Silvia Miksch mag starke Farben. Auch als Informatikerin setzt sie auf visuelle Effekte und erhellende Sichtweisen.

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Auf dem Computermonitor schlängeln sich drei Zahlenkolonnen. In der ersten die Ziffern von eins bis 120, in der zweiten und dritten Kolonne dreistellige Zahlen, ohne ersichtliche Regelmäßigkeit. Der reinste Zahlenfriedhof. Silvia Miksch drückt eine Taste. 120 Punkte sind wild über ein Koordinatensystem verstreut, das macht schon mehr Sinn. Aber erst einen Knopfdruck später verbinden Striche die Punkte - und fertig ist ein Elefant samt Palme.

Malen nach Zahlen, damit illustriert die Informatikerin Silvia Miksch gerne ihr Forschungsgebiet Visual Analytics. Dabei geht es nicht nur darum, dass Daten vollkommen unterschiedlich dargestellt werden können. "Es geht darum, Rohdaten mit Semantik, mit Bedeutung zu füllen und sie so aufzubereiten, dass der Mensch sie versteht", sagt Silvia Miksch, Leiterin des kürzlich eröffneten Laura-Bassi-Zentrums Centre for Visual Analytics Science and Technology (CVAST).

Den Überblick zu behalten ist heute nötiger denn je: Das Dickicht an Daten, das wir täglich durchforsten, wird immer dichter, die Quellen werden vielfältiger. In den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, egal ob in der öffentlichen Verwaltung, der Wirtschaft oder der Wissenschaft, werden unzählige Terabyte an Zahlen und Daten gesammelt, die immer schwieriger einzuordnen sind.

Genau hier setzen die Visual-Analytics-ExpertInnen an. "Wir wollen das Zusammenspiel zwischen Rechner und Mensch verbessern", sagt Miksch. "Beide haben ihre Stärken: Rechner können riesige Datenmengen zusammenfassen und aufbereiten. Der Mensch hingegen kann viel besser mit visuellen Sinneseindrücken umgehen, Zusammenhänge erkennen und kreativ sein."

Seinen Ursprung hat das Fach Visual Analytics in der Terrorbekämpfung infolge von 9/11. Seither versucht man in den USA, unter anderem Kommunikations- und Geldflüsse potenzieller TerroristInnen mit visueller Unterstützung zu analysieren. Miksch, die aus der Artificial-Intelligence-Forschung kommt und am Institut für Softwaretechnik und interaktive Systeme der TU Wien beschäftigt ist, schlägt friedlichere Wege ein. Sie kann im CVAST auf ihren bisherigen Arbeiten aufbauen, die sich mit wissensbasierten Systemen in der Medizin beschäftigten. So entwickelte sie etwa eine Software zur Analyse von Therapieverläufen magersüchtiger Frauen oder ein Programm zur Beobachtung von Diabetes-PatientInnen.

Andere Blickwinkel

Unmengen von Daten, die in einer Krankenakte Seiten füllen würden, verwandeln sich am Bildschirm in Kurven, Linien und grafische Darstellungen, die etwa auf einen Blick veranschaulichen, welche Behandlung erfolgreich ist - und so ermöglichen, neue Winkel im Datendschungel zu erforschen, die sonst unsichtbar bleiben würden.

Anstatt herkömmlicher Tabellenkalkulationen, Balken- und Tortengrafiken setzt Visual Analytics auf interaktive Visualisierungen, in die der Nutzer selbst eingreifen kann, um rasch jene Informationen oder Trends zu erfassen, die er gerade braucht. "Wir erfinden kein neues Excel", betont Miksch. Vielmehr suchen sie und ihre KollegInnen nach Methoden, um die Datenfülle mittels Statistik, Data-Mining und maschinellem Lernen auszuwerten und sie dann in eine visuelle Form zu bringen. Die Bilder müssen nicht unbedingt "schön" sein, wie Miksch hervorhebt, sollen aber den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie folgen. Dafür ist das Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der TU Wien als Projektpartner zuständig.

Die Struktur von Zeit

Die Gruppe um Miksch konzentriert sich dabei auf die optimale Darstellung zeitorientierter Daten. "Zeit hat eine vielschichtige Struktur", beschreibt Miksch die Herausforderung. "Man kann sie in Wochentage einteilen, in Jahreszeiten, in Urlaubszeit etc. Sie kann punktuell, in Intervallen oder zyklisch gesehen werden." So bestimmt etwa die Tages- oder Nachtzeit, wie viel Personal in einem Krankenhaus benötigt wird.

Vision von CVAST ist es, ähnlich einem Legokasten verschiedene Software-Bausteine zu entwickeln, von automatischer Mustererkennung über Zeitreihenanalyse bis hin zu Interaktions- und Visualisierungsmodellen. Dabei sollen Forschungsprototypen entstehen, die auf ihre Brauchbarkeit getestet werden. Zugleich wird an zwei konkreten Anwendungsszenarien gearbeitet, die mit den Wirtschaftspartnern Math.Tec und Ximes entstehen, die im Bereich Produktionsplanung sowie tageszeitbezogener Personalbedarf neue Lösungen suchen.

Die Visual-Analytics-Konzepte sollen letztlich helfen, sich ein Bild über komplexe Daten zu machen und daraus Zukunftsprognosen abzuleiten. Und möglicherweise aus einem Schwarm von Zahlen einen Elefanten zu machen. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.5. 2011)