Regisseurin, Autorin, Schauspielerin, feministische Aktivistin und Theoretikerin: Helke Sander ist eine "allseitig reduzierte", weil so facettenreiche Persönlichkeit.

Foto: Filmstill Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers

Sanders Rede 1968 vor dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund und die Reaktion der Männerriege darauf samt Gegenreaktion einer Mitstreiterin in Form einer Tomate brachten die zweite deutsche Frauenbewegung so richtig in Schwung.

Foto: Helke Sander, www.helke-sander.de

Soll das alles gewesen sein? Helke Sander stellt sich diese Frage in ihrem letztjährig erschienenen Buch "Der letzte Geschlechtsverkehr", in dem sie die Erfahrung ihrer Generation, der 68er, alt geworden zu sein, auf persönlich-heitere Ebene herunterbricht. Und auf der gibt es viel zu reflektieren, ist die Jubilarin, die am 31. Jänner 75 Jahre alt wird, doch als preisgekrönte Filmregisseurin und zentrale Figur der zweiten Frauenbewegung in Deutschland aktiv gewesen und reüssiert nach wie vor als Autorin.

Aktionsrat zur Befreiung der Frauen

1937 in Berlin geboren, heiratet Sander nach der Schauspielschule 1959 den Schriftsteller Markku Lahtela und geht nach Helsinki. Sie studiert Germanistik und Psychologie, führt bereits Regiearbeiten fürs finnische Arbeitertheater und Fernsehen aus und bekommt ihren Sohn Silvio. Ohne Mann kehrte sie 1965 trotz - oder wegen - ihres Erfolges als Regisseurin nach Berlin zurück und studiert bis 1969 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Als Alleinerzieherin bringt sie sich und ihren Sohn mit Jobs als Reporterin und Übersetzerin über die Runden und engagiert sich zunehmend in der Außerparlamentarischen Opposition (APO), im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS).

Als sie zusammen mit anderen Aktivistinnen Anfang 1968 den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" gründet, stößt sie die Bewegung für elternselbstverwaltete, alternative Kindergärten - Kinderläden - an und auch die zweite Frauenbewegung.

"Aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig"

Im selben Jahr präsentiert sie das Konzept des Aktionsrats vor einer geschlossenen Männerriege einer SDS-Konferenz und reklamiert das "Frauenthema", das ihrem Verständnis nach mit den Themen Kinder und Betreuung zusammenhängt, in die politische Arbeit hinein. Sie kritisiert, dass auch im SDS dieser weibliche Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen abgetrennt und tabuisiert werde: "Diese Tabuisierung hat zur Folge, dass das spezifische Ausbeutungsverhältnis, unter dem die Frauen stehen, verdrängt wird, wodurch gewährleistet wird, dass die Männer ihre alte, durch das Patriarchat gewonnene Identität noch nicht aufgeben müssen. Man gewährt zwar den Frauen Redefreiheit, untersucht aber nicht die Ursachen, warum sie sich so schlecht bewähren, warum sie passiv sind, warum sie zwar in der Lage sind, die Verbandspolitik mitzuvollziehen, aber nicht dazu in der Lage sind, sie auch zu bestimmen." Ihre Rede schließt mit den Worten: "Genossen, wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muss, nicht bereit seid, dann müssen wir allerdings feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig. Die Genossinnen werden dann die Konsequenzen zu ziehen wissen."

Tomatenwurf und Weiberräte

Die Genossen waren nicht bereit zu diskutieren, und die Genossinnen zogen ihre Konsequenzen: Mitaktivistin Sigrid Rüger warf die berühmte Tomate und traf den SDS-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl, woraufhin sich die Männer doch mit dem feministischen Inhalt auseinandersetzten, die Geschichte um die kämpferischen Frauen - nicht unbedingt wohlwollend - durch die Presse ging und eine kritische Masse studentischer Frauen auf die Idee brachte, sich ebenfalls zu organisieren, in Aktions- und Weiberräten zum Beispiel. Ein Jahr später traten die Feministinnen auf der SDS-Sitzung noch schärfer und mit dem gezeichneten Hackebeil auf und forderten: "Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!"

