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Hamann: "Diese permanente Pflege von Beziehungen über alle Grenzen hinweg lässt Europa eigentlich zusammenwachsen."

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Sibylle Hamann: Saubere Dienste - Ein Report. Residenz Verlag, 21,90 Euro.

Foto: Cover "Saubere Dienste - Ein Report" - Residenz Verlag

Obwohl die Branche eine schmutzige ist, hat Sibylle Hamann ihr neues Buch "Saubere Dienste – Ein Report" genannt. Die Autorin zeigt darin auf, wer die Menschen sind, die oft gut ausgebildet nach Österreich kommen, unsere Klos putzen oder unsere gebrechlichen Verwandten pflegen. Und obwohl unsere Gesellschaft nicht ohne diese Menschen existieren könnte, haben sie kaum oder gar keine rechtliche Absicherung. Oft sind es Geschichten von Ausbeutung, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit, die Hamann in ihrem Buch schildert. Aber die gleichen Geschichten können für unsere Putzfrauen, Nannys oder Pflegerinnen auch Emanzipation bedeuten.

Für kurze Zeit ist die Journalistin Hamann in die Rolle der Putzfrau geschlüpft. "Franziska, sieben Euro" ging in fremde Wohnungen putzen, um die andere Seite der Medaille kennenzulernen. dieStandard.at sprach mit ihr über das Kommen und Gehen von MigrantInnen, die Dienstbotinnen-Gesellschaft, die Mechanismen von Verleugnung und den "Staat als Komplizen".

dieStandard.at: Was ist Ihre Putzfrau von Beruf?

Sibylle Hamann: Ich könnte das beantworten, aber ich weiß nicht, ob es der Person recht wäre, wenn ich es verrate. Was ich sagen kann, ist, dass meine Putzfrau ein Mann ist.

dieStandard.at: Worauf ich hinaus will: Viele ArbeitgeberInnen haben kein Interesse zu erfahren, wer diese Personen sind, die sie in ihre Privaträume lassen. Woher kommt dieses Desinteresse?

Hamann: Ich glaube nicht, dass es nur Desinteresse ist. Es hat viel mehr mit Scham zu tun. Wir genieren uns einfach. Bei Menschen, die sehr viele intime Dinge über uns wissen und erfahren, ist es vielleicht leichter, damit umzugehen, wenn wir denen emotional nicht zu nahe kommen.

dieStandard.at: In der sogenannten DienstbotInnen-Gesellschaft gab es diese Scham nicht. Wie kam es zu diesem Wandel?

Hamann: Nicht nur in den bürgerlichen Salons, sondern auch am Land, wo es Herrschaft, Knechte und Mägde gab, war es selbstverständlich, dass man gewusst hat, was sich in diesem Verhältnis gehört. In der DienstbotInnen-Gesellschaft gab es etablierte Rituale und klare Regeln – die sind uns aber abhandengekommen. Es war genau festgelegt, wie man mit Dienstmädchen umgeht, wie sie wohnen und was sie dürfen. Wir haben die DienstbotInnen-Gesellschaft aber abgeschafft, und damit sind auch die Regeln verschwunden. Neue Regeln wurden bisher noch keine entwickelt.

dieStandard.at: Woher kommt das?

Hamann: Weil wir behaupten, dass es das nicht mehr gibt.

dieStandard.at: Eine Verleugnung der Realität ...

Hamann: Nichts anderes wollte ich mit meinem Buch zeigen. Also wie sehr unsere Gesellschaft in diesem Bereich die Realität verleugnet.

dieStandard.at: Oft werden private DienstleisterInnen wie Sklaven gehalten, überhaupt fehlt der rechtliche Rahmen für diese Branche. Warum gibt es für dieses Phänomen kaum oder gar kein Arbeitsrecht?

Hamann: Menschen, die illegal in einem Land leben, oder Menschen, die aus marginalisierten Verhältnissen kommen, sind nicht in der Lage, sich zu wehren. Je ausgegrenzter, je rechtloser sie in dem Land, in dem sie arbeiten, sind und je mehr Angst sie haben müssen, entdeckt zu werden, desto mehr sind sie dem jeweiligen Arbeitgeber ausgeliefert. Das nützen manche aus. Das ist immer eine Frage der Macht und der Abhängigkeitsverhältnisse. Wenn Menschen sehr verwundbar sind, sind sie auch extrem ausbeutbar.

dieStandard.at: Warum hat der Staat kein Interesse daran, rechtliche Mindeststandards für diese Branche zu gestalten?

Hamann: Der Staat hat überhaupt kein Interesse daran, diese Geheimnisgesellschaft aufzubrechen. In dem Moment, wo der Staat die Polizei in die Privathaushalte schickt, um diese Arbeitsverhältnisse zu beenden, müsste er dafür sorgen, dass alle diese Aufgaben trotzdem erledigt werden. Das heißt, der Staat müsste ab diesem Moment Altersheime und Pflegeheime bauen, PflegerInnen und KindergärtnerInnen ausbilden, Krippen bauen. Und sich um die Frage kümmern: Was passiert eigentlich, wenn berufstätige Eltern kranke Kinder haben? Das sind Probleme, die kann der Staat nicht lösen, er fühlt sich dazu nicht in der Lage und will es auch nicht.

dieStandard.at: Ein Spezifikum dieser Branche ist die Dominanz der Frauen. In Zahlen: Über 80 Prozent der DienstleisterInnen in unseren Haushalten sind Frauen. Wie könnte diese geschlechtsspezifische Teilung aufgehoben werden?

