Martin Mair, Obmann des Vereins "Aktive Arbeitslose": "Die Arbeitsmarktpolitik ist völlig undemokratisch und menschenrechtswidrig, weil sie die Betroffenen zu passiven Objekten macht."

Foto: Aktive Arbeitslose

Karin Rausch: "Wenn man bei einer Demonstration mit geht und gesehen wird, ist es im Prinzip das beste Zeichen."

Foto: Aktive Arbeitslose

Auf dem Schreibtisch stehen ein Computer und ein Faxgerät. Aktenordner reihen sich in den Regalen. Darin dokumentiert Martin Mair seine Recherchen zum Thema Erwerbsarbeitslosigkeit. Seine Wohnung im 19. Wiener Gemeindebezirk dient ihm auch als Arbeitsplatz, wiewohl er ohne Erwerbsarbeit ist. Der Obmann des 2009 gegründeten Vereins "Aktive Arbeitslose" will die mit dem Vorurteil "faul" stigmatisierte Gruppe aus der Vereinzelung holen und Missstände in der Arbeitsmarktpolitik aufzeigen. Mair bezeichnet das AMS als die "größte Firma Österreichs" – immerhin zählt sie derzeit rund 240.000 Erwerbsarbeitslose. Erwerbsarbeitslosigkeit ist kein leichtes Geschäft. Diese Gruppe zu vertreten scheinbar ebenso nicht, wie Martin Mair und Karin Rausch, auch im Vorstand aktiv, mitteilen. Im Gespräch mit dieStandard.at schildern die "Aktiven Arbeitslosen" die Vereinsarbeit und "Aufreger", mit denen Erwerbsarbeitslose in Österreich konfrontiert sind.

dieStandard.at: Erwerbsarbeitslosen wird unterstellt, dass sie faul sind. Im öffentlichen Diskurs wird die Phrase "soziale Hängematte" dafür verwendet. Ihr Verein heißt aber "Aktive Arbeitslose". Was steckt hinter der Vereinsbezeichnung?

Martin Mair: Aktive Arbeitslose heißen wir, weil wir einen positiven Namen verwenden wollten. Andere Initiativen haben Namen gewählt, die negativ konnotiert sind, etwa "AMSand".

dieStandard.at: Der Verein stellt den Anspruch, eine Lobby für Arbeitslose zu sein.

Mair: Ja, das wäre das Ziel. Aber als Lobby für Arbeitslose sind schon Arbeiterkammer und Gewerkschaft gescheitert. Sie haben die Arbeitsloseninteressen genau nicht vertreten. Wir versuchen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten selbst zu organisieren.

dieStandard.at: Erwerbsarbeitslose sind sehr vereinzelt und nur schwer zu organisieren. Wie gehen Sie an die Sache heran?

Mair: Hinzu kommt, dass sie oft auch sehr demotiviert sind. Es gibt durchaus auch Leute, die in der sogenannten Hängematte liegen – wobei das durchaus verständlich ist. Wenn man keine positive Perspektive hat, wozu soll man sich anstrengen bei diesem Spiel noch mitzumachen? Insgesamt ist es ein sehr verdrängtes Thema und somit gibt es keine kontinuierliche Vertiefung.

dieStandard.at: Dem Vereinsprogramm ist Kritik am neoliberalen Kapitalismus zu entnehmen. Gerade aber im Neoliberalismus spielt das Aktivitätspostulat eine große Rolle. Im Endeffekt ist selbst das Scheitern missgelenkte Aktivität. Spielen Sie mit ihrem Verein nicht genau in diese Kerbe?

Mair: Nein, das sehe ich nicht so. Dem Konzept der Arbeitslosigkeit wird Passivität zugeschrieben. Viele Menschen empfinden es auch als Provokation, wenn Arbeitslosigkeit mit Aktivität in Zusammenhang gebracht wird.

dieStandard.at: Also eine Anti-These zu den glücklichen Erwerbsarbeitslosen?

Mair: Ja. Zum Glücklich-Sein durch Nichts-Tun stellen wir ein Pendant dar. Es gibt auch die Aktivierung des AMS – und genau diesen Aktivitätsbegriff deuten wir um, indem wir sagen: Wir lassen uns bestimmte Dinge nicht gefallen, und wir lassen uns nicht in die Passivität drängen.

dieStandard.at: Was genau lassen Sie sich dabei nicht gefallen?

Mair: Die Arbeitsmarktpolitik ist völlig undemokratisch und menschenrechtswidrig, weil sie die Betroffenen zu passiven Objekten macht, die hin und her geschoben werden. Arbeitslose werden mit der Begründung in Maßnahmen gesteckt, dass es angeblich Vermittlungsdefizite gäbe. Das heißt, die Opfer der Wirtschaft werden zu Tätern gemacht. Das AMS ist dabei eine zwischengelagerte bürokratische Institution, die die Vorgaben der Politik umsetzt, indem etwa Langzeitarbeitslose in Schulungen gesteckt werden, um die Statistik zu beschönigen.

dieStandard.at: Die Arbeitslosenstatistik führt aber nur diejenigen an, die sich auch beim AMS als solche melden. Man kann davon ausgehen, dass das lediglich Personen sind, die Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Diejenigen die keine Ansprüche haben – viele davon sind Frauen und MigrantInnen – befinden sich in einer Grauzone. Versuchen Sie auch die "versteckten Arbeitslosen" zu erreichen?

