Blöde Frage "Wer hat die Hosen an"? "Feministinnen wie wir haben keine Lust an der Geschlechterumdrehung. Uns geht's um die Veränderung der Verhältnisse, nicht um Reaktanz und Gewaltumdrehung", erklärt "Über:morgen"-Redaktionsfrau Ulrike Weish.

Foto: Über:morgen

Die bebilderte Reaktion von "Über:morgen" auf die Dauerdebatte um Burka und Co: "Reden wir mal über die 'Bartkultur'."

Foto: Über:morgen

Das ist Silvia Balkoni.

Foto: Über:morgen

In den künftigen Ausgaben wird mit noch mehr Werbung zu rechnen sein.

Foto: Über:morgen

"Unbezahlte Schleichwerbung, und auch noch schlecht."

Foto: Über:morgen

Wenn auf der Titelseite über das Vollbartverbot in Belgien berichtet wird und ein rauschebärtiger Franz Josef dazu die Lippen schürzt, PC Striche von den Freien Österreicherinnen uns gewinnend und "rasiert für die Heimat" entgegen lächelt, Halbnackedei Harry seine Freilandeier anpreist und Männerminister Heimlich-Hoffnung das Erfolgsmodell "Mama-Monat" abfeiert: Dann ist längst klar, dass wir es mit einer speziellen Zeitung zu tun haben.

Einer, die Lust an der Verwitzelung von Fakten hat, die so manche/n nicht mehr interessieren, weil sie – wenn überhaupt – sermonartig von den immer selben ProtagonistInnen mit den immer selben Argumentationssträngen transportiert werden. Die Macherinnen von "Über:morgen" langweilt das zumindest. Sie haben Lust an der politischen Äußerung und Neupositionierung von Feminismen und daher kurz entschlossen ihr eigenes Sprachrohr auf die Beine gestellt. Ganz ohne moralisch-didaktisch-pädagogischen Zeigefinger, dafür mit entlarvendem Spaß an der Sache.

Ohne faktische Realitäten müssen die LeserInnen aber auch bei "Über:morgen" (vormals, in der Erstausgabe, noch mit Punkt statt Doppelpunkt) nicht auskommen, denn "alle Artikel basieren auf realen Zahlen, Daten und Fakten aktueller österreichischer Medienberichte", erklären die Redaktionsfrauen, die allesamt über die Plattform 20.000 Frauen aktiv sind: "In den Artikeln wurden zumeist lediglich die Geschlechter vertauscht, in einigen die Symbole verändert und sämtliche Namen der betroffenen AkteurInnen entfremdet."

Die Drahtzieherinnen hinter der Zeitung wollen sich namentlich nicht outen, weil sie in österreichischen Medienunternehmen arbeiten, und gerade denen pinkeln sie mit ihrer gedruckten Persiflage ans Bein, wenn sie die boulevardeske Informationsaufbereitung – auch in so genannten Qualitätsmedien – überspitzen. Redaktionsfrau Ulrike Weish hat damit kein Problem. Vor mehr als zwanzig Jahren kam sie von der Medienbranche in die Wissenschaft und hat nichts zu befürchten, wenn sie offen mit dieStandard.at über die Spielwiese "Über:morgen" spricht.

dieStandard.at: Was hat euch dazu veranlasst, mit "Über:morgen" eine "Fake-Zeitung", wie ihr sie nennt, zu lancieren?

Ulli Weish: Wir sind einige Medienaktivistinnen, die früher in der Branche gearbeitet haben bzw. immer noch arbeiten. Im Zuge der Großdemo anlässlich 100 Jahre Frauenkampftag 2011 haben wir versucht, professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Nachdem wir inhaltlich ernste Aspekte im Rahmen der "20.000 Frauen"-Berichterstattung nicht unterbringen konnten, hatten wir das Gefühl, wir arbeiten in den Mistkübel oder ins Klo hinein. Es hat nur ein paar Leute interessiert, die sich eh schon dafür interessieren. Im Rahmen der so genannten Qualitätsmedien gab es Zero Berichterstattung. In dem Moment, wo feministische Themen innerhalb gemischter Redaktionen vorgeschlagen werden, gerät die Redaktionskonferenz schlagartig ins Schnarchen oder gähnt oder belehrt, wie fad das ist, oder erklärt, dass es dazu auch ein paar Positionen von Männerrechtlern braucht. Uns ist es darum gegangen, die Themen Arbeit, Bezahlung, Repräsentation, Globalisierung, Gewalt grundsätzlich anzureissen. Aber weil das nicht ankam, dachten wir uns, so, jetzt machen wir's mal ganz anders.

