Dr. Laura Méritt betreibt in Berlin den Sexshop "Sexclusivitäten" und veranstaltet dort jeden Freitag den Freitags-Freuden-Salon.

privat

Die vielen Siegerinnen des "PorYes"-Award.

Foto: Polly Fannlaf

Und die Party danach.

Foto: Polly Fannlaf

Wer auf der Suche nach "Fair-Porn" ist, könnte in der Teilnehmerinnenliste des diesjährigen feministischen Porno-Filmpreises "PorYes" fündig werden. Vergangenes Wochenende wurde dieser in Berlin zum zweiten Mal vergeben, prämiert wurde der "gute Sexfilm", soll heißen: "Hochwertige Erotikfilme, die vielfältige sexuelle Ausdrucksweisen weiblicher Lust wie die auch anderer Geschlechter zeigen und in denen Frauen bei der Filmproduktion maßgeblich beteiligt sind."

Sexpertin und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt hat die Vergabe des Preises 2009 initiiert und vergibt mit anderen Feministinnen zudem das Porno-Gütesiegel "PorYes". Diesen Namen trägt auch jener Flügel der Frauenbewegung, der für eine positive, und gegen eine Menschenverachtende Darstellung von Sexualität eintritt. Laura Méritt sprach mit Beate Hausbichler über das Verhältnis von "PorYes" und "PorNo", wer Pornographie wie definiert und wie Männer über feministische Pornos zum Feminismus finden.

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dieStandard.at: Der "PorYes" Award ist weit über die deutschen Grenzen bekannt. Aus wie vielen Einreichungen musste die Jury heuer auswählen?

Laura Méritt: Die Menge ist für uns nicht ausschlaggebend, weil wir ja auch nicht nur Aktuelles prämieren, sondern auch Pionierinnen. Wir wollen zeigen, dass es sexpositive Darstellungen gibt und: Nicht erst seit heute! 

Zum Beispiel die Französin Cathérine Breillat, sie ist ja schon beinahe allgemeines Kulturgut. Breillat macht schon seit langem Filme über Sexualität als Identitätskonstrukt. Mia Engberg zeigt in "Dirty Diaries" eine große Vielfalt an Ansätzen, Geschlechtern und Sexpraktiken und der Film ist auch vom schwedischen Staat unterstützt! Die jüngere Fraktion vertritt Emilie Jouvet, die erstmals queer-lesbische Pornos in Frankreich macht. Dort ist das etwas ganz Neues, in Frankreich herrscht noch eine große, hierarchische Geschlechteropposition. Daher sorgen solche Filme in Frankreich noch sehr für Furore.

dieStandard.at: Ist Deutschland in Bezug auf queer-feministische Pornos so viel progressiver?

Méritt: Ja - unbedingt. In Frankreich hat es ganz lange gedauert, bis sich zum Beispiel Sexshops für Frauen etabliert haben. Die FranzösInnen haben auch damit zu kämpfen, dass ihnen von außen eine unglaubliche Erotik zugesprochen wird. Im Land selber wird aber relativ wenig über Sexualität geredet. Da sind schon auch viele Projektionen im Spiel - und gerade bei Sex sind die ja so eine Sache.

dieStandard.at: Wie schon 2009 gab es nicht nur einen Siegerinnenfilm.

Méritt: Ja, bei uns gewinnen alle. Jede Person wird für das Besondere geehrt, das sie an sexpositiven Darstellungen geschaffen hat. Das sind ganz verschiedene Ansätze, die sich auch gar nicht vergleichen lassen. 

dieStandard.at: Haben Sie persönlich eine Favoritin?

Méritt: Die Vielfalt von Ansätzen und Darstellungsweisen, das ist unser oberstes Kriterium - und so geht es mir auch. Je bewusster ich mit Sexualität umgehe, desto mehr komme ich dahin, dass ich mir überlege: Was möchte ich denn heute? Möchte ich was für den Kopf, dann nehme ich mir eine philosophisch-erotische Reflektion in einem Film von Cathérine Breillat, möchte ich direkt was fürs Auge, für die Inszenierung, dann nehme ich vielleicht eine Emilie Jouvet, möchte ich eine Komödie, dann schaue ich Rusty Cave aus England.

