Elke Gaugele ist Autorin, Kuratorin und Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, wo sie den Studiengang "Moden und Styles" leitet. Sie forscht zur Geschichte und zu Theorien von Moden, Textilien und Alltagskulturen.

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"Critical Crafting Circle" (Elke Gaugele, Verena Kumi, Sonja Eismann und Elke Zobl): "Craftista! Handarbeit als Aktivismus". Ventil-Verlag.

Foto: Ventil Verlag

"KnitHerStory" am Wiener Ring.

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"Kommando Agnes Richter" strickte in Form eines Flashmobs Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse ein.

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Stricken und Politik scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben. Ein genauerer Blick in die Geschichte der Frauenbewegung jedoch zeigt, dass textile Handarbeit schon während der Französischen Revolution als politischer Ausdruck eingesetzt wurde. Wenn einer das Wort verboten wurde, musste frau zu anderen Mitteln greifen: Die französischen Revolutionärinnen haben zu Stricknadeln gegriffen und kommentierten durch Strickereien und Zwischenrufe die Reden der Männer. Inzwischen dürfen Frauen in Parlamenten sprechen. Textile Handarbeit blieb aber weiterhin Teil feministischer Protestkultur – "KnitHerStory" oder "Critical-Crafting" sind aktuell Beispiele dafür. Ein 2007 gegründetes Autorinnen-Kollektiv zeichnet die Geschichte textiler Proteste und jüngere Bewegungen in "Craftista! Handarbeit als Aktivismus" nach. dieStandard.at hat mit Elke Gaugele, Teil des Kollektivs "Critical Crafting Circle", über Stricken als Widerstandsform, die Ambivalenz zwischen Öffentlichkeit und Privat und neue textile Zeichen von Protestbewegungen gesprochen.

dieStandard.at: Wie kam es, dass Textilien ebenso wie das textile Handarbeiten und die Herstellung von Textilien zu einer "Frauensache" wurde?

Elke Gaugele: In der Moderne kam es durch die Industrialisierung zu einer Feminisierung der Textilarbeiten. Auch die moderne Frauengeschichte deklarierte textile Arbeiten als Frauensache, aber es war eben nicht ausschließlich eine weibliche Geschichte, wie an der Tradition der Zünfte abzulesen ist. Durch eine Verlagerung von Produktionsprozessen, später auch im Zuge der Pädagogisierung und des staatlichen Schulunterrichts wurde das textile Handarbeiten Teil von geschlechtsspezifischen Sozialdisziplinierungen. Textiles Handarbeiten wurde von Frauen aber auch subversiv als Widerstandsmittel eingesetzt.

dieStandard.at: Auf den ersten Blick hat textile Handarbeit nichts mit feministischem Widerstand zu tun.

Gaugele: Im Zeitalter der Nationalstaatenentwicklung gibt es viele Beispiele dafür, wie Frauen mit Textilien ihre Meinung zum Ausdruck gebracht und sich eingemischt haben. Während der Französischen Revolution durften Frauen in der Nationalversammlung nicht reden. Die Tricoteuses (Anm.: französische Strickerinnen) verschafften sich aber eben in dieser Versammlung ihre Präsenz, indem sie sich in den Publikumsrang setzten und strickten. Sie kommentierten also das von Männern Gesagte mit Strickereien und Zwischenrufen. Das ist eine klare Form des Widerstands.

dieStandard.at: Wie einige ParlamentarierInnen der Grünen.

Gaugele: Ja, vor allen die ersten Grünen Politiker in Deutschland, also Männer, haben das auch gemacht. In Österreich gibt es zwei Entwicklungen. Die erste Frauenbewegung hat sich dem Thema des Handarbeitens sehr stark angenommen. Etwa haben sie bei Demonstrationen für das Frauenwahlrecht bestickte Banner getragen. Bei meinen Recherchen habe ich zu meiner Überraschung herausgefunden, dass es in alten feministischen Frauenzeitschriften sehr stark um Handarbeit als Teil einer feministischen Politik ging. Gerade in Zeiten der Verzahnung der bürgerlichen Frauenbewegung und ihrer klassenpolitischen Fürsorge für proletarische Frauen hatte die textile Handarbeit als Form der weiblichen Identität, Produktion und Ökonomie eine Schlüsselstellung.

dieStandard.at: Die jüngste Bewegung dieser Art nennt sich "Radical-Crafting". Auf der einen Seite eine revolutionäre feministische Praxis, die die Konsumkritik zum Anlass nimmt. Bedenkt frau aber die Relevanz von Kritik in aller Öffentlichkeit, ist das Zurückziehen in die Stuben doch eher problematisch, oder?

Gaugele: Ja, hier erfährt die "Neuen Häuslichkeit", die Domestizierung, bestimmt auch eine Reaktivierung. Man muss aber auch die Weiterentwicklung sehen, die im öffentlichen Raum stattfindet – zum Beispiel bei Graffiti oder aktuellen Protestbewegungen.

dieStandard.at: Ein sehr männliches Terrain.

Gaugele: Ja, aber durch Crafting-Aktionen nehmen sich Frauen hier öffentlichen Raum. Wenn man zum Beispiel nachts Brücken-Pfeiler einstrickt, Statuen eine neue Bedeutung verleiht oder auch Überwachungskameras überstrickt. Eine Aktionsgruppe, die mir gut gefällt, ist "Kommando Agnes Richter". In Frankfurt am Main haben sie zum Beispiel vor der Börse eine Strick-Aktion gesetzt (Anm.: siehe Foto und Video), auch in Wien waren sie im Rahmen der StudentInnen-Proteste aktiv. Das sind Protestaktionen die sich globalisierungskritisch und anti-kapitalistisch positionieren und sie sind auch Teil dessen, was nun unter "Occupy" gefasst wird.

dieStandard.at: Ist es heute nicht leichter mit unrasierten Achseln als mit selbstgestrickten Handschuhen Politik zu machen?

Gaugele: Wenn es um Körperpolitiken im Alltag geht, ja. Weibliche Körperbehaarung produziert etwas gesellschaftlich Verstörendes. Von da her denke ich schon, dass es damit leichter ist Verwirrung zu stiften als mit selbstgestrickten Sachen.

dieStandard.at: Zurück zu den 99 Prozent: Lokalisieren Sie ein markantes textiles Zeichen der Occupy-Bewegung?

Gaugele: Es geht sehr stark um Maskierung, die zum Code dieser Protestkultur avancierte. Die Masken der Occupy-Bewegung sieht man jetzt sogar manchmal in der Stadt. Diese Bewegung stellt auch das Selber-Machen ins Zentrum, also ein Do-It-Yourself-Prinzip, das Autonomie und Unabhängigkeit vom Kapitalismus signalisiert. Dies ist auch ein Kernelement des Critical-Crafting.

(Die Fragen stellte Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at 8.1.2012)