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Das aktuellste Kapitel über feministischen Aktivismus: Die "SlutWalks".

Foto: AP/JOSH REYNOLDS

"Nein heißt Nein", das stellten schon Feministinnen der zweiten Frauenbewegung klar. Dass dieses "Nein" zu Sex einer Frau auch Ende der 90er noch immer nicht viel bedeutete, zeigte unter vielen anderen Beispielen ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes in Italien. Das so genannte "Jeans-Urteil" beinhaltete die absurde Feststellung des Gerichts, eine Frau in einer Jeans könne nicht vergewaltigt werden, da man einer Frau gegen ihren Willen eine enge Jeans nicht ausziehen könne. Und dasselbe Oberste Gericht legte im Jahr 2000 noch mit einem Urteil nach, das besagte, wenn eine Frau nach wenigen Minuten dem sexuellen Drängen eines Mannes nachgebe, wird das als Einverständnis gedeutet und gelte nicht als Vergewaltigung. Viel Interpretationsspielraum für das "Nein" von Frauen also.

Und auch Jahre später ist die Ansicht, Frauen seien zum Teil selbst für die an ihnen ausgeübte sexuelle Gewalt schuld, weit verbreitet. Ein aktuelles folgenreiches Beispiel lieferte im Frühjahr ein kanadischer Polizist, der bei einem Vortrag den Rat gab, sich doch bitte nicht wie eine "Schlampe" anzuziehen, wenn frau nicht Opfer von sexueller Gewalt werden wolle. Als Reaktion auf diese Aussage und auf alle anderen Fälle von Schuldumkehr formierten sich AktivistInnen unter dem Schlagwort "Slutwalk" und demonstrierten seither in über 70 Städten rund um den Globus. Inzwischen gibt es auch nicht nur Freude und Zuspruch über das neueste Kapitel des feministischen Aktivismus (dieStandard.at berichtete).

Eine von zehn Vergewaltigungen

Was aber sagen jene dazu, die tagtäglich mit Opfern von sexueller Gewalt zu tun haben? dieStandard.at fragte nach, wie die "SlutWalks" von jenen Österreichischen Einrichtungen eingeschätzt werden, die die Geschichten über sexuelle Gewalt im konkreten zu hören bekommen: über die schweren Entscheidungen für oder gegen eine Strafanzeige und über die Enttäuschungen, wenn Frauen nicht zu ihrem Recht kommen bzw. die Täter nicht zu ihrer Strafe. Verena Vlach vom Verein Tara in Graz verweist auf eine Untersuchung* von 100 Strafakten wegen Vergewaltigung in Wien, die zeigte, dass von diesen 100 nur 30 zur Anzeige gebracht wurden und es davon nur bei 18 zu einer Verurteilung kam. Hinzu kommt, dass in Österreich nur jede zehnte Vergewaltigung überhaupt angezeigt wird. Der Grund: "Die Frauen haben Angst, dass man ihnen nicht glaubt oder ihnen die Verantwortung dafür zuschiebt", erklärt Vlach. Sie begrüßt daher die "SlutWalks" sehr und freut sich, dass so viele junge Frauen "auf den sexualisierten Blick auf das weibliche Geschlecht aufmerksam machen". Auch findet sie es enorm wichtig, dass die AktivistInnen die verschiedensten Mythen über Vergewaltigung in Angriff nehmen. So würden die sexuellen Übergriffe meist von den Opfern bekannten Männern verübt, "und nicht weil man auf dunklen Straßen unterwegs war und die 'falsche Kleidung' trug", so Vlach.

