Böse Ehe: Anita Gramser und Dennis Cubic.

Foto: Marc Lins

Wien - Henrik Ibsens Nora ist eine an den patriarchalen Rollenzuschreibungen zugrunde gehende, bürgerliche Ehefrau, deren letzter Ausweg es ist, Mann und Kinder zu verlassen. Ein Fluchtversuch, den Elfriede Jelinek 1977 in ihrer Fortschreibung Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft brutal scheitern lässt.

Jelineks Dramendebüt, auf das die Garage X nun in einer Neuinszenierung Rückschau hält, fährt den Karren der damaligen Emanzipationsbewegung mit ganzer Wucht an die Wand: Nora wird, kaum der demütigenden Ehe entkommen, auch im Erwerbsleben sofort zum Spielball geschäftstreibender Herren. Dem patriarchal-kapitalistischen System, so Jelineks Befund, entkommt nur, wer es auch zerschlägt. Wie geschmiert das System auch 35 Jahre später noch läuft, lässt sich an der mit Zeitungsartikeln beklebten weißen Bühne von Renato Uz ablesen: überall Protagonisten von Schmiergeldaffären und Parteispendenskandalen.

Jelineks Text wirkt in seinen viel strapazierten Mann-Frau-Oppositionen in die Jahre gekommen, nimmt aber in der sprachlichen Knalligkeit und antiidentifikatorischen Haltung schon jenes Theorie-Stakkato vorweg, mit dem eine Generation später René Pollesch erst so richtig Furore machte. Das überrascht an diesem Abend. Regisseur Ali M. Abdullah hat dieses Prinzip in einer schnellen, an Castorf-Ästhetik orientierten Inszenierung zugespitzt.

Nora ist ein Blondchen mit verweinten Augen, das auf Highheels durch die demontierte Bühnenlandschaft stakst. Den Backstage-Holzkasten haben die beiden Schauspielerinnen (abwechselnd Nora und andere Frauenrollen: Anita Gramser und Julia Jelinek) schon selbst Stück für Stück abgetragen. Das Theater baut sich und seine Requisiten zurück und wird mehr und mehr zum bloßen Diskursraum. In diesem übernehmen die Schauspieler (u. a. Dennis Cubic) ihre Rollen nur mehr insofern, als sie sich die Figurennamen bei jedem Auftritt neu auf das Kostüm kleben und dieses irgendwann gegen die Trainingshose eintauschen. Und die Frauencombo "Wir haben uns lieb bis eine heult" (Verena Dürr, Ulla Rauter) spielt kritische Lieder dazu.

Sado-Nummer

Das macht den Abend geschmeidig. In ihm steckt auch viel Vehemenz, doch bleibt das Spiel im Vergleich zu anderen postfatalen Deutungen dieser Art lau. Und mit ihm auch die angestiftete Debatte. Markus Heinicke allerdings erschafft einen Konsul Weygang, der in seiner Gerissenheit an schöne Volksbühnen-Pirouetten erinnert. Nora, die sich als Pfand für eine Grundstücksspekulation eingesetzt sah ("pfui, Bär!"), zahlt es ihrem Alten in einer SM-Szene heim, doch selbst da ist das Opfer wiederum eher sie.   (Margarete Affenzeller  / DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2012)