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Chinesische ArbeiterInnen an den Nähmaschinen.

Foto: APA/EPA/Sherwin

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Pakistanische Frauen prüfen Hoodie-Nähte.

Foto: REUTERS/Faisal Mahmood

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Russische Frauen shoppen bei H&M.

Foto: REUTERS/Denis Sinyakov

15. Oktober Weltrevolution. Für die Menschenmasse in den Läden auf der Mariahilfer Straße, durch die sich der Demozug der Occupy-Bewegung ihren Weg zum Heldenplatz bahnt, lautet die Devise aber: Stil statt System verändern. Scharenweise stürmen vornehmlich Frauen in die Modegeschäfte großer Textilhersteller. Für jedes Geldbörsel gibt's was Passendes, so klein kann das Gehalt bzw. Taschengeld gar nicht sein, dass sich nicht noch ein wenig tragbarer Schnickschnack ausgeht.

Die andere Seite

Schauplatzwechsel. In Brasilien zahlt die beliebte Frauenmodemarke Zara lieber zig Mal Bußgeld wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht, statt in ihre ArbeiterInnen in Brasilien zu investieren. Erst im August wurden Ermittlungen gegen die Modekette wegen sklavereiähnlichen Zuständen in einem Zuliefererbetrieb nahe Sao Paulo aufgenommen. Über 50 Menschen, vor allem Frauen, aus Bolivien schuften dort bis zu 14 Stunden am Tag, unter gesundheitsschädigenden Bedingungen, für kaum Geld. Und derweil steigen die Gewinne des weltgrößten Mode-Einzelhändlers Inditex, dem Zara gehört.

Auch in Kambodscha lässt Inditex produzieren. Dort kippen pro Jahr über 1.000 ArbeiterInnen in den Textilfabriken einfach um. Genaue Ursachen kennt man nicht, Ermittlungen sind in Gange. Nicht-Regierungsorganisationen sehen die großen westlichen Unternehmen in der Verantwortung: zu lange Arbeitstage, 14 Stunden keine Ausnahme, und das bei Löhnen, die "living wages" nicht entsprechen. Menschen werden in diesem System ganz offenkundig ausgebeutet. In solchen Fabriken lassen auch viele andere Firmen ihre bei uns an jeder Ecke erhältlichen Kleidungsstücke herstellen. Marks & Spencer, Tesco, Next, Hennes & Mauritz.

Shops und Sweatshops

Wenn es um die weltweite Shop-Zahl geht, sind diese Modegiganten auskunftsfreudig. So betreibt Schwedenbombe H&M, nach Inditex der international zweitgrößte Kleider-Einzelhändler, mehr als 2300 Geschäfte in 40 Ländern. Branchenprimus Inditex aus Spanien ist gar mit 5.221 Geschäften in 78 Ländern vertreten.

Deutlich bedeckter halten sich die Riesen aber, wenn es um die Produktionsstätten geht; oft typische Sweatshops. Wir, die KundInnen, wissen es eigentlich alle: Wenn wir ein neues Leiberl bei einer dieser Ketten kaufen, muss irgendwo irgendwer dafür auch bezahlen. Aber was ändert dieses Wissen am allgemeinen Konsumverhalten? Schließlich braucht man Anziehsachen, schließlich haben auch wir immer weniger Geld in der Tasche, schließlich ist der Satz "Ich kann mit was anderes nicht leisten" nicht nur Totschlagargument, sondern entspricht immer mehr der Realität der Einzelnen in der globalen KonsumentInnenklasse.

Ewige Frage: Wo einkaufen?

Und zu der gehören wir, egal wie hoch oder niedrig das Gehalt ist. Wir gehören zu den 20 Prozent der Erdbevölkerung, die über ein Einkommen verfügen, das ihnen mehr als das reine Überleben sichert. Von denen, die unsere Kleidung herstellen, kann das nicht behauptet werden. Wie soll man sich also aus diesem Dilemma einen Weg bahnen in eine faire Welt für möglichst viele, am besten alle?

Wo man ohne schlechtes Gewissen noch einkaufen könne, sei die "ewige Frage", weiß Christina Schröder von der Südwind Agentur, die die Clean Clothes Kampagne (CCK) in Österreich koordiniert. Boykott von Firmen wie Zara sei jedenfalls keine Lösung, denn dadurch verlören die ArbeiterInnen überhaupt ihre, wenn auch schlecht, bezahlten Jobs und das Nord-Süd-Gefälle verschärfe sich noch.

