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Ein Archivbild aus dem Jahr 2005: So fühlt es sich für eine Frau am Steuer an. Immer mehr saudi-arabische Bürgerinnen wollen es wissen.

Foto: APA/Waseem Obeida

Riad/Wien - Mit der Bewegungsfreiheit fängt vieles an. In den 1920ern antwortete eine amerikanische Bäuerin auf die Frage, warum sie sich nicht für den Einbau eines Badezimmers im Haus, sondern für die Anschaffung eines Autos entschieden habe: "Mit der Badewanne kann ich nicht in die Stadt fahren." Ähnlich legten es die saudi-arabischen Frauen an, die den gestrigen 17. Juni zu ihrem Autofahrtag erklärten: möglichst wenig ideologisch, nicht politisch, ganz praktisch.

So wurde den Frauen des Königreichs, die sich am Freitag am Steuer eines Autos auf die Straße wagten, auf ihrer Facebookseite Woman2Drive als eine der Verhaltensmaßregeln vorgegeben, der Aktion eben keinen Kundgebungscharakter zu verleihen. Der einzige Aktionismus sollte sein, dass Videos von autofahrenden Frauen ins Internet gestellt würden.

Sonst solle frau - brav islamisch gekleidet wie immer; manche, die sonst keinen Schleier tragen, werden es gestern getan haben - mit dem Auto den täglichen Verrichtungen nachgehen, Kinder zur Schule bringen, Verwandte im Spital besuchen. Was der normale Mensch eben so tut, und wozu er oder sie ein Auto braucht. Konvois und Ansammlungen seien zu vermeiden - ebenso aber auch einsame Straßen und Gegenden.

Gefahr für den Anstand

Denn der Religionspolizei, die auch prompt anrückte, um die ohnehin eher spärlich gesäten Chauffeusen ausfindig zu machen, sich dann aber offenbar ruhig verhielt, ist einiges an Brutalität zuzutrauen. Es gibt ja kein eigentliches Gesetz in Saudi-Arabien, das Frauen das Autofahren verbietet, sondern es handelt sich um ein in Rechtsgutachten religiös begründetes, moralisches Gebot, es nicht zu tun: Autofahren fördert sozusagen die Promiskuität, weil sie die - im Frühislam allerdings nur den Frauen des Propheten auferlegte - weibliche Segregation, die die Frauen im Haus hält, durchbricht. Was Frauen, die zuwiderhandeln, in ein amoralisches Licht rückt, das sie zu Freiwild macht.

Von Übergriffen auf die geschätzten mehrere Dutzend Frauen, die sich in Riad, aber auch in anderen Städten ans Steuer begaben, wurde jedoch vorerst nichts bekannt. Die Organisatorinnen äußerten eine gewisse Enttäuschung darüber, dass nicht mehr Frauen unterwegs waren.

Den Fahrerinnen war auch empfohlen worden, ihre Autos mit nationalen Emblemen - der Flagge, dem Bild des Königs - zu versehen: Es handelt sich eben nicht um eine Rebellion gegen den Staat, war die Botschaft. Ein männlicher Verwandter mit von der Partie wäre auch hilfreich, riet Women2Drive. Viele saudi-arabische Männer finden das Frauenfahrverbot ebenso vorgestrig wie die Frauen. Sie sind auch insofern Leidtragende, als sie ihre weiblichen Familienangehörigen herumkutschieren müssen. Oder das Haushaltsbudget, das in vielen Familien in Saudi-Arabien auch nicht mehr so üppig ist wie früher, muss einen Fahrer tragen.

In ländlichen Gegenden, wo die Wege länger, der Staat jedoch ferner ist, werden Frauen am Steuer stillschweigend geduldet. Auch die erste große weibliche Autofahraktion im November 1990 hatte einen praktischen Anlass (oder Vorwand): Damals stand der Krieg gegen den Irak unmittelbar bevor, und 47 Fahrerinnen wagten sich in Riad auf die Straße, um zu zeigen, was in Krisenzeiten gefragt sein könnte.

Die jetzige Bewegung wurde Ende Mai von der 32-jährigen IT-Fachfrau Manal al-Sharif ausgelöst, die nach ihrer demonstrativen Autofahrt in Khobar, die sie ebenfalls dokumentierte und ins Internet stellte, zehn Tage in Haft war. Das harte Durchgreifen der Behörden mag viele Frauen abgeschreckt haben, am 17. Juni teilzunehmen. Laut Aktivistinnen gilt die Aufforderung zum Fahren aber nicht nur für Freitag, sondern ab Freitag für die Zukunft.

Kein arabischer Frühling

Das Königreich Saudi-Arabien, in dem mit dem Wahhabismus eine besonders strenge salafitische Ausrichtung des Islam herrscht, widersetzt sich bisher jeder arabischen Frühlingsluft. Möglichen sozialen Kundgebungen kam König Abdullah (87) zuvor, indem er Milliarden ausschüttete. Jede Unruhe unter den diskriminierten Schiiten wird hart unterdrückt. Die politische Rechtlosigkeit der Frauen ist kaum ein Thema. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe 18./19.6.2011)