Hamann: Das ist ein Spiegelbild der weltweiten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die sich so schnell nicht ändern wird. In dem Moment, wo wir aber sagen, Reproduktionsarbeit soll und darf nicht mehr Frauensache sein, sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Zielländern der Migration, wird sich das vielleicht ein bisschen verschieben.

dieStandard.at: Aus dem Ursprungsland wegzugehen, bedeutet für viele Frauen auch Emanzipation. In welchem Verhältnis steht diese zur Ausbeutungsanklage in Ihrem Report?

Hamann: Ich wollte keine Anklage der Ausbeutung schreiben. Ich möchte auch nicht, dass diese Art der Migration bekämpft oder abgeschafft wird. Migration ist für viele Frauen, gerade für viele junge Frauen eine Möglichkeit, von daheim – oft aus sehr bedrückenden Verhältnissen – wegzukommen. In den Dienst zu gehen war dafür eine sozial akzeptierte Möglichkeit. Das Buch ist zumindest in gleichen Teilen eine Ausbeutungs- und Emanzipationsgeschichte.

dieStandard.at: Welche Rolle spielt die mögliche Rückkehr bei diesen Frauen?

Hamann: Wir verbinden mit Rückkehr immer das Bild, dass daheim immer alles so ist wie vorher. Auch viele MigrantInnen tragen dieses statische Bild ihrer Heimat mit sich herum. Migration verändert Menschen aber. Man ist jemand anderer, wenn man weggegangen ist, man trägt das Potenzial in sich, die Verhältnisse zu verändern, wenn man wieder zurückkommt. Das heißt aber auch, nach einer Rückkehr ist nichts mehr wie vorher. Migration verändert so auch Orte, nicht nur jene wo Menschen hingehen, sondern auch jene der Rückkehr.

dieStandard.at: Sind die Kategorien "Weggehen" und "Zurückgehen" für das 21. Jahrhundert noch adäquat?

Hamann: Das sind keine eindeutigen Kategorien. Menschen gehen nicht weg und sind dann für immer weg, sondern die haben zu Hause Familie, Freunde, wo sie sich durchaus über Jahrzehnte solidarisch fühlen. Da gibt es regen Austausch, Reiseverkehr und Vermittlungstätigkeiten. Diese Netzwerke, diese permanente Pflege von Beziehungen über alle Grenzen hinweg lassen Europa eigentlich zusammenwachsen. Weggehen und Zu-Hause-Bleiben sind nicht mehr so leicht unterscheidbar. Es ist ein Hin und Her und einfach ein Austausch. Wir tragen aber immer noch das Bild in uns: Du musst dich entscheiden, wo du hingehörst, und dort bleibst du dann.

dieStandard.at: Ingrid Moritz von der Arbeiterkammer schlägt eine Vermittlungsstelle von privaten DienstleisterInnen und deren potenziellen ArbeitgeberInnen vor. Könnte das arbeitsrechtliche Sicherheit schaffen?

Hamann: Ich habe kein ausgearbeitetes Konzept, wie man das bürokratisch lösen müsste. Wichtig wäre, dass es nicht in totaler Bürokratie endet. Ich glaube auch nicht, dass jedes informelle Arbeitsverhältnis in einer formellen Anstellung enden muss. Was tatsächlich fehlt, ist ein Markt, wo man Leistungen gegen Geld tauschen kann und dabei einen Mindeststandard an Regeln einhält. Das wäre die große Herausforderung, so ein Netzwerk zu schaffen.

dieStandard.at: In "Saubere Dienste" formulieren Sie ein Plädoyer für klare Regeln. Auch Berechenbarkeit und Ehrlichkeit spielen dabei eine große Rolle.

Hamann: Ich halte es für einen Riesenskandal, dass man Menschen, die hier Aufgaben erfüllen, die offensichtlich dringend benötigt werden, nicht ermöglicht, sich hier legal aufzuhalten, hier legal zu arbeiten. Daher braucht es Berechenbarkeit für diese Personen und Ehrlichkeit in Bezug auf ihren Status.

dieStandard.at: Ein riesiges Betätigungsfeld für die Gewerkschaft, möchte man meinen. Derartige Bestrebungen sind aber nicht wahrzunehmen.

Hamann: Die Gewerkschaft fühlt sich dafür in keiner Weise zuständig – und nicht nur das, sie fühlen sich sogar bedroht. Menschen, die aus dem Ausland hierher kommen und hier illegal arbeiten, sind nicht Verbündete der Gewerkschaft, sondern ihre Feinde. Das liegt in der Natur der Sache: Wenn eine Gewerkschaft in nationalen Dimensionen denkt, wird man diese Personen auch nicht vertreten. Was uns also dringend fehlt, ist eine Lobby für die Interessen von Menschen, die in verschiedenen Ländern zu Hause sind, die Grenzen überwinden und verschiedene Verpflichtungen in verschiedenen Ländern haben. (dieStandard.at, 26.2.2012)