Uns hängen die Debatten, zum Beispiel ums Kopftuch, zum Hals raus, so wie sie geführt werden. Warum muss es ununterbrochen um den Kampfort des weiblichen Körpers gehen und die Herren bleiben außen vor? Reden wir Mal bitt' schön über die "Bartkultur" und dann können wir gern wieder über den weiblichen Körper reden. Das war unser patziger Zugang. Und wir haben gemerkt: Sobald wir die Burkadebatte gegen die Bartstory ausgetauscht haben, ging es uns wunderbar.

dieStandard.at: Ihr schaltet auch Werbung. Zum Beispiel wirbt ein mit nacktem Oberkörper posender Mann für Freilandeier.

Weish: Harrys Freilandeier – das würde ich am liebsten als Pickerl ausdrucken und sexistische Werbung überkleben, wenn wieder einmal eine Muschi, ein Popsch oder ein Busen hervorsticht. Ich glaube überhaupt, dass die Zeitung mit zusätzlichen Aktionismen durchaus was am Hut hätte. Hätten wir ein bisschen Kapital, würden wir anders drucken, wir würden ein fetzigeres Layout machen, wir würden damit gerne auch Straßenaktionismus betreiben. Die Idee war mal, das mit großer Auflage zu kopieren und in diverse Gratisständer hineinzulegen oder auch als Kolporteurinnen herumzugehen und zu verkaufen. Das könnte sich alles entwickeln, aber Achtung: Angesagter Aktionismus geht immer in die Hose.

dieStandard.at: In euren Artikeln arbeitet ihr mit Geschlechterumdrehung und durchgehend weiblicher Sprachform. Wie sieht das konkret aus?

Weish: Wir borgen uns aus den Artikeln, die wir mainstreamig getrommelt hören, vorwiegend aus dem dominanten Boulevardsegment in Österreich, die Schlagzeilen, die Phrasen, die bekannten Argumentationsstränge aus und vertauschen jeweils nur die AkteurInnen geschlechtsspezifisch. Alfons Mensdorff-Pouilly wird zu Adele Insdorf-Bouillon oder Silvio Berlusconi zu Silvia Balkoni. Durch diese Art der symbolischen Umdrehung wird die paradoxe Lage heute noch einmal gespiegelt. Sie bewirkt in ganz bestimmten Kontexten lächerliche Zusammenhänge. Und damit gibt es keinen didaktisch-moralisch-pädagogischen Zeigefinger, sondern die Möglichkeit, zu erkennen, das heutige Geschlechterstrukturen rhetorische Modernismen sind, die in Wirklichkeit der oide Schas von vor tausend Jahren sind.

Feministinnen wie wir haben keine Lust an der Geschlechterumdrehung. Das war keine Zielvorgabe. Niemand von uns will die prügelnden Frauen im Schützengraben und dafür die friedlichen, geknechteten, entrechteten Männer. Uns geht's um die Veränderung der Verhältnisse, nicht um Reaktanz und Gewaltumdrehung.

Wir gehen auch nicht davon aus, dass es jetzt einfach 200 Jahre lang ein generisches Femininum braucht, damit die Welt sich ändert. Uns geht's um exaktere, genauere Sprache. Um Reflexion der gewohnten Sprache. Wenn wir das nicht einmal in Berufen verlangen können, wo Menschen arbeiten, die KulturproduzentInnen sind, von wem denn dann? Von den VolksschülerInnen?

dieStandard.at: Da nehmt ihr also die MedienarbeiterInnen in die Pflicht. Richtet sich die Kritik an bestimmte Produkte?