Es geht also darum, sich nicht in einen Fetisch zu begeben, dass man immer nur auf das eine kann und nur das toll findet, sondern reinfühlt, was frau gerade sehen möchte.

dieStandard.at: Wer konsumiert denn feministische Pornos außer Feministinnen?

Méritt: Viele Männer kommen über diesen Weg der guten feministischen Pornos dazu, auch Feminismus gut zu finden (lacht). Es sind auch oft Hetero-Pärchen, wo der Mann sagt, er will mit seiner Liebsten einen schönen Film anschauen, bei dem sie sich auch wohlfühlt. 

Wir benutzen nicht mehr so gern das Wort Porno. Das ist die enge Definition von dem negativ besetzten Mainstream-Porno. Unsere Definition von "Porn" oder "PorYes", ist, dass er über Genres und Grenzen hinausgeht und nach drei Mindestkriterien ausgerichtet ist: Frauen sollen in ihrer Lust zu sehen sein, es soll eine Vielfalt der Darstellungen geben - verschiedene Körper, Alter, Kameraeinstellungen usw. - und drittens müssen die Arbeitsbedingungen ethisch sein, d.h. konsensuell. Wenn man sich einen anderen Blick aneignet, dann sieht man andere Dinge und bekommt Freude an Filmen, die nicht Mainstream-normiert sind und die nicht diese zugerichtete Form von Sexualität zeigen.

dieStandard.at: Ist die Arbeit bei Mainstream-Produktionen wirklich noch immer nicht nach dem Konsens der Mitwirkenden ausgerichtet?

Méritt: Die Arbeitsbedingungen sind oft sehr schlecht. Es sind meist Billigproduktionen, bei denen die engagierten Frauen natürlich sagen, dass sie mitmachen - sie brauchen ja auch das Geld. Aber oft werden sie dann beim Dreh überredet, noch dieses und jenes zu machen. Davon abgesehen, dass meistens ohne Safer-Sex-Utensilien gearbeitet wird und ein ganz barscher Ton herrscht. Das ist hier wie überall im kapitalistischen System: Mit äußerst ausbeuterischen Konditionen wird möglichst viel Profit rausgeholt. Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, Geld zu machen. Für unabhängige ProduzentInnen ist es wichtig, dass sie verkaufen. Aber diese extremen Gewinnspannen, die ohnehin nicht die Filmemacherinnen einstreifen, sollten nicht das Ziel sein.

Mit Konsensualität meinen wir, dass diese sichtbar sein muss. Bei einem Mainstream-Film ist zwischen den Agierenden keine Kommunikation zu sehen, die klar macht, dass das beide wollen. Wir wollen diesen Konsens nicht nur sehen, sondern auch, dass dieser mit den Agierenden abgesprochen wurde. Viele feministische Produktionen machen mit den SchauspielerInnen extra Interviews, die man sich als Zusatzmaterial anschauen kann. Gerade bei kritischen Situationen - wie zum Beispiel S.M. - muss besonders deutlich gemacht werden, dass alles abgesprochen und inszeniert wurde. Aus diesen Gründen haben wir gesagt: Wir brauchen Kriterien für guten Porno, wir brauchen Fair-Porn.

dieStandard.at: Und wie sieht es mit den finanziellen Bedingungen bei den Filmen aus, mit denen Sie z.B. über den "PorYes"-Award zu tun haben. Gibt es da überhaupt genug Geld, um alle zu bezahlen?

Méritt: Das ist ganz unterschiedlich. Zum Beispiel ist Cathérine Breillat oberste Liga, die macht Millionenfilme. Sie hat auch einen Film darüber gemacht, wie ein Sex-Film entsteht und sich selbst dargestellt. Das ist sehr feministisch, transparent zu machen, wie gearbeitet wird.

Bei der jüngeren Fraktion ist es manchmal so, dass die FilmemacherInnen darauf angewiesen sind, dass die Mitwirkenden daran Spaß haben. Aber auch hier wird es zunehmend professionalisierter.

