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Hilfe aus dem Fernsehen, oder: Das "Susi"-Prinzip

Foto: AP/Rahoul Ghose

Die Klassengesellschaft feiert in Diskussionen um TV-Formate ein Revival. Zwar zeugen die vielen Anführungszeichen von einem gewissen Unbehagen beim Gebrauch von Bezeichnungen wie Unterschicht, dennoch scheint bei Formaten wie "Saturday Night Fever" oder "Die Lugners" ohne diese Kategorisierung nichts mehr zu gehen. Harald Schmidt sprach im Zuge seines Wechsels zur ARD (2004) salopp vom "Unterschichtsfernsehen" der Privat-Sender und prägte somit einen Begriff, der mittlerweile aus den Feuilletons nicht mehr wegzudenken ist.

Die Tagung "Klassenproduktion: Fernsehen als Agentur des Sozialen", die vom 9. bis 11. Juni vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien veranstaltet wurde, befasste sich mit Phänomenen wie der Rede vom "Unterschichtenfernsehen" im Speziellen, und mit Fernsehkonsum und seine Rezeption im Allgemeinen. Andrea Seier und Thomas Waitz konzipierten die Tagung, die besonders auf die Untersuchung von Fernsehen als Instrument sozialer Differenzierung fokussierte.

Zu einem solchen Differenzierungsprozess gehören auch die bereits angedeuteten Debatten zwischen selbsternannten QualitätsverfechterInnen und TV-ProduzentInnen, so Seier und Waitz in ihrem Einführungsvortrag im Wiener Depot. "Unterschicht" oder "neue Armut" spielen für Bewertungen bestimmter Formate zunehmend eine Rolle und bilden auch wichtige Bezugspunkte für verschiedenste Qualitäts-Zeitungen, die sich auf Seiten des guten Geschmacks positionieren. Dabei bezieht man sich auf "Geschmacksurteile, die auf scheinbar selbstverständliche kulturelle Werthaltungen rekurrieren", erklärte Waitz diesen Prozess der Festigung sozialer Differenzen. Die besorgten VerfechterInnen von Niveau und Qualität brauchen in diesem Prozess somit die immer öfter als Unterschicht Markierten dringend, um sich und andere ihres besseren Platzes in der Gesellschaft zu versichern. Dabei kann das Vokabular auch schon mal etwas ruppiger werden: So sprach etwa Jens Jessen in "Der Zeit" von der "bezahlten Verblödung für das Volk" und Michael Jürgs, Autor des Buches "Seichtgebiete", redete gar von "der Blödheit derer da unten", konkret würde er damit "fettarschige Legginsmädchen" meinen. 

"Die sind nun mal so" 

Was macht eine solche Beschwörung einer Verblödung, an der das Fernsehen schuld sein soll, so attraktiv? Für diese Frage hat Waitz bereits in der Tagungseinleitung einige Erklärungen: Um sich auf sozialer Ebene von anderen zu distanzieren und sie auf ihre (schlechteren) Plätze zu verweisen. Dem Fernsehen kommt dabei eine wichtige Rolle zu: Es bildet die sozialen Differenzen nicht nur ab, sondern bringt sie auch hervor und lässt sie als naturgegeben, selbstverständlich und unveränderbar erscheinen.

Von der neuen Klassengesellschaft ist aber nicht bloß unter diesen Vorzeichen die Rede, betonte Andrea Seier und sprach somit den Titel der Tagung an, der sich auch der "Klassen" bedient. Der sprachliche Rückgriff auf die Klassengesellschaft wird derzeit unter divergierenden politischen Vorzeichen geführt, so Seier. Während SozialwissenschafterInnen sich für den Begriff der sozialen Klassen einsetzen, weil sie sich damit eine Repolitisierung struktureller Benachteiligung erhoffen, verwenden ihn andere, um soziale Unterschiede zu festigen. Die TagungsmacherInnen wollen ihren Umgang mit Begriffen wie Schicht oder Klasse als Diskurseffekt des Sprechens über Fernsehen verstanden wissen.

