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In Graz schnitten 2011 die Bewerberinnen besser ab.

APA / HELMUT FOHRINGER

Josef Smolle  ist Rektor der Medizinischen Universität Graz und Professor für Neue Medien in der Medizinischen Wissensvermittlung und -verarbeitung.

Foto: privat

Seit 2005 sind an den österreichischen Medizin-Unis bestandene Aufnahmetests Voraussetzung für ein Studium. Genauso lange kämpfen die drei Standorte Wien, Innsbruck und Graz mit einer niedrigen Erfolgsquote der Testteilnehmerinnen. So traten 2010 in Wien zwar 56,1 Prozent Frauen und 43,9 Prozent Männer bei den Tests an, aber nur 42 Prozent Frauen und 58 Prozent Männer konnten schlussendlich das Studium antreten. Obwohl Graz den angehenden Studierenden einen anderen Test als die Unis in Wien und Innsbruck vorlegt, verzeichneten in den vergangenen Jahren alle Medizin-Unis in Österreich ähnliche Ergebnisse, bis auf 2011. Heuer schnitten in Graz Frauen besser ab: Insgesamt stellten sich 2011 in Österreich zu 58 Prozent Bewerberinnen dem Auswahlverfahren - 51 Prozent der Zugelassenen zum Studium werden Frauen sein. Beate Hausbichler fragte beim Rektor der Medizinischen-Universität Graz Josef Smolle nach, warum sich Graz von Anfang gegen den "Eignungstest für das Medizinstudium" (EMS) entschieden hat und warum erst heuer die genderspezifische Differenz der Ergebnisse verkleinert werden konnte.

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dieStandard.at: In Graz schnitten heuer im Vergleich zu Innsbruck und Wien, die einen anderen Aufnahmetest anwenden, Frauen besser ab. Seit wann gibt es in Graz diesen speziellen Aufnahme-Test?

Josef Smolle: Schon seit der Einführung des Tests 2005. Wir haben uns schon zwei Jahre vorher Gedanken darüber gemacht, wie wir mit einem potentiellen Ansturm umgehen sollen. Die Auswahl der Studierenden ist eine der verantwortungsvollsten Aufgabe einer Universität, die wir ganz bewusst nicht aus der Hand geben wollten.

dieStandard.at: Was stört Sie denn an den Tests, die in Wien und Innsbruck durchgeführt werden?

Smolle: Jede Universität geht da einen eigenständigen Weg, den ich aber in keiner Weise kommentieren möchte. Wir setzen primär auf das Basiswissen des medizinischen Studiums und auf Fragestellungen, für die man lernen kann und auch lernen soll. Das heißt, wir haben keinen Intelligenztest, der praktisch dadurch definiert ist, dass er nicht erlernbar ist. Unser Test bringt mit sich, dass wir auch die Lernfähigkeit, Lernbereitschaft und letztlich auch das Engagement miterfassen. Wir sehen die Befähigung eines Menschen nicht als etwas statisches, das entweder gegeben ist oder nicht, sondern gehen von einer Entwicklungsfähigkeit des Menschen aus.

Wir testen auch die soziale Kompetenz. Bei dem sogenannten "Situational Judgement"-Test geht es um Situationen aus dem medizinischen Umfeld, die so dargestellt werden, dass sie für jeden Maturanten und jede Maturantin nachvollziehbar und fassbar sind. Es geht nicht um medizinische Fragen, sondern rein um soziale Interaktionen.

dieStandard.at: Wie viel des Gesamtergebnisses macht dieser Abschnitt aus?

Smolle: Zwischen zehn und zwanzig Prozent. Eine Erhebung über unseren Test zeigte, dass die TestteilnehmerInnen diesen Teil am wichtigsten finden. Das Signal, dass Medizin nicht nur Naturwissenschaft ist, sondern auch eine ganz wesentliche psychosoziale Komponente hat, ist für die AnfängerInnen sehr wichtig.

Salopp könnte man sagen, dass es bei diesem Abschnitt um Menschenbildung geht. Es gibt manchmal den Einwand, dass die Studierenden ja wüssten, was sozial erwartet wird und danach dann beurteilen. Aber dann haben sie wenigsten gelernt und verstanden, was das sozial erwünschte Verhalten wäre. Auch das ist ein wichtiger Schritt. Einen Test, bei dem man erfährt, ob jemand ein guter Mensch ist oder nicht, den gibt es halt nicht.

dieStandard.at: Sie haben diesen speziellen Test in Graz nun schon seit Jahren. Dennoch gab es z.B. im Jahr 2010 das gleiche Problem, das auch Wien und Innsbruck hatte: Mehr Frauen haben sich beworben, aber weniger Frauen traten das Studium an, weil sie am Test scheiterten. Warum konnte Graz dem erst 2011 entgegenwirken? Der Test hat sich ja von 2010 auf 2011 nicht verändert.

Smolle: Wir evaluieren unseren Test laufend und entwickeln ihn von Jahr zu Jahr weiter. Aus unseren Analysen über den Test wissen wir, dass wenn die Anwärter und Anwärterinnen die Zeit und Chance zum Lernen haben, die Mädchen mit den Burschen gleichziehen. Das bedeutet, dass man möglichst früh an die Schulen herantreten muss, die den Stoff erklären und den SchülerInnen zeigen, worauf sie sich vorbereiten müssen, denn: Je besser die Möglichkeiten zur Vorbereitung sind, desto eher ziehen die Mädchen mit den Burschen gleich. Wir haben den Eindruck, dass unsere Informationen in den Schulen immer besser wahrgenommen werden und viele engagierte Lehrpersonen und ihre SchülerInnen sich schon frühzeitig mit der Vorbereitung befassen.

dieStandard.at: Könnte man daraus schließen, dass sich die antretenden Burschen eher auf eine "naturgegebene Eignung" verlassen und Mädchen eher davon ausgehen, dass sie die Dinge erst erlernen müssen?

