Joëlle Stolz: Viel Geld für falsche Familienpolitik.

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In Frankreich wurden im Vorjahr 828.000 Kinder geboren: 2,01 pro Frau, fast so viel wie in Irland (2,07). Deutlich mehr als in Deutschland und Österreich, wo die Geburtenraten, trotz Familienbeihilfen und Karenzzeiten, unter 1,4 Kindern bleiben. In den letzten 25 Jahren verbrannte die österreichische Familienpolitik immer mehr öffentliche Gelder - der Titanic gleich, volle Kraft voraus, direkt dem Untergang zu.

Es gibt nur bescheidene Anzeichen, dass christlich-demokratische Politiker endlich den Eisberg sehen: Andreas Khol hat zugegeben, dass die Unterstützung von Frauen am Herd keine Anhebung der Geburtenraten gebracht hat. Und Kardinal Schönborn, der sich für den Schutz der Familien einsetzt, empfahl eine Orientierung am Beispiel Frankreichs. Herr Kardinal, weiter so! Die Kirche trägt Mitschuld am Fortbestand eines nicht mehr funktionierenden Modells.

Als Rabenmutter zweier in Wien geborener Söhne erinnere ich mich noch an einen Kulturschock, als ich Anfang 1987 nach Österreich kam. Während mir die Pariser Ärztin, die meine Schwangerschaft diagnostizierte (in Frankreich war die Mehrheit der GynäkologInnen Frauen, im Gegensatz zu Österreich), riet, mein zukünftiges Baby sofort in einer Krippe anzumelden, war es in Wien ungehörig, seine Arbeit im ersten Jahr nach der Geburt wieder aufzunehmen. Babykrippen? Das war nur für die Arbeiterklasse.

In Tiroler Spitälern hingen sogar moralisierende Sinnsprüche: "Vertraue dein Kind keinem (Familien-)Fremden an." Die Geschäfte sperrten um 18 Uhr und am Samstag zu Mittag. Und die Schulen hatten Stundenpläne, die mit einem ganztägigen Beruf unvereinbar waren. Keine Kantinen mit warmem Essen wie in Frankreich! Man sollte auf die Großmütter zurückgreifen. Nur: meine Mutter war weit weg, sie hat mit Freude bis zu ihrem 67. Lebensjahr ihren Anwaltsberuf ausgeübt und als zweifache Witwe ihren Töchtern eingebläut, wie lebenswichtig es ist, berufstätig zu sein.

30 Jahre vor dem Phänomen von der Leyen

Außerdem kam ich aus einem Land, in dem seit den 1970er-Jahren ein Konsens in Bezug auf die Berufstätigkeit von Frauen bestand, den auch niemand im Entferntesten infrage zu stellen dachte - weder die katholische Kirche noch die gaullistische Rechte, nicht einmal die extreme Rechte. Sozialistische Minister, Ségolène Royal und Martine Aubry, ließen sich in der Klinik fotografieren, auf einem Arm das Neugeborene, in der anderen die Aktenmappe, um zu dokumentieren, dass sie weiterhin "im Amt" waren. Das war ziemlich lächerlich, aber es prägte. Politikerinnen wie Simone Veil oder feministische Intellektuelle wie Elisabeth Badinter haben mehrere Kinder geboren - und kein Mensch erregte sich darüber, 30 Jahre vor dem Phänomen Ursula von der Leyen.

Zur gleichen Zeit stellte man in Österreich die Frauen vor die Entscheidung (die "Wahlfreiheit") zwischen Mutterschaft und finanzieller Unabhängigkeit. Man brauchte kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, dass sie sich zunehmend für die zweite Option entscheiden würden. Dennoch konnte nichts die ideologische Verschwörung von Konservativen und Rechtspopulisten erschüttern, ihren Glauben an die positiven Auswirkungen des "Kindergelds" auf die Geburtenraten. In Ungarn fährt die Rechtspartei mit dem gleichen Elan gegen die Wand, wobei das Modell der verlängerten Mutterkarenz bereits unter dem Kommunismus bestand. Eine gefährliche Gleichung. Je weniger gebildete Frauen arbeiten, desto weniger Kinder bekommen sie und desto größer werden auch die Spannungen mit jenen Bevölkerungsgruppen, deren Geburtenraten hoch geblieben sind: in Österreich bei den Türken, in Ungarn bei den Roma.

Fit-Machen für den Sex nach der Geburt

Und in Frankreich? Unter dem entmystifizierenden Titel "Sie haben alles außer der Gleichheit" erforschte die Korrespondentin der New York Times dieses Schlaraffenland, wo die Krankenkassen den Müttern nachgeburtliche vaginale Gymnastik bezahlen, "damit die Paare baldigst wieder Sex und neue Babys haben können", wie es eine Physiotherapeutin der Reporterin erklärt, - und wo die Frauen "dank dem Staat alles zu haben scheinen: Kinder, Arbeit, und oft auch eine Figur, um die man sie beneidet". Zum Beispiel Fleur Cohen, eine fesche 31-jährige Ärztin, die in der Pariser Métro mit ihren drei Kindern zwischen zwei und sechs Jahren von der US-Zeitung abgelichtet wurde, dazu in der Trage ihr viertes Kind, welches sie der Krippe ihres Spitals übergeben wird.

Hinter diesem Bild verbergen sich all jene Mütter, die Rekorde im Konsum von Psychopharmaka aufstellen - zum Schlafen, zum Durchhalten -, und die Schuldgefühle haben, sich von ihrem Neugeborenen zu trennen, in der Regel 13 Wochen nach der Geburt (18 Wochen ab dem dritten Kind). Vertraut man dem Magazin Elle, so sind die Frauen einstimmig dafür, zumindest ein weiteres Monat bei ihrem Baby bleiben zu dürfen. Dies käme leider der Wirtschaft zu teuer, antwortete Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot.

Trotz seiner Schwachstellen funktioniert das Modell. Immerhin wirken die Millionen FranzosInnen und SkandinavierInnen, die in Krippen oder Kindergärten aufgewachsen sind (meine Freundinnen sind bereits Großmütter), nicht verkorkster als der Durchschnitt in deutschsprachigen Ländern. Eine Studie in Frankreich hat aufgezeigt, dass Kinder berufstätiger Mütter weniger körperlichen oder sexuellen Übergriffen innerhalb der Familie ausgesetzt sind: Heute scheint die finanzielle Autonomie der Frauen einen höheren Schutzfaktor für Kinder darzustellen als das "mütterliche Opfer", sei es freiwillig oder unfreiwillig.

Mein älterer Sohn, der in Kopenhagen studiert, bemerkt, dass die jungen Dänen keine Bedenken haben, schon während ihres Studiums Familien zu gründen. Das kommt nicht nur von großzügigen öffentlichen Subventionen, sondern beruht auch auf der Gewissheit, dass Mutterschaft - ebenso wie Vaterschaft - nicht das Ende aller Karriereambitionen bedeutet. Eine wohl entspanntere, dem Leben aufgeschlossene Grundhaltung. (Joëlle Stolz, DER STANDARD, Printausgabe 7./8.5.2011)