Macht die Pille frei?

Sanders feministische Arbeit setzt sich in der Frauengruppe "Brot und Rosen" fort, die 1972 im "Frauenhandbuch" die "Pille" als Speerspitze der "männerbeherrschten Medizin" scharf kritisiert. Ihr Anspruch: Angst und Respekt vor den Männern in den weißen Kitteln verlieren und als Frau Fragen stellen. 1973 dreht Sander darüber auch die TV-Dokumentation "Macht die Pille frei?". Zu dieser Zeit bringt die junge zweite Frauenbewegung mit einigen tausend Aktivistinnen die bislang tabuisierten Themenkreise Frauenunterdrückung und Homosexualität in den öffentlichen Diskurs und fordert die Entprivatisierung von Familie, Kindererziehung und Sexualität: Das Private ist politisch. Doch Abtreibung wird das bestimmende Thema: Die Bewegung für die Abschaffung des § 218 StGB gilt als die größte BürgerInnenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Erster feministischer Spielfilm

Die Doppelbelastung und, ja, Ausbeutung der Frauen in der Familie und im Beruf thematisiert Sander in ihrem Film "Eine Prämie für Irene" aus dem Jahr 1971; davor hat sie mit "Das schwache Geschlecht muss stärker werden" "Weibergeschichten" ins Fernsehen gebracht. Mit "Kinder sind keine Rinder" dreht sie eine Doku über die Kinderläden und schaut sich im gleichnamigen Film "Männerbünde" genauer an. 1978 erscheint ihr erster Langfilm "Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers", in dem sie selbst die Hauptfigur Edda spielt. Er gilt als erster feministischer Spielfilm Deutschlands.

Endlich Würdigungen

Überhaupt tritt Sander immer wieder als feministische Pionierin in Erscheinung. 1973 organisiert sie das erste europäische Frauenfilmfestival in Berlin, 1974 ruft sie die feministische Filmzeitschrift "Frauen und Film" ins Leben, die als einzige Sexismus-Kritik in deutschen Filmen übt. Dass sie acht Jahre lang mehr über Filme schreibt als selbige macht, liegt am Fehlen jeglicher öffentlicher oder privater Förderung von Sanders Arbeit, was die Regisseurin ihrem Auftreten als Feministin und Sozialistin zuschreibt. "Der subjektive Faktor", eine Doku über die Entstehung der Frauenbewegung, wird endlich, nicht in Deutschland, aber auf der Biennale in Venedig, gewürdigt. 1984 schließlich räumt ihr Kurzfilm "Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste - Nr. 1" den Goldenen Bären der Berlinale und den Deutschen Bundesfilmpreis in Silber ab.

Mitten im Malestream

Nachdem sie (sexuelle) Gewalt in der Beziehung in "Die Deutschen und ihre Männer - Bericht aus Bonn" angeschnitten hat, wendet sie sich dem Thema sexuelle Gewalt als Kriegswaffe zu und recherchiert für "BeFreier und Befreite: Krieg, Vergewaltigungen, Kinder" acht Jahre lang über Massenvergewaltigungen von deutschen Frauen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Als Erste macht sie das zum Thema. "Krieg und Sexuelle Gewalt" heißt auch ihre Dokumentation über Flüchtlinge des serbisch-bosnischen Krieges.

In den letzten Jahren konzentriert sich Sander auf zentrale Positionierungen der zweiten Frauenbewegung und klopft in "Mitten im Malestream", ihrer bislang letzten Regiearbeit, Positionen der Frauen von heute dazu ab. In ihrem jüngsten Buch "Der letzte Geschlechtsverkehr" nimmt sie sich die Geschlechterdividende im Alter vor und betrachtet die sexuellen Ansprüche von in die Jahre gekommenen Männern wie Frauen. Das tut sie in Kurzgeschichten, mit weisem Humor und der flapsigen, aber nicht resignativen Erkenntnis: "Alte Männer gehen in den Puff und Frauen in den Garten." (red, dieStandard.at, 30.1.2012)