Druck machen

Eine Antwort lautet, und die ist nicht neu: Druck machen, nicht nur wortlos einkaufen. Aber auch das kostet - wenn auch nur Zeit. Die CCK bietet auf ihrer Webseite schon längst eine Shopkarte an, die man an die Unternehmen, deren Ware man kauft, schicken sollte. Über die soll den Firmen klar werden, dass es den KundInnen eben nicht egal ist, ob die ArbeiterInnen in den Billiglohnländern fair behandelt werden.

Fairer Shopping-Guide

Wen das nicht zufriedenstellt, kann woanders unter geprüften Bedingungen hergestellte Kleidung kaufen. In Wien allein gibt es viele Modegeschäfte, die sich zu Fair/Öko/Bio-Ware bekennen. Das ist Teil zwei der Antwort auf die "ewige Frage": "Auf die haben wir nun mit einem Shopping-Guide und einer Firmenübersicht reagiert", erzählt Schröder dieStandard.at. Beides zeigt auf, in welchen Bereichen sich Unternehmen engagieren oder nicht. Schröder stellt klar: "Wir wollen Unternehmen keinen Persilschein ausstellen, sondern erreichen, dass sich die KonsumentInnen umfassender informieren und weiter Druck ausüben, damit sich in der Bekleidungsbranche endlich etwas bewegt."

In dem Shopping-Guide auf WearFair werden insofern ausschießlich die TextilherstellerInnen beleuchtet, die sich bereits puncto sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit engagieren. So sollen sich potenzielle KundInnen einen Überblick darüber verschaffen können, welche Unternehmen in welchen Bereichen fairer agieren und wofür genau die unterschiedlichen Gütesiegel stehen.

Made in Wo?

Viele Unternehmen haben im Bereich Fairness vielleicht Worte gespendet, aber keine überzeugenden Taten folgen lassen. Andere nutzen "Fair/Öko/Bio" noch nicht einmal zu Marketingzwecken. "Wenn von Unternehmen nichts über soziale, arbeitsrechtliche und ökologische Standards kommuniziert wird, ist das ein schlechtes Zeichen", hält Schröder fest. Zu den bedeckteren gehören auch Outdoor-Textilhersteller, die Skater- und Borderwear anbieten und vor allem bei jüngeren KonsumentInnen beliebt sind. Auf den eingenähten Tags der britischen Kette Bench findet sich nicht einmal das "Made in". Auf dieStandard.at-Anfrage schrieb jovial ein "Gayle" zurück, dass man die Mehrheit der Klamotten im "Fernen Osten" herstellen lasse, aber auch Zulieferer in Indien und der Türkei habe.

"Mit Metallern kann man das nicht machen"

So läuft das eben bei allen Großen. Und die Kleinen, wie sie auch im WearFair-Guide vertreten sind, leiden unter Auslagerung der Produktion in die Billiglohnländer in Asiens, Afrikas, Südamerikas. "Die Textilbranche in Europa ist in den letzten 30 Jahren leise vor sich hingestorben", sagt Elke Freytag, die ihren gleichnamigen Laden für selbstdesignte und -hergestellte Damenmode in der Lindengasse betreibt. Im nahen Ausland, geschweige denn in Österreich findet sich keine Infrastruktur mehr. Alles aufgelassen, Produktionsstätten tot. Dass das passieren konnte, liegt für Freytag vor allem an einem: "Die Textilbranche ist eine klassische Frauenbranche. Mit den Metallern kann man das nicht machen."

Freytag redet nicht um den heißen Brei herum und nennt ein weiteres Problem direkt beim Namen: Die zunehmende Umstellung auf Bio-Produkte im Bereich Kleidung - für unser "gutes Gewissen". "Wo wird das produziert, auf wessen Kosten? Ist das nicht das selbe Spiel wie beim Bio-Sprit, nur dass die Menschen in den Anbauländern dann unser tolles Cotton anbauen müssen, statt ihr Obst und Gemüse fürs die täglichen Mahlzeiten?" Außerdem: Den Bedarf der westlichen KonsumentInnenklasse kann Bio nicht decken.

Doch Boykott?

Das, was zwischen all den Problemen mit der Kleidungsherstellung immer klarer wird, ist die Relevanz von nachhaltiger Produktion und Nahversorgung. Für Freytag klingt auch das Wort "Boykott" gut: "Briefe schreiben und drohen, dass ich vielleicht woanders einkaufen werde, macht doch den Unternehmen keine Angst. Die spüren es nur, wenn nicht mehr gekauft wird." Denn das Schlimmste für Riesen wie Inditex scheint zu sein: Dass sie aufhören zu wachsen. Ihnen nichts mehr zu fressen zu geben und dafür die lokalen Kleinen zu unterstützen, könnte ein Scherflein zur Veränderung beitragen. Zur individuellen Typveränderung und zur generellen Systemveränderung. (bto/dieStandard.at, 17.10.2011)