Wir sind alle Zwitter - zumindest bis zur sechsten Woche als Fötus. Erst danach bilden männliche und weibliche Chromosomenpaare das Geschlecht aus. Bei dieser Wandlung kann es passieren, dass Chromosome, Hormone und Enzyme durcheinandergeraten. Mit der Folge, dass eine eindeutige Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht nicht möglich ist.

In der griechischen Mythologie galten zweigeschlechtliche Wesen wie Hermaphroditos noch als Sinnbild von Ganzheit und Harmonie. Heute tritt der Hermaphrodit dagegen meist als tragische Figur in Erscheinung. "Oft geht es um das Gefühl einer quälenden Gespaltenheit", erklärt die Germanistin Angelika Baier von der Uni Wien, die sich unter der Leitung von Susanne Hochreiter in ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt mit Hermaphroditismus in der neueren deutschsprachigen Literatur beschäftigt. "Meist oszillieren die Protagonisten zwischen den beiden Polen, ohne die Mitte anzustreben."

In einer strikten Zweigeschlechtergesellschaft wie der unseren sei das antike Ideal nicht lebbar. Ein Befund, der sich in der Literatur ebenso widerspiegelt wie die Kritik am Umgang der Medizin mit Intersexuellen. "Ab den 1950er-Jahren begegneten die Ärzte dem Hermaphroditismus verstärkt mit geschlechtsvereindeutigenden Operationen", sagt Baier. "Später zeigte sich, dass diese Eingriffe, die den betroffenen Kindern meist verschwiegen wurden, oft verheerende psychische Folgen für sie hatten."

Eine breite Diskussion über diese Praxis bewirkte vor allem der im Jahr 2000 von US-Journalist John Colapinto verfasste Tatsachenbericht "As Nature Made Him: The Boy Who Was Raised As A Girl", in dem er über die tragische Geschichte eines männlichen Zwillings berichtet, der durch einen medizinischen Kunstfehler Mitte der 1960er-Jahre als Baby seinen Penis verliert und nach mehreren Operationen als Mädchen aufgezogen wird. Nach einer unglücklichen Jugend entschließt er sich, wieder als Mann zu leben und begeht schließlich Selbstmord.

Middlesex und Medizin

Neben der öffentlichen Diskussion solcher Fälle erschienen ab den 1990er-Jahren auch zahlreiche theoretische Arbeiten über Geschlechterkonzeptionen und ihren Einfluss auf die medizinische Praxis. Auf der literarischen Ebene brachte der 2002 erschienene Roman "Middlesex" einiges ins Rollen. Jeffrey Eugenides erzählt darin die Geschichte des Hermaphroditen Cal, der als Mädchen aufgezogen wird, in der Pubertät aber zunehmend vermännlicht. Als Cal in einer Gender Identity Clinic wieder zum Mädchen gemacht werden soll, ergreift er die Flucht und entscheidet sich für ein Leben als Mann. Der Roman wurde zum Bestseller und hatte auch auf den medizinischen Diskurs Auswirkungen.

In "Middlesex" werden viele Themen und Motive aufgegriffen, die sich auch in der deutschsprachigen Literatur über Intersexualität finden. So zum Beispiel der Begriff des Monsters, der schon in der Antike für zweigeschlechtliche Menschen gebraucht wurde. "Während der Hermaphrodit in der Götterwelt für das Perfekte stand, galt er in der Menschenwelt als Warnzeichen der Götter", erklärt Angelika Baier. Allerdings war der Begriff "Monster" damals noch nicht so negativ besetzt, wie die etymologische Herkunft von "monstrare", also auf etwas hinweisen, deutlich macht.

Schrecken und Spaltung

Vom Christentum wurde der Begriff immer stärker mit moralischer Schuld in Verbindung gebracht. Wenn sich die Protagonisten in den Texten als Monster bezeichnen, spiegeln sich darin nur noch der eigene und der fremde Schrecken über das Unerhörte. "Was mir geschah, war ungeheuerlich. Und genauso fühlte ich mich auch. Wie ein Ungeheuer, ein Monster", schreibt etwa Christiane Völling in ihrer 2010 erschienenen Autobiografie "Ich war Mann und Frau. Mein Leben als Intersexuelle". In ihrem Kriminalroman "Fremdkörper" aus 2005 schreibt Renate Kampmann: "Ich bin ihr Familiengeheimnis, das Monster im Keller."

Ein wiederkehrendes Motiv in den Texten ist auch jenes der Spaltung. So etwa im Roman "Mitgift" (2002) von Ulrike Draesner: "Mir geht es um eine Möglichkeit, die in mir angelegt war. Sie will ich endlich auch verwirklichen. Sonst lebe ich doch immer an einer Hälfte von mir vorbei, verstehst du?"

Wurde der Begriff des Hermaphroditismus in der Medizin Anfang des 20. Jahrhunderts vom Terminus Intersexualität abgelöst, so spricht man seit 2005 offiziell von DSD (disorders of sex development). "Darin spiegelt sich eine erneute Pathologisierung, die bei vielen Betroffenen Widerstand hervorruft", weiß Angelika Baier.

Heikle Geschlechtsanpassung

Mittlerweile haben sich auch die Behandlungsmethoden geändert. Heute arbeiten Ärzte- und Psychologenteams zusammen und unterstützen die meist überforderten Eltern. "Wir haben lange dazu tendiert, das äußerliche Geschlecht eines Intersex-Babys möglichst noch vor seinem ersten Lebensjahr an sein genetisches Geschlecht bzw. das von den Eltern gewünschte Geschlecht anzupassen", erklärt der Leiter der Abteilung für Kinderchirurgie am Wiener AKH, Ernst Horcher.

"Heute wissen wir, dass diese Kinder in der Pubertät oft ganz anders empfinden, als es das durch die Operation festgelegte Geschlecht nahelegt." Deshalb sei man dazu übergegangen, eine definitive Geschlechtszuordnung so lange hinauszuzögern, bis das Kind selbst entscheiden kann, in welche Richtung der Eingriff gehen soll. Allerdings birgt auch dieser jahrelange Schwebezustand enorme Belastungen für das Kind. "Zudem ergeben sich auch rechtliche Probleme, denn ein Mensch muss laut Geburtsurkunde entweder männlich oder weiblich sein. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf", sagt der Mediziner.

"Ein Anliegen unserer Arbeit ist es auch, diesem Thema Öffentlichkeit zu verschaffen", betont Angelika Baier. "Denn Literatur stellt einen Raum für Begegnungen dar, der Bindungen schafft - auch zwischen Lesern und den Figuren. Gerade diese Bindungen zeigen möglicherweise Wege auf, wie Intersexuellen auch in der außerliterarischen Wirklichkeit begegnet werden kann." (Doris Griesser, DER STANDARD, Printausgabe 24.1.2012)