Es ist derzeit einiges im Gange, was dieses Jahr bei der "Venus", die große internationale Sex(istische) - wie ich immer sage - Messe, zu sehen war. Es gab eine Extra-Halle für Spielzeuge hoher Qualität, die ohne Pornographisierung und ohne diese Bums-Musik auskommen. Bezüglich der Sextoys haben wir die Sexindustrie schon revolutioniert: Alle Produktionen haben mittlerweile Frauenlinien, bessere Qualität, mehr Öko, Design, usw. Das überträgt sich jetzt auch auf die Filme. Viele KundInnen haben einfach keinen Bock mehr auf dieses übliche Zeug und die Pornoindustrie geht gerade den Bach runter, weil sich alles ins Internet verlagert. Es ist also genau die richtige Zeit, um den Bildersturm zu wagen. Wir sind ja schon seit einigen Jahren daran, aber jetzt haben wir den fruchtbaren Boden dafür. Es geht nicht nur um Frauen als Zielgruppe, sondern auch um ihre Freunde oder Männer. Auch sie wollen Qualität, und nicht nur Plastikbrüste oder XXL- Plastikschwänze.

dieStandard.at: Nochmal zurück zum Begriff "Porno". Alice Schwarzer definiert Pornographie gebetsmühlenartig als "die Darstellung sexueller Lust, verknüpft mit Lust an Erniedrigung und Gewalt".

Méritt: Die offizielle Definition lautet "Pornographie ist die übertriebene und explizite Darstellung der Genitalien mit dem einzigen Zweck der sexuellen Erregung". Alice Schwarzer und die Emma haben mit der "PorNo"-Kampagne noch hinzugefügt, dass es um sexistische, rassistisch erniedrigende Darstellungen - nicht nur für Frauen - geht. Schwarzer und die Emma haben immer gesagt, dass es diese enge Definition von Porno ist, die sie bekämpfen. Und diese enge Definition wird ja immer noch von 90 Prozent der Pornos erfüllt.

Die Definition, die wir haben - das hat Schwarzer gerade in einer der letzten Ausgaben in der Emma klar gesagt - fällt nicht unter diese enge Definition. Sie wäre daher auch dafür, es nicht "Porno" zu nennen und plädiert für den "Erotikfilm", wir sagen "PorYes". Damit wollen wir deutlich machen, dass es nicht herkömmlicher "Porno", auch nicht "PorNo" ist. Andererseits, warum sollte man sich ein Wort wegnehmen lassen. Es muss auch Aufwertungsstrategien geben oder eben kreative Neuschöpfungen für eine andere sexuelle

dieStandard.at: Vor einigen Wochen meinte die Journalistin Andrea Rödig (Wo ist die Sexualität geblieben: Workout für die Klitoris) in einem Artikel, dass dem Feminismus das Thema Sexualität abhandengekommen wäre. Die Frauenbewegung in den 70ern hätte noch verstanden, dass Sexualität ein extrem wichtiges Instrument für die Emanzipation ist - dies wäre gegenwärtig ins Hintertreffen geraten. Wie sehen Sie das?

Méritt: Diese Prognose stimmt meines Erachtens nicht so ganz. Aber ich habe vielleicht beim Thema Sexualität nochmal einen anderen Einblick und sehe eher das, was sich bewegt. Wenn man die große Perspektive einnimmt, sagt man vielleicht, es bewegt sich alles relativ langsam. Ich kann aber die noch größere Perspektive einnehmen und sagen: Es bewegt sich ganz schön schnell. Sicher gab es in den 60er, 70er und 80er Jahren große experimentelle Zeiten, wo viel gekämpft und ausprobiert wurde. Die 2000er waren bisher vielleicht nicht so von sexuellen Bewegungen geprägt, aber jetzt ist es wieder so. Ich beobachte gerade in den letzten fünf Jahren, dass wieder ein politisches Bewusstsein dazukommt und junge Frauen sagen, wir wollen über Sexualität und in der Sexualität etwas verändern. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 20. Oktober 2011)