Weish: Wir wollen uns nicht unbedingt an denen reiben, von denen wir nichts anderes erwarten. Vor lauter Kritik an der "Kronen Zeitung" schauen sich viele die Qualitätszeitungen gar nicht mehr an. Das stört mich persönlich, weil die Dichandisierung ist kein Phänomen einer Zeitung, sondern leider geradezu ein habitueller Zugang in diesem Lande. Was wir zum Kotzen finden, ist die Art von Buberlpartie beim "Falter" und die Art von Malestream beim "profil". Uns geht auch "Format" und "News" wahnsinnig auf die Nerven. Es könnte durchaus sein, dass uns auch der "Standard" interessiert. Die Chefredaktion sagt ununterbrochen, dass geschlechterspezifische oder exakte Sprachweise zu viel Platz braucht und den Lesefluss stört – Phrasen, die, wenn man sie im Detail auseinandernimmt, auch große Wahrnehmungsfehler beinhalten. Wenn man liest "Arbeiter streiken", und dann kommt man drauf, es sind 99,9 Prozent Frauen, die gerade in der Textilindustrie in Bangladesch streiken, dann macht das ein anderes Bild.

Es ist einer Qualitätsdebatte völlig abträglich, entweder zu glauben, es geht um die Phraseologie der großen Is, die geistlos, seelenlos überall reingestopft werden oder eben um das generische Maskulinum, das angeblich alles abdeckt. Wenn die Debatte auf so einer Primitivebene läuft, dann weiß man, wie armselig der Diskurs in diesem Lande ist. Dass es schwarz und weiß gibt, aber dass an der Medienproduktion keine Menschen beteiligt sind, die Sprachkreativität haben, die sprachexakt arbeiten wollen, die mit bestimmten Symboliken arbeiten. Wenn das alles blunzwurscht ist, dann weigere ich mich zu sagen, dass es Qualitätsmedien in diesem Land gibt.

Vollmundig gesagt: Wir haben große Lust auf ein paar nette Redaktions-Sit Ins und an einem peinlichen Wirbel.

dieStandard.at: Peinlich ist "Über:morgen" nicht, aber witzig. Warum dieser Zugang?

Weish: Feministinnen werden immer wieder auf einen klischeehaften Kontext verkleinert, indem man nicht glaubt, dass sie witzig sind. Ich weiß, dass wir sehr lustig sind, und ich weiß auch, dass es schwierig ist, sich Themen ständig auf einer ernsthaften Ebene nähern zu müssen. Ab dem Moment der Verwitzelung ist es sonnenklar, warum die Rechten mit dem Sprüche klopfen so gut beinand' sind: Weil man nicht ernsthaft Politik machen muss. Die lockeren Blödsprüche, das, was wir als Populismus in Kritik haben, erzeugt tatsächlich im Tun Lust. Das ist eine ganz interessante Erfahrung für uns. Von uns stammt ja auch: "Das Patriarchat ist schon fad, Frauen in den Aufsichtsrat". Zu erklären, dass es unzumutbar ist, wenn nach so langer Zeit Emanzipation und Frauenkampf nur vier Prozent Frauen in den Aufsichtsräten sitzen, ist uns von der inhaltlichen Ebene schon so eine Fadesse, dass wir gerne nur mehr mit Sprüchen und blöden Artikeln antworten wollen.

dieStandard.at: Wie kommt das bei der LeserInnenschaft an?

Weish: Die Erstausgabe haben wir auf die Internetseite von "20.000 Frauen" gestellt und bei der Enquete der Frauenministerin präsentiert: Mit dem Männerminister Heimlich-Hoffnung. Die Frauenministerin hat nicht schallend gelacht, aber ihre Mitarbeiterinnen. Sie hatte ein süßsaures Lächeln drauf. Es ging uns dabei um die Persiflierung, dass eine angeblich mächtige Person einfach auch unglaublich ohnmächtig ist aufgrund ihrer ganz geringen personellen, ökonomischen und organisationsspezifischen Kompetenzen.

dieStandard.at: Wie soll es mit "Über:morgen" weitergehen?