Mair: Unsere Möglichkeiten sind aufgrund der Vereinsgröße sehr beschränkt. Das ist natürlich angedacht, aber das übersteigt die realen Möglichkeiten.

dieStandard.at: Welchen Handlungsspielraum im Widerstand gegen restriktive Arbeitslosen-Politik hat der Verein dann?

Mair: Wir machen zum Beispiel Aktionen, gehen auf die Straße und versuchen dabei die Ursachen der Probleme aufzuzeigen. Wir solidarisieren uns mit diversen Gruppierungen, um überhaupt Sichtbarkeit zu erlangen.

Karin Rausch: Wenn man bei einer Demonstration mit geht und gesehen wird, ist es im Prinzip das beste Zeichen und eben unsere Möglichkeit, Menschen zu erreichen.

dieStandard.at: Den Verein gibt es nun seit drei Jahren. Welche arbeitsmarktpolitische Entwicklung beobachten Sie?

Mair: Ein großer Schnittpunkt war die ALVG-Novelle 2007. Die Mindestsicherung ist ein Aufreger für uns, ebenso dass durch das Budget-Belastungspaket die Berufsunfähigkeitspension schwieriger zu bekommen ist als vorher. Das sind verschiedene Baustellen, aber sie passen gut zusammen und verweisen auf einen zunehmend repressiven Sozialstaat.

dieStandard.at: Die Anrechnung des PartnerInnen-Einkommens wird nach wie vor als Grundlage zum Arbeitslosengeld herangezogen. Ist das auch ein Thema der "Aktiven Arbeitslosen"?

Mair: Ja, das beschäftigt uns natürlich auch. Bei Alfred Gusenbauer war das noch ein Thema. Man wollte damals zumindest die Grenze erhöhen. Jetzt ist überhaupt keine Rede mehr davon. Nicht einmal die Arbeiterkammer redet darüber. Ich habe bei einer Veranstaltung auch PolitikerInnen darauf angesprochen. Etwas zu erreichen war leider unmöglich. Für uns ist es sehr schwer, Allianzpartner zu finden.

dieStandard.at: Nun ist es aber auch so, dass Erwerbsarbeitslose auch Rechte haben.

Mair: Beim AMS wird einem das aber nicht gesagt. Man wird nur über die Pflichten informiert. In den Broschüren des AMS wird etwa dargestellt, wie toll der Betreuungsplan ist. Aber nirgends steht, dass man den Betreuungsplan auch beeinspruchen kann. Es werden einem Verhaltensregeln aufgezwungen. Das ist auch bei den AMS-Maßnahmen so, die man ebenso unterschreiben muss. Rechtsgrundlage dafür gibt es keine. Derzeit arbeiten wir an einer Broschüre, wo die Rechte der Arbeitslosen aufgelistet sind.

dieStandard.at: Die "Aktiven Arbeitslosen" sind auch beratend aktiv. Betreuungspläne beinhalten auch sogenannte Schulungsmaßnahmen. Immer wieder hört man davon, dass gut ausgebildete Personen in Kurse müssen, die eine Dequalifizierung bedeuten. Was raten Sie solchen Personen?

Mair: Das ist an und für sich schon rechtswidrig, weil gesetzlich festgehalten ist, dass die Qualifikation zu erhalten oder auszubauen ist.

Rausch: Jede AMS-Schulung ist eine Dequalifizierung. Und wenn man in diese Maschinerie hinein gerät, muss man sich total prostituieren.

dieStandard.at: Aber welche Alternative gibt es dann? Was raten Sie den Betroffenen, denn bei Fernbleiben wird ihnen der Bezug gesperrt?

Mair: Man muss erst einmal die Lust haben, gegen das AMS zu kämpfen. Man muss eine Rechtsaufklärung machen. Diese muss an den Geschäftsstellenleiter geschickt werden, weil er dafür verantwortlich ist. Wenn man ihn mit dem Widerstand konfrontiert, gibt es meistens keine Probleme, weil er verpflichtet ist, diese Gesetze einzuhalten.

dieStandard.at: Wie erklären Sie sich, dass linksgerichtete Parteien den Problemen rund um Arbeitslosigkeit so viel Desinteresse entgegenbringen?

Mair: Es ist ein schweres Thema. Es ist außerdem ein Thema, wo auch Linke keine schnellen Erfolge feiern können. Auch für die Mitgliedergewinnung sind Arbeitslose eher uninteressant. Wir kommen mit unseren Themen nicht einmal bei den Grünen durch. Dabei darf man aber nicht vergessen: Die Grünen haben der Mindestsicherung zugestimmt, obwohl diese nicht nur menschenrechtswidrig, sondern auch verfassungswidrig ist.

Rausch: Ich glaube, der Hut brennt noch zu wenig. Es gibt die Dynamik, dass Leute zu den Arbeitslosen sagen: Wenn Du Brot, Handy und eine Kamera hast, warum regst Du Dich dann auf?

(Die Fragen stellte Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 12.5.2011)