Auch für andere Beratungseinrichtungen ist die Arbeit gegen solche Mythen ein wesentlicher Verdienst der "SlutWalks". "Diese - in allen Gesellschaftsschichten existierenden - Mythen haben die Funktion, sexuelle Gewalt zu rechtfertigen", so Karin Weiß vom Frauennotruf der MA 57. Sie würden auch der Abwehr von Ängsten vor sexueller Gewalt dienen: "Wenn man daran glauben kann, dass Opfer durch 'Fehlverhalten' selbst schuld sind, dass 'normale' Männer keine Bedrohung darstellen und man sich nur 'richtig' verhalten oder 'kleiden' muss, um nicht Opfer zu werden, dann kann man sich selbst unverwundbar wähnen." Die Realität sieht aber anders aus: "Das Verhalten und die Kleidung von Frauen/Mädchen, die sexualisierte Gewalt erleben, beeinflusst das Verhalten der Täter nicht - der Täter allein ist verantwortlich dafür, dass er Gewalt ausübt. 'Aufreizende Kleidung', wie immer diese aussehen mag, kann nie die Ursache und/oder Rechtfertigung für Gewalt sein".

Ein weiteres weit verbreitetes Vorurteil sei laut Weiß das Bild vom Mann als triebgesteuertes Wesen, das außerstande sei, den Reizen der Frauen zu widerstehen. "Wegen diesen noch immer fest verankerten Bildern verfolgen wir mit großem Interesse die Meldungen über die 'SlutWalks'", so Weiß gegenüber dieStandard.at.

"Bewegung muss Gehör finden"

Auch die Frauen von der "Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen" sehen in der Intention dieser Bewegung eine zentrale frauenpolitische Aussage. "Es ist wichtig, dass schon Buben vermittelt wird, wenn eine Frau/ein Mädchen 'NEIN' sagt, meint sie das auch so", so Brigitte Vas von der Beratungsstelle. "Es darf nicht sein, dass Frauen bei männlichem Fehlverhalten eine Mitschuld am Geschehen zugesprochen bekommen. Von daher hoffen wir sehr, dass sich diese Bewegung weltweit verbreitet und Gehör findet."

"Auch wenn manche Frauen den Akt, das Wort Schlampe für sich kollektiv und affirmativ als Selbstbezeichnung zu nutzen, für nicht sehr vielversprechend halten, werden sie sich der Bewegung trotzdem anschließen", heißt es vom "Verein Notruf für vergewaltige Frauen und Mädchen". Denn die Hauptintention bestehe ja darin, für sexuelle Selbstbestimmung, gegen sexuelle Gewalt und deren Rechtfertigung einzutreten. Auch stehen die Frauen vom Verein dem Versuch der Verschiebung oder Auflösung der Bedeutung des Begriffes "Slut" positiv gegenüber. "Wenn eine Bezeichnung so unterschiedlich genutzt wird, verliert sie ihre Bedeutung. Wenn Schlampe alles oder jedEr heißen kann, heißt es letztlich wieder nichts." Dekonstruktion, Ironisierung, Umdeutung und Offenlegung des sich dahinter verbergenden Diskurses könnte durch die "SlutWalks" somit durchaus gelingen, heißt es von Seiten des Vereins.

Keine Zeit zu öffentlichen Stellungnahmen

Entgegen einiger Kommentare (SlutWalk is not sexual liberation und  Ladies, We Have a Problem) feministischer Autorinnen findet man in den Österreichischen Beratungsstellen für Opfer von sexueller Gewalt Einigkeit über die Sinnhaftigkeit der "SlutWalks" vor. Die noch immer funktionierende Täter-Opfer-Umkehr, die weitverbreiteten Vergewaltigungs-Mythen und die nach wie vor bei Vergewaltigungsopfern existierende Angst, vielleicht doch selbst verantwortlich zu sein, führen alle Vereine und Beratungsstellen als besonders drängende Probleme an, die mit den "SlutWalks" endlich medienwirksam thematisiert werden.

"Wir würden uns gern öfters öffentlich zu Wort melden und auch in diesem Sinne politische Arbeit leisten", so Vlach vom Verein Tara. So hätten sie etwa die Berichterstattung über den Fall Strauss-Kahn verfolgen müssen, ohne die Ressourcen zu haben, auch nur einen LeserInnenbrief schreiben zu können. Mit der vorhandenen Zeit müsse man sich voll und ganz auf die zur Beratung kommenden Frauen konzentrieren. "Deshalb sind wir sehr froh, wenn sich ein solcher Aktivismus entwickelt". (dieStandard.at, 7. August 2011)