Brigitte Weich über ihren Film: "Ich wollte mich über die Geschichten von Menschen der Geschichte eines Landes annähern."

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Brigitte Weich und die Co-Regisseurin Karin Macher (li.) bei der Ankunft in Pjöngjang.

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Darstellung der Frauenfußballmannschaft in Nordkorea.

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"Unwahrscheinlich" ist ein Begriff, den Brigitte Weich über ihren Film "Hana, dul, sed..." schon oft gehört hat. Er spielt in einer der letzten kommunistischen Diktaturen – Nordkorea – und begleitet dabei über mehrere Jahre die Geschicke vier junger Spielerinnen im Frauen-Profifußball. Wie es dazu kam, hört sich eigentlich ganz einfach an: Weich wollte eine Doku über dieses Thema sehen, und nachdem es nichts dazu gab, beschloss sie einfach, sie selbst zu machen. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Filmemacherin und ihres "unwahrscheinlichen" Filmprojekts:

dieStandard.at: Ich würde gern zunächst über Ihren Zugang als Filmemacherin sprechen. "Hana, dul, sed..." ist ja Ihr erster Langfilm, richtig?

Brigitte Weich: Es ist mein erster Film überhaupt.

dieStandard.at: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie nicht mehr ganz jung mit dem Filmemachen begonnen haben?

Weich: Ich hatte eigentlich nie vor, Filme zu machen, dafür habe ich auch keine Ausbildung. Aber ich hatte das Gefühl, an eine Art gläserne Decke in meiner Berufslaufbahn gestoßen zu sein. Ich habe lange Jahre im Kulturbereich gearbeitet, im Film- und Arthouse-Bereich. Die Projekte, die ich getragen habe, haben mich nie in leitende Funktionen gebracht. Ich hatte wohl die Lust, etwas zu bewirken jenseits eines "9 to 5 jobs".

dieStandard.at: Was hat Sie dann konkret zu fußballspielenden Nordkoreanerinnen geführt?

Weich: Im Oktober 2002 besuchte ich das Filmfestival in Pjöngjang. Dort habe ich diesen Initialschock Nordkorea erlebt. Dann ging alles ganz schnell: Im April 2003 fing ich bereits an, unsere Reisen für die Drehs zu buchen und ein Team zusammenzustellen. Innerhalb von vier Monaten bin ich Regisseurin geworden.

dieStandard.at: Das Interesse für Frauenfußball kam also erst nach der Leidenschaft für Nordkorea hinzu?

Weich: Genau. Ich hatte von Fußball generell keine Ahnung und dass Frauenfußball existiert, wusste ich damals gar nicht (lacht). In Pjöngjang hörte ich, dass die Frauenfußballmannschaft in Nordkorea derzeit so gut sei. Deshalb wollte ich dort ein Spiel sehen. Damals habe ich noch nicht verstanden, dass es in Nordkorea für AusländerInnen praktisch unmöglich ist, einen Alltagsort zu besuchen. Pjöngjang ist ja so eine Kulissenstadt, wie in einer kommunistischen Operette des Schreckens /Befremdens.

Viele Nordkorea-Reisende verspüren den Drang, das echte jenseits dieser propagandistischen Inszenierungen kennen zu lernen. Nachdem ich also mit meinem Wunsch gescheitert war, äußerte ich den Wunsch, dass doch bitte jemand darüber einen Film machen sollte - über den Frauenfußball in Nordkorea.

dieStandard.at: Sie wollten also etwas "entdecken", was im verborgenen lag?

Weich: Es ging mir nicht nur darum, irgendwelche unerlaubten Sachen zu sehen, was bedeutet hätte, dass ich die Guides (Kontrolleure des Regimes) austricksen hätte müssen. Ich fand es immer schon spannend genug, mir die Dinge anzusehen, die sie mir zeigen wollten. Dieser Entdeckerinnendrang hat sich also ganz stark darauf bezogen, zu verstehen, warum das dort so ist. Ich wollte also nicht einfach nur festhalten, wie schrecklich alles ist, sondern darstellen, wie es für die Menschen ist, die dort leben.

dieStandard.at: Haben Sie sich deshalb dafür entschieden, den Film in zwei Teilen anzulegen: einmal den Siegeszug dieser Spielerinnen auf dem Fußballfeld und dann ihr Leben nach der Karriere im Alltag?

Weich: Nein, das war totaler Zufall, weil wir nicht geplant hatten, dass unsere Protagonistinnen nicht mehr spielen würden, wenn wir das erste Mal in Pjöngjang drehen. Bei den Asien-Meisterschaften in Bangkok im Frühling 2003, die sie gewannen, hatten wir ja unseren ersten Dreh, da ging alles ganz schnell. Dort haben wir uns auch in das Projekt verliebt und wollten es nicht mehr hergeben.

