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Kathy Witterick mit Storm im Vordergrund. Im Hintergrund: David Stocker mit Jazz.

Foto: AP/STEVE RUSSELL

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Jazz und Storm.

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Jazz mit Botschaft...

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"Wir haben uns dafür entschieden, das Geschlecht von Storm nicht bekannt zu geben. Es ist ein Tribut an die Freiheit und an die Wahl", so der Inhalt der E-Mail von Kathy Witterick und David Stocker nach der Geburt ihres Kindes Storm an ihre FreundInnen und Angehörige. Der/die inzwischen siebenmonatige Storm, so die Idee der in Kanada lebenden Familie, soll sich das Geschlecht einmal selbst aussuchen. Über das biologische Geschlecht Storms wissen bisher nur die Eltern, die beiden Geschwister und jene Personen, die bei der Geburt dabei waren, Bescheid.

Als erstes, so erzählen es die Eltern gegenüber der Zeitung "Toronto Star", wurde diese E-Mail mit Schweigen quittiert. Schließlich jedoch prasselten die Reaktionen auf sie ein. Storms Großeltern etwa antworteten unterstützend, nahmen dem Paar jedoch übel, dass sie ihren FreundInnen und ArbeitskollegInnen erklären müssen, dass sie ein "geschlechtsloses" Enkelkind haben. FreundInnen der Familie hingegen warfen dem Paar vor, einem Baby deren Ideologie aufzuoktroyieren. Ebenso wurden sie mit der Frage konfrontiert, was denn sei, wenn Storm in die Schule oder in den Kindergarten kommt. "Kinder können doch so grausam sein" bekamen die unkonventionellen Eltern zu hören.

Ist es ein Bub oder ein Mädchen?

"Die erste Frage, wenn ein Kind geboren wird - selbst von Menschen die einem sehr nahe stehen - lautet stets: 'Ist es ein Mädchen oder ein Bub?'", ärgert sich Witterick. Und der Kindesvater fügt hinzu: "Wenn Sie jemanden kennenlernen, fragen Sie auch nicht, was er oder sie zwischen den Beinen hat". Witterick und Stocker gehen von der konstruktivistischen Annahme aus, dass das Benennen des Geschlechts den Rest des Lebens maßgeblich beeinflusst. Durch ihr Experiment dekonstruieren sie eines der zentralen Identitätsmerkmale: Sie wollen, dass Storm die Frage des Geschlechts selbst treffen kann und wird.

Jazz und Kio, die beiden älteren Kinder von Witterick und Stocker, wissen über ihr biologisches Geschlecht Bescheid, entscheiden aber selbst, wann und wie sie ihre Haare geschnitten haben wollen und ob sie lieber "Mädchen-" oder der "Buben-Kleider" tragen. Der fünfjährige Jazz etwa trägt gerne rosafarbige Kleidung und seine Haare lang - am liebsten geflochten -, weil es ihm gefällt. Kio (zweijährig) mag rot und trägt sein Haar ebenfalls lang.

Geleitet durch die Wissbegierde von Jazz

Jazz beschloss außerdem nicht in die Schule zu gehen, sondern zuhause zu bleiben und dort zu lernen. Kathy Witterick meint dazu, dass sie sich durch die Wissbegierde ihres Kindes, nicht aber von einer Liste an Unterrichtsmaterial und Tests leiten lässt. Die Eltern unterrichten die Kinder zuhause, zumal Storms Vater ausgebildeteter Lehrer ist.

Ob so eine "Geschlechtsverheimlichung" funktionieren kann, hängt offenbar sehr stark davon ab, in welchem Ausmaß die Kinder in Institutionen außerhalb der Familie untergebracht werden. Wenn Kinder in Österreich zum Kindergarten oder zur Krippe angemeldet werden ist es Pflicht, Name und Geschlecht des Kindes anzugeben. Welche Konsequenzen eine Geschlechtsverheimlichung vor den Behörden hätte, ist unklar, denn dieser Fall sei noch nie eingetreten ist, meint dazu die Sprecherin der zuständigen Magistratsabteilung, Sabine Cizek, gegenüber dieStandard.at.

Die an der Johannes-Kepler-Universität tätige Juristin Elisabeth Greif präzisiert, dass die Angabe des Geschlechts eines Neugeborenen in Österreich durch das Personenstandsgesetz geregelt ist und durch die Personenstandsverordnung ergänzt wird. Diese gesetzliche Regelung gibt vor, dass das Geschlecht des Kindes aufgrund der Anzeige der Krankenanstalt oder der Geburtsbestätigung einzutragen ist. Da in Österreich bei Kindergarten- bzw. Schulanmeldungen Dokumente, wie auch die Geburtsurkunde vorgelegt werden müssen, sei es demnach faktisch unmöglich das Geschlecht eines Kindes zu unterschlagen.

..."weil er ein Bub ist"

Die Familie Witterick ruft indes auch im kanadischen Alltag genügend Echo hervor. "Die meisten Menschen glauben, dass unsere Buben Mädchen sind. Eine Verkäuferin etwa weigerte sich, Jazz eine rosa Lederboa zu verkaufen, 'weil er ein Bub ist', so Witterick gegenüber dem "Toronto Star". Die Eltern erwidern solche Verhaltensweisen üblicherweise nicht und überlassen es den Kindern, etwaigen Reaktionen zu begegnen. Klarerweise, so Witterick, sprechen sie mit ihren Kindern über Geschlecht und Geschlechterrollen.

Grund der Verheimlichung

Aber was soll sie schon erklären? Sie sind Buben und mögen die Farben rosa und lange Haare. "Schließlich werden wir alle irgendwann über unsere Äußerlichkeiten beurteilt", resümiert die dreifache Mutter. Allerdings waren die Reaktionen auf ihren Erziehungsstil, der ganz und gar nicht den traditionellen Vorstellungen der Gesellschaft entspricht, ausschlaggebend dafür, das biologische Geschlecht von Storm nicht zu verraten.

Dieser Entschluss braucht mehr Energie als sich dem traditionellen Geschlechterkonstrukt anzupassen, erzählen sie. Der Plan des Paares ist, das Geschlecht von Storm so lange geheim zu halten, so lange sich Kio und Jazz dabei wohl fühlen. "Jede/r fragt uns, wann wir endlich damit aufhören", so Witterick. "Und wir weisen die Frage immer zurück: Ja, wann wird es aufhören, dass Menschen nicht selbst entscheiden können, wer sie sind?" (dieStandard.at, 3.8.2011)