Der Bruder schoss, der Vater schloss das Zimmer ab und wartete, bis sie tot war. Die Mutter stand vor der Tür. So starb die 21-jährige Tochter der Familie. "Ehrenmord" heißt das in der Türkei, denn Ceylan Soysal war mit ihrem Kind auf der Flucht. Der Onkel hatte sie vergangene Woche auf dem Busbahnhof von Adana gefunden und zurück nach Hause gebracht. Eine Sicherheitskamera in der Busstation hatte mitgeschnitten. Sie zeigt den Onkel, der die junge Mutter am Handgelenk packt und aus dem Warteraum führt. Noch am selben Abend war sie tot.

So geht das in der Türkei im Rhythmus von 36 Stunden - statistisch gesehen. 105 Frauen sind allein in der ersten Hälfte dieses Jahres von ihren Ehemännern und Verwandten umgebracht worden, haben Bürgerrechtsgruppen gezählt. 217 waren es im vergangenen Jahr.

Die neue Familien- und Sozialministerin will nun elektronische Fußfesseln für gewalttätige Männer einführen. "Wir werden die Justiz in den Fällen von Gewalt gegen Frauen stärken", kündigte Fatima Sahin an. Nach der Sommerpause soll das Gesetz ins Parlament. Bürgerrechtler begrüßen den Schritt, halten ihn aber nicht für ausreichend. Der Tod von Ceylan Soysal, schnell beschlossen im "Familienrat", zeigt, dass die Gewalt gegen Frauen tiefere Wurzeln hat. Gegen mörderische Moralvorstellungen hilft keine Fußfessel.

Ob der elektronische Sender Tugba Özbek gerettet hätte, eine 38-Jährige, die sich von ihrem Mann scheiden ließ und bei ihren Eltern Zuflucht suchte, ist auch alles andere als sicher. Özbeks Ex-Ehemann setzte Anfang Juli ihre Wohnung im Istanbuler Stadtteil Bayrampaşa in Brand. Die Frau kam in den Flammen um, zusammen mit ihrem elfjährigen Sohn und einem Onkel. Es war ein angekündigter, für die Justiz vorhersehbarer Mord.

Der Ehemann, Sükrü Öksüzoglu, hatte seine Frau schon 2009 auf der Straße niedergestochen. Gerade einmal fünf Stunden wurde er damals nach der Tat auf einer Polizeiwache festgehalten. Die Beamten und den zuständigen Staatsanwalt kümmerte nicht, dass es ein Gerichtsurteil gab, das Öksüzoglu untersagte, sich dem Haus der Familie zu nähern. Hätte der Gewalttäter schon eine Fußfessel getragen, wäre es wohl nicht anders gekommen. Der Anwalt Onur Tatar sagt über die Geisteshaltung türkischer Polizisten: "Ihre Einstellung ist: Er ist dein Ehemann. Er kann dich lieben oder schlagen."

Kein Schutz nach Scheidung

Tatar war einer der Anwälte im Mordfall "Ayşe Paşali", einem Prozess, der das Land und seine PolitikerInnen aufgerüttelt hat. Paşali war im Dezember 2010 mitten in Ankara von ihrem Ex-Ehemann niedergestochen worden. Der Mann, der seine Ehefrau jahrelang geprügelt hatte, kündigte den Kindern den Mord an. Doch ein Richter entschied, Ayşe Paşali brauche nach der Scheidung keinen Schutz mehr, weil es ja auch keine Familie mehr gäbe. Die 41-Jährige wurde gewissermaßen für vogelfrei erklärt. Nun hat die Justiz in Ankara zwei Staatsanwälte ernannt, die sich ausschließlich mit Gewaltverbrechen gegen Frauen beschäftigen sollen.

Nur zwei Tage nach der Ankündigung der Fußfessel durch Familienministerin Sahin, der führenden Frauenpolitikerin der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP, wurde ein weiterer Justizskandal bekannt. In einem Krankenhaus in Balikesir, im Westen der Türkei, ließ eine Frau ihre Brandwunden behandeln. Der Ehemann der 29-jährigen Aysel Ulusu, ein notorischer Gewalttäter, hatte sie dieses Mal mit Säure übergossen. Einen Tag behielt ihn die Polizei im Gewahrsam, dann ging er wieder nach Hause. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.8.2011)