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"Meine Realität sieht anders aus als die Projektionen, die wir seit Jahrzehnten über Alice Schwarzer lesen."

Foto: AP/Ronald Wittek

Standard: Frau Schwarzer, in Ihrem wohl berühmtesten Buch "Der kleine Unterschied" von 1975 schreiben Sie: "Nachdem ich mich gründlich mit Problemen wie Abtreibung, Berufsarbeit und Hausarbeit beschäftigt habe, ist mir klar geworden, dass die Sexualität der Angelpunkt der Frauenfrage ist. Sexualität ist zugleich Spiegel und Instrument der Unterdrückung der Frauen in allen Lebensbereichen." Was hat Sie damals auf die Idee gebracht, dass die Sexualität das Schlüsselproblem ist?

Alice Schwarzer: Egal, worüber man in den 1970er-Jahren mit den Frauen redete - Beruf, Politik, Kinder -, immer wieder landete man bei dem Thema Liebe und Sexualität. Dieser Bereich war das Zentrum weiblicher Existenz und stark geprägt von den Verhältnissen, entzog sich jedoch vollständig jeglicher politischen Reflexion. Wie richtig ich damit lag, hat ja der ungeheure Erfolg des Buches gezeigt. Der kleine Unterschied wurde über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte leidenschaftlich diskutiert zwischen Frauen und Männern und in neun Sprachen übersetzt, bis hin ins Japanische. Das Problem war und ist also universell.

Standard: Würden Sie den Satz denn heute noch so schreiben?

Schwarzer: Ja und nein zugleich. Einerseits hat sich in der Sexualität dank der Emanzipation der Frauen und der Veränderungen auch bei den Männern in den vergangenen 30 Jahren Fundamentales verändert. Sexualforscher sprechen schon länger von einem "Trend zur kommunikativen Sexualität", Sex auf Augenhöhe auch zwischen Frauen und Männern. Gleichzeitig gibt es den Backlash - in Gestalt der "neuen Keuschheit" und dank der Pornografisierung unserer Kultur. Das sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Keuschheit predigt Entsagung. Die Pornografie propagiert das Gegenteil: Die Trennung von Körper und Seele durch die Verknüpfung von sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. Das hat Folgen. Wir haben es also auch in diesem so intimen und tiefgreifenden Bereich mit dem Fortschritt und Rückschritt zugleich zu tun.

Standard: Über die Jahre hinweg sind Sie zur öffentlichen Ikone des Feminismus in Deutschland geworden. Feminismus und Schwarzer sind fast ein Synonym. Das führt natürlich auch zu Generationenkämpfen. Die Medien lieben Ihre öffentlichen Streits mit Alphamädchen oder der Familienministerin Schröder, die den "alten Feminismus" für tot oder überholt erklären. Was unterscheidet diese neuen Feministinnen von den Frauen der älteren Generation?

Schwarzer: Ehrlich gesagt bin ich überzeugt, dass vieles von dem angeblichen Generationenkonflikt zwischen Feministinnen eine Medienmasche ist. Das gute alte Spiel des Generationen-gegeneinander-Ausspielens, Töchter gegen Mütter, Frauen spalten. Die von mir gegründete Zeitschrift Emma jedenfalls hat nicht nur Redakteurinnen zwischen 30 und 40, sondern auch die jüngsten aller Leserinnen deutscher Frauenzeitschriften. Was nun die aktuelle Familienministerin Schröder angeht, so hat meine Kritik selbstverständlich überhaupt nichts mit ihrem Alter zu tun, sondern mit ihrer Politik. Die CDU-Ministerin, die Mitglied einer christlichen Sekte ist, dreht die Fortschritte ihrer CDU-Vorgängerin von der Leyen zurück und propagiert ein 1950er-Jahre-Frauenmodell.

Standard: In Ihren Lebenserinnerungen, die Sie jetzt veröffentlichen, beschreiben Sie sehr bewegend Ihre frühen Jahre, den Weg zur Journalistin und auch, wie Sie über die Pariser Frauenbewegung zum Feminismus kamen. Die Bilder dokumentieren sehr schön auch die Wandlung der Zeiten. Sie beschreiben Ihren Weg als einen Prozess. Aber gab es eine Initialzündung, die Sie so unverrückbar zur Feministin gemacht hat?

Schwarzer: Nein, es war einfach von Anfang an so angelegt. Ich komme ja aus einer Familie, in der der Mann fürsorglich und einfühlsam war und die Frau zwar hoch politisiert und gerechtigkeitsfanatisch, aber familienintern durchaus destruktiv. Mir war also immer klar, dass Männer auch fühlen und Frauen auch denken können. Ich habe auch darum Frauen nie für das bessere Geschlecht gehalten und Männer für das schlechtere - sondern ich bin schlicht der Überzeugung, dass zu viel Macht die Menschen verdirbt.