Smolle: Wenn jemand von sich sagt, ich will das und ich engagiere mich dafür, dann muss er oder sie auch die Chance haben, beim Test gut abzuschneiden. Das eine ist, dass Mädchen bei den naturwissenschaftlichen Fächern offenbar wirklich mit schlechteren Karten von der Schule kommen als die Burschen. Woher das kommt, kann ich nicht interpretieren. Aber es kann kein Zufall sein, dass sich das bei zwei verschiedenen Testverfahren so dargestellt hat. Und warum es auch bei uns in Graz nach einem Gender Gap aussah, hat des Weiteren den Grund, dass sehr viele Burschen erst ein Jahr nach der Matura antreten, weil sie noch Zivildienst oder Bundesheer machen müssen. So haben sie naturgemäß einige Monate mehr Zeit, sich auf die Tests vorzubereiten - im Gegensatz zu den frisch Maturierten, die nur ein paar Wochen Zeit haben und unter denen viele Mädchen sind. Wenn Mädchen auch ein Jahr später antreten, sind sie mit den Burschen wieder gleichauf.

dieStandard.at: Das Medizinstudium birgt nicht nur Barrieren für Frauen, sondern auch die Frage der sozialen Durchlässigkeit ist ein Problem. Gehen jene, die aus einer MedizinerInnen-Familie kommen, auch selbstverständlicher von einer Begabung für das Studium aus?

Smolle: Man muss vorausschicken, dass der Test mit einer klaren Punkteauswertung erfolgt, er ist also fern von jeder Willkür. Das gilt für alle drei Standorte. Ob jemand meint, er hätte Beziehungen oder nicht, ist völlig egal. Das ist zwar selbstverständlich, muss aber immer wieder in aller Deutlichkeit gesagt werden.

Zur Zeit des freien Zugangs haben ja nicht alle das Studium abgeschlossen. Es sind 50 bis 60 Prozent während des Studiums rausgeflogen, durch Ermüdung, Geldmangel - warum auch immer. Es wurde bisher noch nicht systematisch untersucht, inwiefern dieser Drop Out sozial selektiv war. Meine subjektive Wahrnehmung ist, dass die Gescheiten - ob arm oder reich - fertig geworden sind. Von den weniger Begabten hatten die mit einem guten finanziellen Hintergrund eher einen langen Atem, um das Studium abzuschließen, während die anderen gezwungen waren auszusteigen und in einen Beruf zu gehen.

In Bezug auf die jetzigen Aufnahme-Tests gehe ich davon aus, dass sie sozial absolut gerecht sind. Wenn es hier eine Asymmetrie geben sollte, dann müsste viel früher angesetzt werden. Man muss sich extrem viele Gedanken darüber machen, wie schon ab der Volksschule Chancengleichheit hergestellt werden kann.

dieStandard.at: Was schlagen sie für mehr Chancengleichheit vor?

Smolle: Ich finde etwa das verpflichtende Kindergartenjahr ist ein ganz wesentlicher Schritt, um auch Kinder in prekäreren Verhältnissen rechtzeitig in die Bildung zu integrieren. In der Volksschule müssen die basalen Kulturtechniken nachhaltig vermittelt werden. Wenn man sich den hohen Prozentsatz an PflichtschulabsolventInnen, die nicht sinnerfassend lesen können, vor Augen hält, hab ich den Verdacht, dass der Fehler sehr früh passiert. 

dieStandard.at: Wie sieht es mit StudienabbrecherInnen aktuell aus? Gibt es hier geschlechtsspezifische Unterschiede?

Smolle: In Graz haben vor Einführung der Tests etwa 50 Prozent abgebrochen, darunter waren mehr Frauen als Männer. Aktuell brechen zwischen vier bis fünf Prozent ab, wobei wir jetzt keine Unterschiede mehr zwischen den Geschlechtern haben. Diese geringere Rate und dass es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr gibt, ist seit der Einführung des Auswahlverfahrens so. Zur Zeit des freien Zugangs war somit die Drop out Rate bei Frauen deutlich höher.

dieStandard.at: Gibt es dafür eine Erklärung?

Smolle: Man muss sich vor Augen halten, dass sowohl der Test als auch das Studium nicht flächendeckend einen ganzen Jahrgang erfassen, sondern einfach Leute, die Medizin studieren wollen. Das ist eine bestimmte Auswahl, von der wir nicht wissen, wie sie zustande kommt. Eine Erklärung könnte sein, dass Mädchen vielleicht mit anderen Erwartungen an das Studium herangehen. Wir haben manchmal den Eindruck, dass sie von der naturwissenschaftlichen Komponente des Studiums eher auf dem falschen Fuß erwischt werden als Burschen. 

Es ist wichtig, dass wir es schaffen von den MaturantInnen gleich viele Mädchen wie Burschen in das Studium zu bekommen, denn natürlich gibt es gleich viel begabte Mädchen wie Burschen. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 28.8.2011)