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Zutritt zum Plenarsaal im türkischen Parlament in Ankara haben Frauen derzeit nur im Rock. 78 Abgeordnete, so viele wie noch nie zuvor in der Türkei, sind weiblich.

Foto: Reuters/Bektas

Für Safak Pavey ist das alles einfach nur unangenehm. In das Plenum des türkischen Parlaments in Ankara muss die Abgeordnete mit einem Rock bekleidet gehen. So schreibt es die Geschäftsordnung der Großen Türkischen Nationalversammlung vor. Weil Pavey aber eine Kunststoffprothese trägt, die ihr linkes Bein ersetzt, hat auch die konservativ-muslimische Regierungspartei AKP ein Einsehen. Das jahrzehntealte Hosenverbot für Frauen sollte vergangene Woche schnell per Gesetz beendet werden. Doch dann fiel jemandem ein, dass man auch gleich Kopftuchverbot und Krawattenzwang aufheben könnte. Das war zu viel. Jetzt ist die Moderevolution erst einmal abgeblasen worden.

Safak Pavey von der säkularen sozialdemokratischen CHP fühlt sich nun von den anderen Oppositionsparteien benutzt. Ein kurdischer Abgeordneter hat beim Verfassungsausschuss des Parlaments den alternativen Gesetzesvorschlag mit Kopftuch und Krawatte eingereicht. Die rechtsnationalistische MHP gab als Linie vor: wenn Hose, dann auch muslimisches Kopftuch. Jetzt sei alles komplexer geworden, stellte der Ausschussvorsitzende fest. Man müsse sehr viel mehr überlegen. Denn Kleider machen Staat in der Türkei.

Vorsicht beim Kopftuchthema

78 Frauen zählt das türkische Parlament heute, 14 Prozent aller Abgeordneten - mehr als jemals zuvor. Das Kopftuch ist dabei das eigentlich politisch explosive Thema. Es rührt an den Grundfesten der Republik von Kemal Atatürk und der Trennung von Religion und Staat. Einmal schon war die Regierungspartei AKP mit der Aufhebung des Kopftuchverbots in öffentlichen Einrichtungen vor dem Verfassungsgericht gescheitert und kam dann selbst gerade noch um ein Parteiverbot herum. Seither ist Premierminister Tayyip Erdogan bei dem Thema vorsichtig.

Während die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments ein Hosenverbot für Frauen und Krawattenzwang für Männer festlegt, ist das muslimische Tuch aber nur de facto untersagt.

Merve Kavikçi hat das nach der Parlamentswahl 1999 ausgetestet. Die Abgeordnete der damaligen islamistischen Tugend-Partei ging mit Kopftuch (und Rock) ins Plenum und wurde von einem Chor rasender Männer empfangen, die "Hinaus!" riefen. Kavikçi verlor ihren Sitz und später auch ihre Staatsbürgerschaft. Das ist inzwischen auch vielen säkularen Kemalisten peinlich. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2011)