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Öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen auf dem Land erfordern teils lange Anfahrten oder haben Öffnungszeiten, die nicht dem Tagesplan berufstätiger Eltern entsprechen. Ein Symposium in Wien sucht Alternativen.

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Auch Bäuerinnen können ihre Kinder nur bedingt zur Arbeit mitnehmen.

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Gertraud Wittek ist Krankenschwester und Bäuerin. 20 Stunden pro Woche arbeitet sie in einer Reha-Klinik in Niederösterreich, mit ihrem Mann betreibt die Mutter von drei Kindern - acht, sechs und vier Jahre alt - einen Bauernhof im Weinviertel mit Obstbau und Ackerbau. Siebeneinhalb Jahre ist sie bei den Kindern zu Hause geblieben, dann wollte sie wieder ihren erlernten Beruf ausüben. Die Familie unterstützt sie bei der Kinderbetreuung: "Meine Schwiegermutter war immer bereit, auf die Kinder aufzupassen", erzählt Wittek. "Sie kocht mittags und bleibt bis zum späten Nachmittag, dann löst sie der Papa ab."

Auch Getraud Wittek selbst ist mit ihren fünf Geschwistern auf einem Mehrgenerationen-Hof im Mostviertel aufgewachsen, wo immer jemand da war, der auf die Kinder aufpasste. Längst ist es auf dem Land aber nicht mehr selbstverständlich, dass Großeltern oder Verwandte verfügbar sind, die den Eltern zur Seite stehen können. "Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen im ländlichen Raum häufig ein Problem", sagt Anna Höllerer, Vorsitzende der ARGE Österreichische Bäuerinnen, welche gemeinsam mit dem Netzwerk "Frau in der Wirtschaft" am 24. Mai in Wien ein Symposium zum Thema "Kinderbetreuung im ländlichen Raum" veranstaltet.

Unrealistische Öffnungszeiten

Öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen auf dem Land erfordern teils lange Anfahrten oder haben Öffnungszeiten, die nicht dem Tagesplan berufstätiger Eltern entsprechen. In manchen Einrichtungen wird keine Nachmittagsbetreuung angeboten oder es gibt keinen Mittagstisch. Auch Nachbarschaftshilfe ist nicht immer gegeben, weil auch die Nachbarsfrauen oft arbeiten. Und auch junge Großmütter sind oft noch berufstätig. "Viele Frauen im ländlichen Raum sind heute sehr gut ausgebildet; ihnen ist es wichtig, trotz Kindern weiterhin im Beruf zu bleiben oder Fuß zu fassen. Es gilt, auch für am Land lebende berufstätige Mütter realistische Betreuungsmodelle zu schaffen", fordert Höllerer. Das verpflichtende Kindergartenjahr habe die Situation für fünfjährige Kinder zwar entschärft, für Unter-Dreijährige sei aber noch viel zu tun, sagt die Nationalratsabgeordnete.

Herausforderung für Gemeinden

Die Gesetze und Bedingungen für Kinderbetreuungseinrichtungen sind in Österreich je nach Bundesland verschieden. Für viele Gemeinden im ländlichen Raum ist es eine Herausforderung, passende Angebote zu schaffen, weil sie nicht über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügen und mit Abwanderung kämpfen. Oft gibt es eine gesetzliche Mindestbetreuungsquote, die besonders in kleinen Gemeinden meist nicht gegeben ist. "Selbst, wenn genügend Kinder zusammenkommen, ist die Gruppe oft immer noch zu klein, damit sich eine Einrichtung - die hohen qualitativen Anforderungen entsprechen muss - finanziell rentiert. Die Öffnung über Mittag und am Nachmittag ist oft nicht möglich. Sind die Bedürfnisse für Familien aber nicht erfüllt, ziehen noch mehr junge Menschen aus den ländlichen Gemeinden weg - es ist ein Teufelskreis."

Best Practice aus Osttirol

Auf dem Wiener Symposium sollen deshalb alternative und innovative Betreuungsmodelle sowie Best-Practice-Beispiele und optimale Rahmenbedingungen vorgestellt und diskutiert werden. So stellt etwa Mathilde Köffler das Modell ihres, seit vielen Jahren erfolgreich funktionierenden, Osttiroler Kinderbetreuungszentrums vor. "Meine Vision ist es, den Eltern alles bieten zu können, ohne sagen zu müssen: 'Das geht nicht'", sagt Köffler.