Standard: Was mich immer an Ihnen verblüfft, ist Ihre Unbeirrbarkeit im Urteil. Man könnte sagen, Sie haben als Spielbein Ihren Witz und Ihre Ironie und als Standbein knallharte Überzeugungen. Das hat Ihre Aktionen immer zu Aufregern gemacht, angefangen von "Ich habe abgetrieben" bis zu "PorNo" oder Ihre Stellungnahmen gegen die Verschleierung muslimischer Frauen. Sie sind immer eindeutig in Ihrer Meinung. Gibt es keine Unsicherheiten?

Schwarzer: Ist es nicht auch beruhigend in Zeiten der grassierenden Beliebigkeiten, dass es noch Menschen mit Überzeugungen gibt, die ihr Mäntelchen nicht nach jedem Wind hängen? Ein Sozialist wird auch nicht plötzlich zum Kapitalisten, nur weil er ein bisschen "unsicher" ist. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass der Mensch frei geboren wird und alle Menschen ein Recht auf gleiche Chancen haben sollten, unabhängig von Geschlecht oder Rasse. Was sich ändert, sind die Verhältnisse und die Methoden. Dass zum Beispiel diese ukrainische Frauengruppe namens "Femen" ihre knallharten feministischen Proteste mit provokant blankem Busen und Blumenkränzen im Haar macht, das finde ich sehr komisch. Sie schlagen den Gegner mit dessen Waffen. Das hätten wir in den 1970er-Jahren nicht gemacht. Das ist die neue Ironie.

Standard: Sie schildern im Buch, dass Sie schon zu Beginn nie wirklich Teil der deutschen feministischen Bewegung(en) waren. Später gab es harte Grabenkämpfe. Wie waren Ihre Erfahrungen mit der österreichischen Frauenbewegung?

Schwarzer: Ich kann zu Österreich wenig sagen. Ich habe nie da gelebt. Ich vermute, es ist wie überall auf der Welt: Es gibt Pseudo-Feministinnen, die mit dem Etikett kokettieren; es gibt Reformistinnen, die es "nicht übertreiben" wollen; es gibt linke Feministinnen, für die der Klassenkampf beziehungsweise der Antiglobalismus das Übergeordnete ist; und es gibt die Universalistinnen, für die das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern das Grundproblem ist.

Standard: Sie haben viel über andere - auch deren Privatleben - geschrieben, über Petra Kelly und Gerd Bastian, Romy Schneider etc. Ihr eigenes Privatleben allerdings war streng unter Verschluss. Jetzt erwähnen Sie zum Mal Ihre eigenen Liebesbeziehungen zu Männern und zu Frauen. Warum habe Sie so lange damit gewartet?

Schwarzer: Ich habe über das Privatleben von Romy Schneider oder Petra Kelly nur insoweit geschrieben, als es unumgänglich war zum Verständnis der Person und vor allem: nach deren Tod. Ich halte gar nichts von dem grassierenden Exhibitionismus der Menschen, die auch noch ihr Intimstes öffentlich zum Fraß vorwerfen. Für Frauen ist das besonders heikel, denn sie werden ja immer über das Private definiert und interpretiert. Wenn ich mich jetzt dennoch entschlossen habe, über mein Leben zu schreiben, dann, weil ich glaube, dass es einerseits typisch und damit aufschlussreich ist für meine ganze Generation. Und weil ich andererseits Teil einer politischen Bewegung bin, über die wir mehr wissen sollten als nur Klischees. Meine Realität sieht natürlich ganz anders aus als die Projektionen, die wir seit Jahrzehnten über Alice Schwarzer lesen.

Standard: Sie sind ein Mensch, der polarisiert. Es gibt kaum eine Person des öffentlichen Lebens in Deutschland, die mehr beschimpft wurde als Sie. Sie müssen viel einstecken, und gleichzeitig teilen Sie auch kräftig aus, weil Kämpfen Ihnen Spaß macht. Was haben Sie eigentlich gefühlt, als Ihnen im Jahr 2005 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse überreicht wurde?

Schwarzer: Mit zunehmendem Alter sind solche Ehrungen anscheinend unvermeidlich. Wirklich berührt hat mich der Heine-Preis, nach meinem Lieblingsdichter, und der Pour le Mérite von meinem geliebten Frankreich.

Standard: Ihr "Lebenslauf" liest sich wie ein eindrückliches Resümee. Sie lassen alles Revue passieren und beschreiben Ihr Leben wie einen sehr lebendigen Kampf. Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?

Schwarzer: Ja. Ich habe Angst vor dem religiösen Fundamentalismus. Dem islamischen ebenso wie dem christlichen. Denn der setzt Menschenrechte und Demokratie für uns alle außer Kraft. Nicht nur für die Frauen.

(Die Fragen stellte Andrea Roedig, DER STANDARD, Printausgabe 1./2.10.2011)