Aus dem Archiv: AbtreibungsgegnerInnen in den 1990er Jahren vor dem Ambulatorium am Fleischmarkt.

Foto: Christian Fischer

"Es wird ja eine ganze Personengruppe, nämlich die Frauen, nicht ernst genommen, wenn es in ganz Westösterreich kein Angebot [zum Schwangerschaftsabbruch; Anm.] gibt. Das geht nicht." Nein, das ist keine Aussage aus den 1970er Jahren, sondern wurde diese Woche von Gesundheitsminister Alois Stöger getätigt. Er fordert die Krankenhäuser im Westen Österreichs auf, endlich Schwangerschaftsabbrüche anzubieten und koppelt dies an die Finanzen im Zuge der Spitalsreform. Chapeau!

Was sich in den 1970er Jahren, als die Fristenlösung von Autonomen- und den SPÖ-Frauen errungen wurde, in den politischen Arenen und den Straßen Österreichs abspielte, findet erneut in den heimischen Amtsstuben, Sakristeien, aber auch im Forum von dieStandard.at statt. Es ist, um im Jargon der AbtreibungsgegnerInnen zu sprechen, keine Offenbarung, dass die Argumente heute wie damals die Gleichen sind.

Parallelen zum letzten Jahrhundert

Familienminister Reinhold Mitterlehner lässt wissen, dass der "Vorstoß" von Gesundheitsminister Stöger ein "falsches Signal" ist. Es gehe ihm vielmehr darum "Mut zum Kind" zu machen. Nachdem die Fristenlösung 1975 durchgesetzt wurde, bemühten sich Frauen darum, entsprechende Strukturen auch in den westlichen Bundesländern aufzubauen. Von einem "Vorstoß" zu sprechen ist nicht nur jenseitig, sondern lächerlich. Einen treuen Mitstreiter findet der Familienminister übrigens in Bischof Küng, der ebenso von "falschen Signalen" spricht. Und ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, selbst aus dem Westen Österreichs, fügt ganz unverfroren hinzu, dass "Abtreibung keine staatliche Aufgabe ist". Die Parallelen zum vergangenen Jahrhundert sind erstaunlich.

Ebenso wie in den 1970er Jahren sind Frauen im Zuge von Abbruchsdebatten auch heute Nebendarstellerinnen oder eben potentielle Mörderinnen. Begriffe wie Zygot und Fötus werden durch die Begriffe "Leben" und "Kinder" ersetzt. Ein Charakteristikum der AbtreibungsgegnerInnen ist zudem das Unsichtbarmachen der Frauen und das Bestimmen von Männern über Frauen. Der Kinderwunsch gilt dabei nach wie vor als "normaler" und "natürlicher Lebensinhalt" der Frauen.

...die seelischen Folgen

Im Forum von dieStandard.at wiederum äußern sich UserInnen über "die schlimmen seelischen Folgen" eines Schwangerschaftsabbruchs. Auch die Propaganda der 1980er Jahre stieß in dieses Horn. Nicht nur die ProtagonistInnen von "Aktion Leben" sondern auch MedizinerInnen, JuristInnen und PolitikerInnen schwadronierten, dass jede Frau nach einem Abbruch einen psychischen Schock erleiden würde, den sie nicht überwinden könne. Wissenschaftlich konnte diese Behauptung bis jetzt nicht bestätigt werden. Aber: Diese Propaganda setzt sich in den Köpfen der Frauen fest, sodass viele Frauen erwarten, dass es so sein wird.

AbtreibungsgegnerInnen griffen in Westösterreich in den 1980er Jahren zum Film "Der stumme Schrei". In allen Schulen wurde dieser Film, in dem propagiert wird, dass der Fötus während der Abtreibung schreit, gezeigt. Wenn es darum geht, ein selbstbestimmtes Leben von Frauen zu verhindern, spielt "Aktion Leben" seit jeher eine zentrale Rolle. In Tirol feierten sie ihren Auftakt mit der Ausstellung "Laß mich Leben" - diese nahm 1972 in Innsbruck ihren Ausgang und wurde schließlich in allen Tiroler Bezirken gezeigt. 1973 rief "Aktion Leben" zu einem Schweigemarsch auf, an dem sich 10.000 TirolerInnen beteiligten, darunter auch der damalige Landeshauptmann. Mit beinahe 900.000 Unterschriften waren sie per Volksbegehren gegen die Fristenlösung aktiv - 100.000 Unterschriften davon allein aus Tirol.

Reaktionäres Klima

Im Gegensatz zu Restösterreich herrscht im Westen ein besonders katholisch geprägtes Bewusstsein, das alle gesellschaftspolitischen Bereiche durchdringt. Die nach wie vor von konservativen Kräften geführte Ärztekammer etwa, nimmt dabei eine bedeutende Rolle ein. Denn exponiert sich eine Ärztin/ein Arzt als BefürworterIn, muss sie/er mit Karrierebrüchen oder anderen Schwierigkeiten rechnen. An der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck wurde in den 1970er Jahren ein Beschluss gefasst, dass grundsätzlich keine Schwangerschaftsabbrüche im Sinne der Fristenlösung durchgeführt werden dürfen. Dieser Beschluss gilt bis heute.

Ewiggestrige in Rage

Dadurch wird ein Klima geschaffen, das die Kontrolle über weibliche Sexualität und Generativität verstärkt. Es geht ihnen dabei darum, Frauen zwingen zu können, Kinder zu bekommen, auch wenn sie selbst es nicht wollen. Denn haben Frauen das Selbstbestimmungsrecht, entscheiden Frauen selber und das bringt die Ewiggestrigen in Rage. Frauen keine öffentliche Einrichtung für Abtreibungen anzubieten und sie dadurch in andere Bundesländer oder ins Ausland zu verweisen ist reine Heuchelei.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass bereits in den 1990er Jahren - freilich nur für Heterosexuelle - die In-vitro-Fertilisation auf Kosten der Krankenkassen eingeführt wurde. Diese kostet um ein Vielfaches mehr als eine Abtreibung. Hingegen bleibt Abtreibung bisher Privatsache - an eine Bezahlung durch die Krankenkassen ist in diesem reaktionären Klima gar nicht zu denken. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 4.8.2011)