Wieder zuhause suchte ich erst um Förderungen an und schrieb ein Konzept für den Film. Wir fuhren immer wieder auf Turniere und filmten dort. Zuletzt bei der verpatzten Olympia-Qualifikation in Japan. Das war dann das letzte Spiel, das auch im Film vorkommt.
Diese Niederlage hatte zur Folge, dass sie als Spielerinnen pensioniert wurden. Alle meine Protagonistinnen wurden ausgetauscht, noch bevor wir das erste Mal in Pjöngjang gedreht hatten. Im ersten Moment war das natürlich eine Katastrophe für uns, weil uns ein Stück weit die Story abhanden kam. Andererseits hat es mir aber ermöglicht, weiter in das Private der Spielerinnen reinzuschauen. Das Schöne am Dokumentarfilmen ist ja, dass du als Regisseurin ein Stück weit der Realität folgen musst.

dieStandard.at: Der Film hat diese ethnologische Komponente, diese respektvolle Beobachtung eines offensichtlich fremden Alltags. Steht dieser besondere Ansatz der klassischen Doku-Verwertung im Wege oder wird das gerade besonders gut aufgenommen?

Weich: Beides. "Hana, dul, sed..." lief bis jetzt auf einigen Festivals, Premiere hatte er beim Filmfestival in Locarno. Und jetzt wird sich weisen, wie viel Leute ins Kino gehen. Ich habe ja nicht auf diese optimale Verwertung geschielt. Er ist halt so wie er ist.

Aber es kann schon sein, dass er sich zwischen alle Stühle setzt. Möglicherweise haben Fans von klassischen Dokus das Problem, dass er zwischen Empathie und kritischer Distanz oszilliert. Jedenfalls wurde er von vielen Dokumentarfilmfestival angefragt, aber kein einziges hat ihn dann auch gespielt.

dieStandard.at: Dass Sie die totalitären Aspekte des Regimes nicht direkt kommentiert haben, hat ihnen auch Kritik eingebracht. Weshalb haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?

Weich: Ich wollte mich über die Geschichten von Menschen der Geschichte eines Landes annähern. Eine Doku über politische Häftlinge oder mangelnde Menschenrechte hätte ich dort überhaupt nicht drehen können, bzw. heimlich drehen müssen. Es hat mich nicht interessiert. Mein aufrichtigstes Inneres wollte einen Film machen, der keinesfalls einer Ideologie dient, sondern jene porträtiert, die ihr ausgesetzt sind und wie sie auf sie wirkt.

dieStandard.at: Ihre Protagonistinnen haben Ihnen ja offensichtlich sehr vertraut, insofern wäre es ja auch ein moralisches Problem gewesen, sich im Nachhinein als Regisseurin so über ihre Lebensrealität hinwegzusetzen.

Weich: Eben. Ich hätte meinen PartnerInnen in Pjöngjang natürlich das Blaue vom Himmel versprechen können und zuhause etwas machen, was sie oder das Regime völlig bloßstellt. Solche Filme gibt's ja über Nordkorea.
Für mich war immer sehr wichtig, dass meine Partnerinnen und auch meine Protagonistinnen in keinster Weise gefährdet werden. Das war eine große Gradwanderung: Ich wollte keinen Propaganda-Film über das Regime machen und gleichzeitig war es mein Ziel, dass der Film in Nordkorea akzeptiert würde. Er sollte in beiden Welten funktionieren.

dieStandard.at: Ist Ihnen das geglückt?

Weich: Nein (lacht), aber aus anderen Gründen, als ich dachte. Sie waren nicht einverstanden, dass ich die Spielerinnen beim Verlieren zeige, das hat die Filmverantwortlichen dort sehr gestört. Damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet.

dieStandard.at: Wie haben Sie das Problem dann gelöst?

Weich: Ich habe darauf bestanden, dass die verlorenen Spiele drinnen bleiben, sonst hätte ich ja den Film nicht erzählen können. Dass es ausgerechnet Spiele gegen die USA und Japan waren, war für sie besonders bitter, für uns stattdessen ein gewisser Glücksfall, weil wir dadurch die Verfeindung mit diesen Staaten gut einflechten konnten.

Ich bin dann nach der Filmvorführung unverrichteter Dinge nach Hause gefahren und habe zwei Jahre dafür gekämpft, dass er auf dem nordkoreanischen Filmfestival laufen kann. Und letztes Jahr war es dann so weit, aber nur in einer halboffiziellen Vorführung ohne einheimisches Publikum und mit einer ganz schlechten Kopie. Mein Traum, dort mit Blumenstrauß und Ehrungen für meinen Film empfangen zu werden, hat sich also nicht erfüllt (lacht). Aber etliche der Fußballerinnen waren da, haben Familienmitglieder und FreundInnen mitgebracht. Ich glaube sie haben mir mittlerweile verziehen, dass ich ihre Niederlagen thematisiert habe.

dieStandard.at: Ihr Tipp für die nahende Fußball-WM?

Weich: Ich bin Fan und deshalb total parteiisch. Natürlich wünsche ich ihnen, dass sie soweit kommen wie möglich, aber ich glaube, dass die Deutschen wieder Weltmeisterinnen werden. ES ist durchaus realistisch, dass sie über die erste Gruppe hinauskommen. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 9.6.2011)