Bild nicht mehr verfügbar.

Trifft "gut gemeint" auch auf die Aufmachung der Protestbewegung zu? Kritikerinnen meinen Ja.

Foto: REUTERS/Olivia Harris

"Besser nicht wie eine Schlampe rumlaufen, wenn man nicht Opfer werden will." Das Gegenteil von gut ist "gut gemeint" und das dürfte der kanadische Polizist, dessen vielkolportierter Ratschlag an Frauen eine neue Protestbewegung gegen sexuelle Gewalt entzündet hat, begriffen haben. Die Lektion wurde von einem kanadischen Uni-Campus aus in die Welt getragen und schlägt medial so hohe Wellen, auch weil sich die Bewegung nicht "Anti-Sexismus"- oder "Anti-Gewalt"-Marsch nennt, sondern griffig "SlutWalk".

Kampf gegen Täter-Opfer-Umkehr

Als "Schlampen" demonstrieren vorwiegend junge Frauen für ihr Recht, zu tragen, was auch immer sie wollen, ohne dass sie das für Männer zu Freiwild macht. Hinter diesem augenscheinlichen Anliegen geht es den Aktivistinnen um den Kampf gegen die Täter-Opfer-Umkehr und gegen die Ohnmacht, Opfer zu sein. Es ist den SlutWalk-Initiatorinnen Sonya Barnett and Heather Jarvis samt Team auch gelungen, diese Botschaften in außeruniversitären und außerfeministischen Zirkeln zum Thema zu machen. Sicher spielt hier auch der hungrige Zeitgeist eine Rolle, der durch jüngste Fälle prominenter Männer, denen sexuelle Gewalt vorgeworfen wird, auf Spur gebracht wurde.

Zurückfordern, was einer nie gehörte?

Aber die neue Protestbewegung hat neben einem großen Bekanntheits- und Partizipationgrad auch einen schweren Stand bei geübten Frauenforscherinnen und Feministinnen. Das Wort "Schlampe" ist das Problem. Die SlutWalk-Aktivistinnen versuchen, diesen Begriff für sich einzunehmen, zu "reclaimen", also zurückzufordern. Ein Argument gegen diesen affirmativen Prozess lautet: Man könne nichts zurückfordern, was einer nie gehörte. "Schlampe" sei und bleibe ein verbaler Angriff auf Frauen, um sie zu beleidigen, zu verletzen und zu objektivieren.

Wenn sich schon Frauen selbst als "Schlampen" bezeichnen, legitimiere das eine verbreitete gesellschaftliche Haltung, sie auch als solche zu behandeln, meinte die britische Wissenschafterin Gail Dines im Streitgespräch mit Jarvis. Mit der Verwendung des Begriffs spiele man erst einer pornofizierten Sichtweise auf Geschlechterverhältnisse in die Hand. Andere feministische Stimmen aus dem angloamerikanischen Raum kritisieren den SlutWalk als unreflektiert und gegenüber vergangenen feministischen Bewegungen blind, denn seit den 70ern hätten die sich darin versucht, die Machtverhältnisse auch über sprachliche Neubesetzungen zu verändern – was nie geklappt hätte.

Demoform der weißen Mittelschicht

Ein weiterer Vorwurf richtet sich gegen eine vermutete Homogenität der Protestierenden: Sie könnten sich als privilegierte weiße Westlerinnen mit hohem Bildungsniveau leicht "Schlampe" auf die Körper malen, aber alle Anderen müssten derartige Statements am eigenen Leib ausbaden.

Und wieder ein anderer Einwand lautet, dass sich der SlutWalk überhaupt unter den falschen Bedingungen artikuliert: Nicht die "Schlampen" sollten im Mittelpunkt stehen, weil die eine Erfindung des Patriarchats sind und gar nicht existieren. Sondern die Täter, die es sehrwohl gibt, und denen es ganz egal ist, wie sich die Frau, die sie sich greifen, kleidet.

Zweck heiligt die Mittel?

Die Organisatorinnen selbst machen keinen Hehl daraus, vor ihrer Initiative nicht politisch oder organisiert aktiv gewesen zu sein und etliche Implikationen nicht miteinbedacht zu haben. Ihre Namenswahl rechtfertigen sie – denn das müssen sie mittlerweile – nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Mitbegründerin Jarvis selbst ist "Überlebende" sexueller Gewalt. Von "Opfer" will sie nicht mehr sprechen müssen – wieder eine sprachliche Veränderung, an der sie festhält. Die Aktivistinnen glauben daran, etwas verändern zu können; dass ihnen Ähnliches gelingt wie der LGBT-Community, die das Wort "queer" denjenigen entrissen hat, die es gegen sie verwendet haben.

Dieses hoffnungsvolle Anliegen sollte man bei verständlicher Einforderung der Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontexts, in dem es formuliert wird, nicht zuschütten mit Lektionen von Wenn und Aber. Schon gar nicht so früh. Was prä Internet seine Zeit gehabt hätte, sich zu entwickeln, wird heute schnell aufgegriffen, besprochen und kritisiert, und mit all diesen Inputs sind die Aktiven wiederum unmittelbar konfroniert. Das kann nicht nur Chancen bedeuten, sondern auch Overkill. Die Wenns und Abers kommen meist von ganz allein, und bis sie da sind, kann sich bereits etwas verändert haben. Bei einigen zumindest. Darum geht's doch auch den Kritikerinnen. Die sollten die SlutWalks nicht schon unter der Kategorie "gut gemeint" ablegen und die "Schlampen" ihrer Wege ziehen lassen. (bto/dieStandard.at, 21.6.2011)