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Die Medien sprachen bisher gern von einer "Sex-Affäre": Nun feiern sie Strauss-Kahn als rehabilitiert, obwohl die Vergewaltigungsfrage überhaupt nicht geklärt ist.

Foto: Reuters/GONZALO FUENTES

"Niemand ist perfekt". Das bewies jüngst erst der Profil-Herausgeber Christian Rainer mit seinem in der Netzcommunity bereits hart abgestraften Blog-Eintrag zur Natur des Mannes oder dessen, was er darunter versteht. Jedes Wort über diesen unsäglichen, hingeschmierten Kommentar ist zuviel, bzw. sehr gut in der 140-Zeichen-Welt von Twitter aufgehoben. 

Schwurgericht belogen

Viel wichtiger und interessanter ist allerdings die Diskussion um die unperfekte Existenz einer anderen Person, die jetzt seit zwei Tagen die Schlagzeilen beherrscht: Jener Frau, die als Kronzeugin im Vergewaltigungsprozess gegen Dominique Strauss-Kahn in Erscheinung getreten ist. Laut jüngsten Enthüllungen ist das Zimmermädchen vermutlich in kriminelle Geschäfte verwickelt. Ein sehr guter ZIB-Beitrag erklärte zudem, dass ihr Falschaussagen nicht nur in Bezug auf ihr bisheriges Leben, sondern - und das sei das eigentlich relevante für die Staatsanwaltschaft - auch auf den Tathergang an jenem Tag im Mai nachgewiesen wurden: So soll die Frau nicht sofort nach der Tat ihre Arbeit unterbrochen und auf Hilfe gewartet haben, sondern vorher noch ein anderes Hotelzimmer sowie das von Strauss-Kahn (der inzwischen abgereist war) gesäubert haben. Dass sie das Geschworenen-Gericht in diesem wichtigen Detail belogen hat, beschädige ihre Glaubwürdigkeit am meisten.

Klage nicht mehr aussichtsreich

Bei letzterem handelt es sich um einen Klassiker bei Sexualdelikten. Die mutmaßlichen Opfer verstricken sich in Widersprüche, weil sie sich in dieser Ausnahmesituation nicht mehr an alle Details erinnern oder sie auch verwechseln. Für die Staatsanwaltschaft reichen die neuen Erkenntnisse jedenfalls aus, um den erwarteten Erfolg bei der Anklage gegen Strauss-Kahn in Zweifel zu ziehen. Die Staatsanwälte wissen natürlich, dass die Glaubwürdigkeit des Opfers bei Prozessen, wo Aussage gegen Aussage steht, von größter Bedeutung ist und sehen damit ihre Chancen schwinden, bei den Geschworenen einen Schuldspruch gegen Strauss-Kahn zu erwirken.

Aus frauenpolitischer Sicht besonders problematisch ist es, dass nun die zentrale Frage in dem Fall völlig in den Hintergrund tritt, nämlich die, ob Strauss-Kahn das Zimmermädchen tatsächlich vergewaltigt hat. Als ob der Umstand, dass eine Frau eventuell kriminell oder verwirrt ist, etwas an der Möglichkeit ändert, vergewaltigt worden zu sein.

Wenn es bei einem Verfahren schon hauptsächlich um die Kategorie "Glaubwürdigkeit" geht, dann sollte auch jene des Angeklagten betrachtet werden. Immerhin hat er laut Medienberichten anfänglich bestritten, zum beschriebenen Tatzeitpunkt überhaupt im Hotelzimmer gewesen zu sein. Erst dann, als seine Spermaspuren auf dem Kleid des Zimmermädchens ganz klar bewiesen, dass - etwas - passiert sein musste, räumte er konsensualen Sex mit der Frau ein. Es fragt sich, warum ein Mann, der in der Vergangenheit gern mit seinen verführerischen Leistungen in der Öffentlichkeit prahlte, konsensualen Sex verheimlichen musste. Was wollte er verbergen?

Niemand ist perfekt, auch keine Zimmermädchen mit Asylgeschichte. Warum aber gerade dieser Aspekt zur zentralen Frage in einem Vergewaltigungsprozess wird, lässt einmal mehr an seinen Grundprinzipien zweifeln. Die neue feministische Bewegung der "Slutwalks" quer über den Globus hat sich nicht zuletzt aufgrund dieses Umstandes formiert - und die Niederlage der Anklage gegen Strauss-Kahn wird sie erst recht nicht verstummen lassen. (freu, dieStandard.at, 3.7.2011)