"Roche & Böhmermann", sonntags um 22 Uhr auf ZDF-Kultur.

Foto: Screenshot zdf neo

Der Nostalgie-Trend reißt nicht ab. Nach den hochgelobten fiktionalen Zeitreisen dank "Mad Men" soll nun auch im Late-Night-Talk während der Arbeit chic Whiskey getrunken, Kette geraucht und auf Political Correctness gepfiffen werden. Entlang dieser Lässigkeits-Empfehlungen für ihre Studiogäste laden seit Anfang März auf ZDF-Kultur Charlotte Roche und Jan Böhmermann fünf Gäste an den runden Tisch von "Roche & Böhmermann". Auch stilistisch ist die Sendung den Anfängen des Fernsehens nachempfunden: klobige silberne Mikros, Namenskärtchen und große Aschenbecher für die hoffentlich rauchenden Gäste. 

Auch das inhaltliche Konzept der Sendung knüpft an die jungen Jahre des Fernsehens an. Es gibt keine geplante Redezeitverteilung, die Gäste bestimmen selbst, wie sehr sie sich einbringen bzw. die Themenausrichtung mitgestalten wollen. Und auch ein Zensurspiel ließ man sich einfallen, das die Zensur ad absurdum führen soll, wird sie doch vor den Augen der ZuschauerInnen vorgenommen. Da gibt es einerseits die Möglichkeit, verpatzte oder zu arge Gesprächsabschnitte unter den Augen der ZuseherInnen zurückzuspulen, um noch mal von vorn zu beginnen. Andererseits können sich alle Beteiligten mittels Zensurpiepser zumindest vor den ZuschauerInnen per Knopfdruck selbst zensurieren - wenn sie ganz böse Wörter sagen, zum Beispiel.

Ihr wollt Tacheles reden?

Doch wenn die ModeratorInnen selbst so unsagbar brav sind wie Roche und Böhmermann, wird das natürlich nichts mit den kalkulierten Tabubrüchen. "Ohne Maulkorb!" wollen die zwei vermitteln, kommen dabei aber krampfhaft unkonventionell rüber. Roche spricht teilweise in Kategorien, die für Erwachsene keine mehr sein sollten: Musicals findet sie "für Omas" und einiges andere schlichtweg "voll peinlich".

So erinnert das ModeratorInnen-Duo insgesamt an unsichere Teenager, die durch beabsichtigte Benimm-Fehltritte nach Aufmerksamkeit schreien - im Falle von Roche und Böhmermann sind es natürlich Quoten. Nur Rapper Sido, Gast in der ersten Sendung, kauft man seine "Piiieep"-Sager ab, das gehört schließlich zu seiner Job-Description. Als "englisches Bumsbuchflittchen" bezeichnet Böhmermann Roche in der Ankündigung zur Sendung auf der Website, sie nennt ihn einen "beschissenen Billiganzugträger" mit neoliberaler Yuppie-Art, mit dem sie sich nur beruflich gut verstehe. Doch das ist natürlich alles nur ironisch gemeint, echte Konflikte sind doch uncool, oder?

Dabei will die Sendung vor allem eines leisten: dass Tacheles geredet wird. Doch wie wenig weit es damit her ist, führte Böhmermann gleich in der ersten Sendung deutlich, wenn auch unfreiwillig, vor. Neben Sido waren noch Model-Coach Jorge Gonzales, die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, der Türsteher und Fotograf Sven Marquardt und die Moderatorin Britt Hagedorn zu Gast.

Als die Rede auf Hagedorn kam, wollte Böhmermann beweisen, wie lässig politisch unkorrekt sein ist. Ausschließlich "Asis mit schlechten Zähnen" würden ihre tägliche Talk-Show sehen, in der Hagedorn Menschen "am Rande der Behinderung" vorführe. Außer großen Sprüchen war aber nichts dahinter, denn als Hagedorn sich und ihre Sendung verteidigte, schaute Böhmermann nur verdattert, holte noch ein paar Kraftausdrücke hervor, verstummte schließlich und versuchte mittels Rückspuleffekt einen Neustart. 

Tja, "Scheiß Political Correctness!" zu rufen, damit tun sich viele leicht. Doch genauer wollen nur wenige auf ihre lässig dargebrachten Pseudo-Tabubrüche eingehen, die sich wie bei Böhmermann auch noch hinter einer feigen Ironie-Fassade verstecken, durch die das Gegenüber im Unklaren bleibt: Schmäh oder ernst gemeint? Dass sie das oft nicht mal selber wissen - auch das hat Böhmermann mit seiner betretenen Reaktion gezeigt.

Verlegenes Lächeln

An diesem Punkt war das Versprechen schonungsloser Offenheit schon in der ersten Sendung gebrochen. Anstatt dass die Runde diesen Zusammenstoß zum Anlass genommen hätte, darüber zu streiten, ob Hagedorn tatsächlich Menschen vorführt, ob Böhmermanns Bezeichnungen vertretbar sind oder nicht, hielten alle schön den Mund. Und obwohl Roche Böhmermann im Vorfeld - wenn auch im kalkulierbaren Rahmen - als "neoliberal" bezeichnete und sich nun ihre Einschätzung exemplarisch bestätigte, verzichtete auch sie auf einen Kommentar und lächelte nur verlegen. 

Die markige Oberfläche von "Roche & Böhmermann", an der sich die beiden ModeratorInnen streberhaft abarbeiten, wird inhaltlich nicht umgesetzt. Dieser Eindruck wurde von der zweiten Sendung letzten Sonntag noch verstärkt. Bei der Premiere lieferte wenigstens Sido einen Moment der Spontanität, als er Böhmermanns Aussagen als Einziger so quittierte: "Du bist geisteskrank, du hast eine richtige Macke, Alter." (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 15.3.2012)