Schrieb das autobiografische Buch "Tote Kinderseele": Hermine Reisinger.

Foto: Reisinger

Villach - Hermine Reisingers (60) Lieblingsplatz ist die Atelierecke in ihrer Wohnung. Dort hat sie eine Art kleinen Altar aufgebaut. In der Mitte steht ein Foto, das sie als Mädchen mit blonden Löckchen zeigt. Daneben eine Katze und ein Clown aus Keramik. An der Wand hängen selbstgemalte Bilder, in denen Reisinger ihr Leben verarbeitet: ein Leben, geprägt von Abgründen.

Geboren als "Bankert", als sechstes Kind einer ledigen Mutter, mit 32 Tagen ins Waisenhaus gegeben. Der Pflegevater vergeht sich an der Zweijährigen, mit zwölf ist sie von ihm schwanger, das Kind wird abgetrieben. Die Pflegemutter schaut weg. Mit 14 zeigt sie den Pflegevater an.

Zum Fiasko gerät auch das Leben draußen: Nach einer Vergewaltigung gebiert Reisinger eine Tochter, die sie zur Adoption freigeben muss, es folgen Prostitution, Alkohol- und Drogenexzesse: ein Mensch, betrogen um sein Leben, mit einer "toten Kinderseele".

Diesen Titel gab Hermine Reisinger auch ihrem Buch, in dem sie ihren Weg "out of the dark" beschreibt. Es ist dieser Tage im Klagenfurter Wieser-Verlag erschienen.

Hermine Reisinger ist ganz anders, als man sich eine Missbrauchsbetroffene gemeinhin vorstellt. Die kleinwüchsige, quirlige Frau lacht viel, sie spielt gern den Clown. Das tat sie schon als Kind, um ihre Qualen zu ertragen. Erst mit 42 Jahren hatte sie die Kraft, sich herauszukämpfen, begann mit Alkohol- und Drogenentzug und ließ sich zur Glaskünstlerin ausbilden. Bis heute ist sie clean und kämpft für Kinder, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben: "Das Wort Missbrauch gehört abgeschafft. Es schützt die Täter, weil es verharmlost. Aber hier geht es um brutale sexuelle Gewalt und um Macht." Deshalb fordert Reisinger auch, dass die Namen Pädophiler öffentlich gemacht werden sollen. Auf ihrer Homepage finden Betroffene Rat und Hilfe.

Kann Hermine Reisinger ihren Pflegeeltern verzeihen - zumal ihr Pflegevater wegen Verjährung freigesprochen wurde? "Nein. Ich habe ihnen nur ihre Seelen zurückgegeben." Erst mit dem Tod der Täter habe die Aufarbeitung der Traumata begonnen, sagt Reisingers Psychotherapeutin Jutta Menschik-Bendele. Sie hat Reisinger ermutigt, ihr Buch zu schreiben.

Tochter wiedergefunden

Viele Opfer sexueller Gewalt verlieren Sprache, Glaubwürdigkeit und Selbstwertgefühl. Ihnen soll Reisingers Buch Mut machen."Man konnte meinen Willen niemals brechen", sagt sie. Diese Überlebenskraft brachte ihr "im Milieu" den Spitznamen "eiserner Karl" ein, ließ sie ihre Tochter wiederfinden. Hermine Reisinger lebt heute in Villach, bezieht Mindestrente und ist "zufrieden". Weil es trotz allem eine Zukunft gibt: Tochter und Enkelkind. (Elisabeth Steiner, DER STANDARD, Printausgabe 10./11.12.2011)