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Essstörungen können tödlich verlaufen: Je länger die Erkrankung andauert und nicht behandelt wird, umso schlechter ist die Prognose.

Bild: Plakat der deutschen Aktion "WaageMut".

Foto: APA/dpa/Tom Melsea

Wien - 200.000 ÖsterreicherInnen waren laut Gesundheitsministerium zumindest einmal in ihrem Leben an einer Essstörung erkrankt. Betroffen sind vor allem sehr junge Menschen, 90 bis 97 Prozent sind Mädchen bzw. junge Frauen. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Zahl der Erkrankten mehr als verzehnfacht. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein.

Die extreme Zunahme zeigte sich bei den Aufzeichnungen (Österreichischer Frauengesundheitsbericht und Statistik Austria) über die Spitalsaufenthalte aufgrund von Essstörungen. Diese stellt jedoch nur die Spitze des Eisberges dar, da sie nur die schwerst Erkrankten widerspiegelt. Im Jahr 1989 wurden 269 Personen registriert. Bereits damals betrafen 89 Prozent der Aufenthalte Frauen. Elf Jahre später im Jahr 2000 waren es bereits 1.471 Spitalsaufenthalte, im Jahr 2008 schon 2.734.

Von allen 15- bis 20-jährigen Mädchen in Österreich leiden 2.500 an einer Magersucht, über 5.000 an einer subklinischen Essstörung, also an einer leichteren Verlaufsform. Unter 20- bis 30-jährigen Frauen findet man mindestens 6.500 mit Bulimie. In Wien besteht für mehr als 2.000 Mädchen und rund 100 Burschen ein akutes Risiko, an Magersucht oder Bulimie zu erkranken.

Erklärungsversuche zum Geschlechterunterschied

Während meist Mädchen und junge Frauen unter dieser Krankheit leiden, stellt laut Österreichischem Frauengesundheitsbericht die Betroffenheit bei Burschen und Männern noch eine Ausnahme dar. Bei Frauen sei der sichtbare körperliche sowie der endokrinologische, physiologische Übergang vom Mädchen- in das Erwachsenenalter transparenter, spürbarer, prägnanter und erfordere daher mehr psychische Anpassungsleistung als bei Burschen, heißt es in dem Bericht zu einer möglichen Begründung.

Essstörungen bei Mädchen beginnen laut Frauengesundheitsbericht ab elf Jahren, steigen kontinuierlich an und hat ihren Höhepunkt mit 16 Jahren. Je länger die Erkrankung andauert, umso schlechter sei laut Bericht die Prognose.

Folgen der Erkrankung

Die Liste der Folgen von Essstörungen ist lang und beunruhigend: Den Betroffenen ist ständig kalt (Untertemperatur), sie haben niedrigen Blutdruck oder Amenorrhoen (Ausbleiben der Menstruation). Im schlimmsten Fall kann das zur Infertilität führen. Die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko des Knochenabbaus (Osteoporose), verbunden mit einer verstärkten Neigung zu Knochenbrüchen. Durch das ständige Erbrechen ist der Elektrolythaushalt gestört, die Speiseröhre erhält Risse und es kommt zu Zahnproblemen wie Karies.

"Symptom für tiefer liegende Probleme"

Die Ursachen für Essstörungen sind in erster Linie nicht Schlankheitswahn: "Die Essstörung ist ein Symptom für tiefer liegende Probleme", erklärt Psychotherapeutin Anna Wexberg-Kubesch. Und diesen gilt es auf den Grund zu gehen. Meist seien frühe Gewalterfahrungen, sexuelle Gewalt, Leistungsdruck, das jeweils herrschende Frauenbild oder kulturelle Vorstellungen von Körper und Geschlecht in Verbindung mit Essstörungen zu sehen.

Eine Pauschaltherapie gebe es nicht, viel mehr sei ein Zusammenspiel eines gesamten Netzwerkes wichtig: praktische/r Ärztin/Arzt, Familie, PsychiaterIn, PsychotherapeutIn und eine Klinik mit Kinder- und Jugendpsychosomatik. "Ernährungsexperten sind sinnvoll und wichtig, aber sie werden erst zu einem bestimmten Zeitpunkt der Behandlung relevant", so Wexberg-Kubesch. 

Gemeinschaftlich-radikale Gewichtsabnahme

Viel Informationen holen sich Betroffene auch über das Internet. Foren, in denen sich Personen mit Essstörungen austauschen, sind laut Expertin Fluch und Segen. "Es ist für diese Menschen wichtig, zu wissen, dass sie nicht allein sind, und sich als Teil einer Gruppe fühlen." Andererseits könne das Problem dadurch noch verstärkt werden. Wexberg-Kubesch meint damit Foren, die sich der sogenannten Pro-Ana-(Pro-Anorexia-) bzw. Pro-Mia-Bewegung (Pro-Bulimie-Bewegung) "verschworen" haben. In diesen Kreis komme nicht jeder, Neo-Mitglieder müssten zunächst das Vertrauen der anderen gewinnen.

In Anlehnung an die Zehn Gebote oder sogenannten Ana-Psalms animieren sie sich dann zum gegenseitigen "Dünnsein". Als Vorbild dienen skelettartige Frauen, deren Fotos mit Fotoshop-Tricks aber oft verfälscht wurden. Mit Symbolen wie Elfen oder Schmetterlinge werde ihnen Leichtigkeit, aber auch Kindlichkeit vorgespielt. Ana- und Mia-AnhängerInnen erkennen einander mit Geheimnamen oder Armbändern. Die Forumsmitglieder würden sich gegenseitig noch unter Druck setzen, um die Gewichtsabnahme noch radikaler zu betreiben. "Gäbe es diese Foren nicht, würden sie sich auf anderem Weg Informationen holen. Auch vor dem Internet haben Frauen gewusst, wie sie sich zu Tode hungern. Verbote sind hier nichts Heilsames."

Gefährlichkeit des Essens

Eine neue Art von Essstörung, gefördert von den Medien, sei der Zwang "ganz, ganz, ganz gesund zu essen" und dabei nur ganz bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen - auch Orthorexia nervosa genannt. "Auch hier steht ein anderes Thema dahinter." Berichte über die "Gefährlichkeit des Essens" verunsichere die KonsumentInnen. Das innere Bild, dass Essen etwas Beruhigendes, Sicheres und Tröstliches ist, hätten Betroffene nicht mehr vor sich und der eigentliche Hintergrund - der Zwang zur Kontrolle - komme zum Tragen. (APA)