Weish: Wir haben nicht vor, die Zeitungen am laufenden Band zu produzieren, aber wir wollen den Jahreszyklus eines Boulevardblattes durchmachen. Wir arbeiten jetzt an einer Winternummer, wir werden eine im Frühling und eine Sommerausgabe machen, wo wir dann leider noch viel mehr Werbung reinnehmen werden müssen. Uns geht es total um Werbung. Wir werden da tolle Anzeigen drinnen haben und auch einige tolle Sommerlochstories. Vielleicht über den Stier Karl.

Die Ausgaben sollen nicht nur bestimmte Szenen erreichen und in keinster Weise ein Ausdruck einer Institutionalisierung sein. Sobald "Arbeit" ins Spiel gebracht wird, wird's eine zache G'schicht. Jede/r hat das Gefühl: Um Gottes Willen, was muss ich noch alles a-a-a-rbeiten! Genau das soll's nicht sein. Es soll herausgenommen werden aus dieser permanenten Arbeitsdefinition. Es ist die Selbstermächtigung, es ist politische Lust, es ist ein politisches Bedürfnis, es ist eine Freude im Sinne der Werte von 1848, Meinungsfreiheit, Behauptungsfreiheit, Schmähfreiheit zu entwickeln. Das ist eine Trashgeschichte von Frauen fürs Klo geschrieben. Vielleicht ist es auch deshalb so kurzweilig, weil wir damit gar nichts Großartiges vorhaben.

dieStandard.at: Eine Klolektüre für jede/n also?

Weish: Wir wollen unsere Kritik in ganz verschiedene Szenen bringen, und die Zeitung kann auch die erreichen, die nicht unbedingt zwanzig Frauenberichte gelesen haben oder Judith Butler kennen. Sondern eben auch die Leute, die mit Lebenserfahrung und wacher Beobachtung ohne Akademismus auskommen, um zu sehen, wie backlashig sich unsere Frauenbilder und differenzierte Debatten verengt haben. Es ist ein freies Produkt, jede Person kann's in die Kanäle schleudern, wo immer sie möchte.

dieStandard.at: Was kommt neben dem Stier Karl in der nächsten Ausgabe noch auf die LeserInnen zu?

Weish: Die Niko Pelinka-Geschichte werden wir ganz sicher verwerten. Die ist sehr interessant und zum Teil völlig verlogen, weil durch diesen Diskurs etwas erzeugt wird. Wenn der für alle Gültigkeit haben sollte, freu' ich mich. Wenn's darum geht, dem ORF Rotfunk zu unterstellen, krieg' ich einen schallenden Lachkrampf und frage mich, wo denn die Umfärbungen der letzten Jahre thematisiert wurden und wo wir die großen Berichte zu den Korruptionen haben, die die Herren in ihrer schwarz-blauen Zeit personalpolitisch hinterlassen haben.

Wir werden uns auch einen lustigen Namen für die Frau Rudas einfallen lassen. Denn es braucht nicht nur die Kritik an den Söhnen, die Kritik an den Töchtern tut uns glaub ich auch nicht weh.

dieStandard.at: Das ist eine Ansage.

Weish: Wir wollen kein "entweder, oder" sondern ein "sowohl als auch". Wir wollen den Gewaltbegriff nicht radikal zwischen den Geschlechtern umschichten, sondern über Gewalt in unserer Gesellschaft diskutieren. Da bin ich sehr dafür, dass wir über Gewalt unter Frauen sprechen. Was spielt sich denn ab in lesbischen Gewaltbeziehungen, zwischen Müttern und Töchtern oder zwischen Chefinnen und Untergebenen? Ich weigere mich, das Gewaltthema ausschließlich auf die Männer zu projizieren. Das heißt doch, dass wir unsere eigenen Gewaltkomplexe nicht ernstnehmen wollen, und das halte ich für sehr, sehr schlimm. Wir sind nicht die armen Unterdrückten, wir sind die Ermächtigten zu handeln, uns selbst zu verändern und den Mund aufzumachen. Wer sich unterwirft, hat auch eine Entscheidung getroffen. (bto, dieStandard.at, 26.1.2012)