Der Demograf und Wittgenstein-Preisträger Wolfgang Lutz untersucht den Zusammenhang von Bildung und Fertilität.

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In Äthiopien bekommen Frauen mit Schulbildung im Schnitt zwei statt ansonsten sechs Kinder.

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In Äthiopien bekommen Frauen ohne Schulbildung im Durchschnitt mehr als sechs Kinder. Haben sie aber zumindest bis zum Alter von 15 Jahren eine Schule besucht, sinkt die Kinderzahl im Schnitt auf nur zwei. Für den Demografen Wolfgang Lutz zeigt dieses Beispiel deutlich den großen Einfluss von Bildung auf die Geburtenrate.

Am Mittwoch und Donnerstag wollen ExpertInnen bei der vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) organisierten Konferenz "Education and the Global Fertility Transition" die Bedeutung der Bildung auf die Fertilität im Vergleich mit anderen Faktoren analysieren.

In der Demografie stehe ein großes Phänomen im Mittelpunkt, "das entscheidend ist für die Zukunft der Weltbevölkerung: Wie geht es weiter mit dem demografischen Übergang", erklärt Lutz, Direktor des ÖAW-Instituts und Leiter des World Population Program am IIASA.

Übergang im 19. Jahrhundert

Alle Gesellschaften würden diesen Prozess durchlaufen. In Österreich etwa habe der Übergang schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen, als durch bessere Ernährung, sauberes Wasser etc. zuerst die Sterberaten und mit einer Verzögerung von einigen Jahrzehnten dann auch die Geburtenraten zu sinken begonnen haben.

Was die Treiber und Ursachen dieses Prozesses sind, wird in der Demografie heftig diskutiert. Wobei bis vor kurzem drei Denkschulen dominierten, sagt Lutz. Die klassische Interpretation sieht im Rückgang der Kindersterblichkeit die treibende Kraft, die in der Folge auch zu einem Geburtenrückgang führe. Auch die allgemeine Modernisierung, vor allem die ökonomischen und sozialen Entwicklungen, würden oft als Grund genannt. Der dritte Faktor betreffe die Verfügbarkeit von Familienplanungsmethoden.

"Wir sagen, dass das alles Mitfaktoren sein können, aber der eigentliche entscheidende Grund ist die zunehmende Bildung der Frauen", erklärt Lutz. Höhere Bildung helfe, die Kindersterblichkeit zu senken, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den Zugang zu Methoden der Familienplanung zu verbessern. Vor allem in Ländern, die gerade den demografischen Übergang durchliefen, gebe es "überhaupt keine Zweifel, dass dort ein ganz starker Zusammenhang zwischen Bildung und Fertilität besteht".

In Staaten mit bereits niedriger Fertilitätsrate seien die Unterschiede viel schwächer, aber noch immer bemerkbar. So bleiben etwa in Österreich oder Deutschland bis zu 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos.

Kausaler Mechanismus

Noch nicht restlos geklärt sei die Kausalität beim Zusammenhang Bildung-Fertilität: So könnte man auch sagen, dass ein afrikanisches Mädchen, das mit 15 Jahren schwanger wird und deshalb seine Schule abbricht, wegen einer frühen Geburt geringere Bildung hat. Dennoch sieht Lutz einen "massiven kausalen Mechanismus, der sicher dort am stärksten ist, wo es den Übergang von einer eher fatalistischen Einstellung zum Kinderkriegen hin zu einer geplanten Zahl an Kindern gibt - und das ist ganz stark mit Bildung verbunden".

Dass das nicht nur ein akademischer Streit ist, zeigt die ganz reale politische Frage, welche Investitionen getätigt werden sollen, um das Bevölkerungswachstum in Afrika oder anderswo einzudämmen. "Unsere Antwort, von der wir glauben, dass sie am besten wissenschaftlich abgesichert ist, liegt in der Kombination der Bildung von Frauen und der Verfügbarkeit von kulturell jeweils akzeptablen Empfängnisverhütungsmethoden", sagt Lutz.

Der Demograf hat 2010 den begehrten Wittgenstein-Preis, so etwas wie den "österreichischen Nobelpreis", erhalten und bündelt seine Aktivitäten an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, am IIASA und als Professor für Sozialstatistik an der WU Wien im Forschungszentrum "Wittgenstein Centre for Demography and Human Capital". (APA, red/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.11.2011)