In dem privaten Verein mit vier Zweigstellen können Kinder von null bis 14 Jahren ganzjährig von sechs bis zwanzig Uhr betreut werden. Im Umkreis von sieben Kilometern werden Kinder, deren Kindergarten am Nachmittag geschlossen ist, von dort abgeholt und bei Bedarf mit zentrumseigenen Minibussen am Abend heimgebracht. Auch für die 6- bis 14-Jährigen gibt es einen Abholdienst von der Schule und zwei Hortgruppen. "Vonseiten der Eltern bekomme ich eine super Resonanz", sieht sich Köffler in ihrem Modell bestätigt. Das, am 1.9.2010 in Kraft getretene, neue Tiroler Kinderbetreuungsgesetz mache ihr aber Sorgen, denn: "Wir haben 84 Stunden offen, aber nur 60 werden künftig gefördert - ich weiß nicht, wie wir die übrigen 24 Stunden finanzieren sollen, wenn wir das Modell aufrecht erhalten wollen."

Tagesmutter und Bäuerin

Eine österreichweite Alternative zu öffentlichen Einrichtungen, die sich im ländlichen Raum bewährt hat, sind Tagesmütter: Sie sind zeitlich flexibel, bringen die Kinder in Schule oder Kindergarten, holen sie ab, kochen Mittagessen, machen mit ihnen Aufgaben und betreuen sie auch nach 17.00 Uhr. "Müttern, die bis 19.00 oder 19.30 Uhr zum Beispiel im Verkauf arbeiten, kommt das sehr entgegen", sagt Gertraud Zwerger, seit 14 Jahren Tagesmutter, Bäuerin und Mutter von drei erwachsenen Kindern in Niederösterreich. Wie viele Bäuerinnen hat auch Gertraud Zwerger ihre eigenen Kinder anfangs frühmorgens zur Arbeit in den Stall mitgenommen: "Und als sie größer waren, haben sie sich selbst nach dem Aufstehen die Gummistiefel angezogen und sind zu mir gekommen." Viele Tätigkeiten in der Landwirtschaft, vor allem an Geräten und Maschinen, machen es aber auch Bäuerinnen schwierig, die eigenen Kinder am Hof zu betreuen. Auch sie sind dann auf externe - im besten Fall stundenweise - Betreuungsmöglichkeiten angewiesen.

Aufwachsen in der Natur

Als Tagesmutter betreut Gertraud Zwerger Kinder auf ihrem Hof, die besondere Betreuung brauchen, vor allem Scheidungskinder und Kinder, die vom Jugendamt zu ihr kommen. Die Mütter seien sehr froh, dass ihre Kinder bei ihr im Freien spielen könnten und "nicht vor dem Fernseher sitzen": "Wir haben einen Spielplatz vor dem Haus, sie können bei mir Schwimmen und Radfahren lernen, im Gatsch spielen und in der Wiese tollen. Manchmal machen wir ein Lagerfeuer, wir brocken Obst und kochen Marmelade ein und die Kinder bekommen den ganz normalen Tagesablauf im Haushalt mit."

Auch Elke Fuchs vom NÖ Hilfswerk, das Tagesmütter ausbildet, betont, dass viele Eltern es sehr schätzen, wenn ihre Kinder bei Tagesmüttern, die Bäuerinnen sind, unterkommen. "Sie können den Kindern am Hof viel Freiraum und ein Aufwachsen in der Natur bieten und für die Bäuerinnen selbst ist es eine zusätzliche Erwerbsmöglichkeit, die sie direkt am eigenen landwirtschaftlichen Betrieb ausüben können." Bis 2005 koordinierte das Hilfswerk dafür auch ein eigenes EQUAL-Projekt namens "Kinderbetreuung am Bauernhof", das Bäuerinnen und Bauern zu Tagesmüttern und -vätern ausbildete und besonders die speziellen Sicherheitsanforderungen bei der Kinderbetreuung auf einem Bauernhof berücksichtigte.

Mangelnde Unterstützung

Sowohl Gertraud Zwerger wie Elke Fuchs weisen aber auch auf die mangelnde Unterstützung und Förderung von Tagesmüttern in Österreich hin und wünschen sich eine bessere Absicherung der meist freiberuflich Tätigen: "Es gibt in den neun Bundesländern neun verschiedene, nicht vergleichbare Regelungen für Tagesmütter - wer im einen die Ausbildung macht, darf im anderen nicht arbeiten, sondern muss neu um Bewiligung ansichen", kritisiert Fuchs. In Niederösterreich zum Beispiel würden Tagesmütter auch nicht gleich gefördert wie öffentliche Kindergärten, "obwohl das von der Politik so geplant ist": "Jedes Kind ab zweieinhalb kann hier bis Mittag einen Gratiskindergartenplatz haben, egal ob die Eltern arbeiten oder nicht. Die Zuschüsse für Tagesmütter sind nach Einkommen gestaffelt, weniger als 30 Prozent der Eltern bekommen derzeit einen Zuschuss - also gibt es de facto keine Wahlfreiheit." (isa/dieStandard.at, 15.5.2011)