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Ähnlich wie bei den "Slutwalks" in den USA geht es den ukrainischen Feministinnen um Selbstbestimmung. Auch im Hinblick auf die Fußball-EM 2012 wird gegen Sextourismus protestiert.

Foto: APA/EPA/Dolzhenko

Femen: Oben ohne oder in Unterwäsche gehen sie auf die Straße. Für den Staat sind sie Hooligans.

Julia mit Weizenähren und Vögelchen in ihren Händen, Julia in ukrainischer Tracht, Julia mit blondem Haarkranz. Die wegen Amtsmissbrauch in einem undurchsichtigen Prozess verurteilte Ex-Premierministerin Julia Timoschenko wird dieser Tage auf Kiews Straßen als unschuldiges Mädchen vom Lande ikonisiert. Sonst trägt hier aber niemand eine Frisur aus dem 19. Jahrhundert. "Sie hat ihren eigenen Stil entwickelt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Frauen haben es hier sehr schwer, sich Gehör zu verschaffen", sagt Inna Schewtschenko, die darauf spezialisiert ist, aufzufallen. Sie und ihre Kolleginnen von der feministischen Gruppe Femen gehen "oben ohne" oder in Unterwäsche auf die Straße, um etwa gegen den Sextourismus in der Ukraine zu demonstrieren.

Schewtschenko erzählt, dass viele Frauen auf der Straße von Touristen sexuell belästigt werden. Femen kämpft aber auch gegen die Korruption an Schulen und Universitäten, dagegen, dass Lehrer glauben, sie könnten für Noten Sex bekommen, gegen die Schlechterstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Femens jüngstes Anliegen ist die Fußball-Europameisterschaft, die 2012 auch in der Ukraine ausgetragen wird. Die Femen-Frauen wollen die Legalisierung der Prostitution während der Euro verhindern.

"Wir sind nicht das Land der frei zur Auswahl stehenden billigen Mädchen", schimpft Schewtschenko. Als ein neuseeländisches Radio kürzlich einen Wettbewerb unter Männern ausrief - der Preis sollte eine ukrainische Frau sein -, machte Femen dagegen mobil. Und als der Gewinner, ein Mann namens Greg, nach Kiew fliegen sollte, standen die Femen-Frauen zur "Begrüßung" am Flughafen. Doch Greg kam nicht, weil er aufgrund des Medienwirbels um sein Image besorgt war.

Tatsächlich sind die Fotografen, wenn die "Oben-ohne-Aktivistinnen" von Femen auftreten, schnell da. "Wir haben uns überlegt, dass wir etwas Verrücktes machen müssen, damit wir etwas durchsetzen", sagt Inna Schewtschenko. "Und also haben wir gedacht, dass wir die Sexualität der ukrainischen Frauen nützen müssen, um für Frauenrechte zu kämpfen." Insgesamt gibt es 20 "Oben-ohne-Aktivistinnen" und 300 Frauen, die Femen direkt unterstützen. Bereits 15-mal endete eine Femen-Demo mit Festnahmen. In der Ukraine ist es nicht direkt verboten, nackt zu demonstrieren, aber die Frauen werden wegen "Hooliganismus" belangt. Inna Schewtschenko ist auch schon im Gefängnis gesessen und hat ihren Job beim Pressebüro der Stadt Kiew verloren, nachdem sie erstmals "oben ohne" demonstriert hatte.

Während in Kiew in aller Öffentlichkeit mit Plakaten von entkleideten Frauen für Bordelle geworben wird, wirken die Femen-Frauen verstörend, gerade weil sie sich der Klischees bedienen. "Highheels, superkurze Röcke, blonde Haare, das ist eben unsere Kultur", sagt Inna Schewtschenko. "Uns gefällt das." Punkt.

Ähnlich wie die Teilnehmerinnen der Slutwalks ("Schlampenmärsche"), die in den USA und in Europa oftmals spärlich gekleidet für die Selbstbestimmung des weiblichen Körpers demonstrieren, geht es auch Femen darum, dass nackte Frauen nicht zu Objekten gemacht werden. Eine paradoxe Intervention sozusagen.

Demnächst gehen die ukrainischen Soldatinnen für Frauenrechte auf Europatour. Ob sie auch bei den Wahlen kommendes Jahr antreten werden, wissen sie noch nicht. Es fehlt an Geld. Femen wird derzeit von dem deutschen DJ Hell und Jed Sanden, einem US-Bürger, der als Verleger in der Ukraine arbeitet, unterstützt. (Adelheid Wölfl aus Kiew/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.10.2011)