In diesem Sinne gab es in den zweieinhalb Tagen einiges zu besprechen. Den Eröffnungsvortrag bestritt die britische Medienwissenschafterin Charlotte Brunson (Autorin von "The Feminist, the Housewife, and the Soap Opera"), die über "Digital housework and the changing aesthetics of television" sprach.

"Susi" und die Sorge um sich selbst

Rolf Nohr referierte über die von ihm so genannten "Susi"-Formate. "Susi" verwendete Nohr als Kurzformel eines Zitates von Michel Foucault, der "Sorge um sich selbst", die an die Stelle der Kontrolle von Herrschenden tritt und als Kontrollmechanismus hervorragend funktioniere. Konkret meint Nohr damit eine mediale Kontrollinstanz, die in der Figur des/der BeraterIn auftaucht, wie etwa der Schuldenberater Peter Zwegat aus dem Reality-Format "Raus aus den Schulden". Für ähnliche Sendungen interessierte sich auch Uwe Wippich in seinem Vortrag zur Verhandlung des Medial-Sozialen "Ich sehe was, was Du (noch) nicht siehst", indem er den mitunter absurden Kreislauf der beratenden Reality-Formate und ihre widersprüchlichen Anforderungen aufzeigte: Zuerst werden - wieder bei Schuldenberater Peter Zwegat - die Finanzen in Ordnung gebracht, dann kann zur emotionalen Arbeit übergegangen werden. Die/der PartnerIn wird gesucht und gefunden, die Kinder erzogen ("Die Super-Nanny"), der (gemeinsame) Garten wird tip top gemacht, das Auto getuned , die Figur in Form gebracht und anschließend wäre es wieder Zeit für Peter Zwegat.

Nur der soziale Abstieg macht Angst

"White trash" war das Thema von Ralf Adelmann in seinem Vortrag "Whatever ... frak!". Er thematisierte darin die Repräsentationen von "white trash" in US-amerikanischen Serien, die er unter anderem in Fragmenten wie intensiver TV-Konsum, großporiger Haut, toupierte Haare oder in sprachlichen Ausdrucksweisen verankert sieht. Auch das Wohnmobil oder der Trailer-Park ist nicht weit, wo "white trash" gezeigt werden will. Besonders interessant ist "white trash" vor allem in Hinblick auf die Abstiegsangst der in Serien immer häufiger vertretenen oberen Mittelschicht. So erinnert sich etwa Don Draper aus "Mad Men" in besonders brenzligen Momenten an seine Kindheit in einer sehr armen Farmersfamilie, ein Status, der das einzige ist, was dem smarten Don Angst einzujagen vermag.

Geschlossen wurde die Tagung von Andrea B. Braidt und Nicole Kandioler, die die Frage nach "Echten Lesben?!" und nach der klassenspezifischen Adressierung im reality/quality Queer TV stellten. Braidt und Kandioler fokussierten auf die Verschränkungen von Klassenproduktion und Queer TV anhand der fiktionalen Serie "The L-Word" und des Reality-Formats "The real L-Word". Letztere beansprucht "echte Lesben" in einem "echten L.A." zu zeigen und unterscheidet sich gegenüber "The L-Word" auch darin, dass die Protagonistinnen ihre unterschiedliche soziale Herkunft durch ihre kulturellen Präferenzen zum Ausdruck bringen, während soziale Schichten in der fiktionalen Serie keine Rolle spielen.

Ohne chauvinistische Erklärungsmuster

Die gut besuchte Veranstaltung zeugt von einem regen Interesse an einer Auseinandersetzung mit Fernsehen jenseits vereinfachter und chauvinistischer Erklärungsmuster über Konsum, KonsumentInnen und die Funktionen von Fernsehen. Der Ansatz der TagungsorganisatorInnen, Fernsehen als Diskursmaschinen statt als Blödmaschinen und somit als Teil des Sozialen zu verstehen, stellte sich als weitaus interessanter heraus. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 15. Juni 2011)