrumentalisierung von Müttern findet durch "Protagonistinnen eines konservativen Feminismus statt, indem sie diese Politik durch gleichstellungspolitische Maßnahmen für besser ausgebildete Frauen flankieren", führt Kubes-Hofmann weiter aus. "Sogenannte kinderwägenschiebende Ausnahmeväter reichern das generelle Lob der Mütter an, die solch 'brave Söhne' erzogen hat. Das freut die Frauenschar im Park. In den ohnehin schon verworrenen Verhältnissen wirft so eine Modifikation in familiären Verhältnissen einen moralisch-liebevollen Schleier über, um einen authentisch stilisierten Schein an Humanität zu wahren," empört sich die Historikerin.

Umdeuten oder abschaffen?

"Strukturdebatte mit Herz statt Muttertagskommerz" ist auf dem Flyer der Aktivistinnen zu lesen. Ulli Weish ortet eine "Leerstelle". Die von Kubes-Hofmann angesprochenen Verhältnisse "werden von rechtsgerichteten Parteien besetzt. Wenn wir diese Debatte den Rechten überlassen, wird sich an den Strukturen weiterhin nichts ändern", mahnt die Aktivistin. Kubes-Hofmann entgegnet: "Der Muttertag entspringt einer gesellschaftspolitischen Mottenkiste und gehört abgeschafft. Auch jede Kritik an ihm, die den angeblich 'richtigen Wert von Mutterschaft' postuliert oder 'fehlende mütterliche Werte' durch neoliberale Bedingungen beklagt, scheint fehl zu sein. Sie festigt, was sie beklagt: Die schlechten Rahmenbedingungen, um ein heiles Mutterbild aufrecht zu erhalten". Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Weiss hingegen verweist darauf, dass in gegenwärtigen politischen Diskussionen unkonventionelle Lebensmodelle weder diskutiert noch angedacht werden. Die Menschen greifen daher auf "alte Lebensformen und die alte Geschlechterordnung zurück", gibt Weiss zu bedenken. Dass der Huldigung der Mütter durch den Muttertag weiterhin großer Stellenwert zukommt, ist für sie daher nicht weiter verwunderlich. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 8.5.2011)