Menschen in Jobs müssen immer mehr Überstunden leisten, während draussen Arbeitssuchende und prekär Beschäftigte Schlange stehen.

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Grünen-Gemeinderätin Vana fordert: "Teilzeit aufwerten und Arbeit fair teilen".

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Teilzeit ist eine bittere Pille. Über "Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen" informiert derzeit eine Kampagne der SPÖ-Frauen. Der Grund: Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit, weshalb ihnen durch die Erwerbstätigkeit keine ausreichende soziale Absicherung mehr erwächst.

Die Sozialdemokraten adressieren damit ein existentielles Problem von Frauen, ohne dabei aber Lösungen aus dem Dilemma von immer weniger existenzsichernden Jobs einerseits und dem Abbau des Sozialstaates andererseits anzubieten.

Fakt ist, dass Lohnarbeit und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern bis heute sehr ungleich verteilt ist. Dazu kommt die Ungleichverteilung von Arbeit zwischen Arbeitsuchenden und Beschäftigten. Fast ein Drittel der ArbeitnehmerInnen in Österreich arbeitet mehr Stunden als vertraglich vereinbart. Von diesen (oft unbezahlten) Überstunden ließen sich viele neue Jobs machen, wirft die Arbeiterkammer alljährlich ein. Müsste die frauen- und sozialpolitische Forderung der Stunde also nicht viel mehr eine Arbeitszeitverkürzung statt eine immer weniger zu realisierende Vollerwerbstätigkeit für alle lauten?

Fair Teilen

Die Wiener Gemeinderätin und Europa-Sprecherin der Grünen, Monika Vana, kann der Idee des "Fairteilens" von Arbeit sehr viel abgewinnen. Die Grünen haben eine Arbeitszeitverkürzung für alle in ihrem Parteiprogramm festgeschrieben, aber in der letzten Zeit wenig Gelegenheit darüber zu sprechen. "Der Diskurs geht derzeit ja genau in die gegenteilige Richtung. Als Lösung aus der Krise werden flexibilisierte Arbeitsmärkte und Arbeitszeitverlängerung propagiert", beklagt Vana.

Die derzeitige Regelung sei alles andere als schadlos für Gesellschaft und Ökonomie. "Die Ungleichverteilung von Arbeit fordert schon jetzt massive volkswirtschaftliche Kosten, die durch Überlastung bei den Erwerbstätigen entsteht". Andererseits würden auch Unternehmen von einer Senkung der Normalarbeitszeit profitieren: "Es gibt Studien, die belegen, dass die höchste Produktivität von ArbeitnehmerInnen bei 32 Wochenarbeitsstunden liegt. In Fragen der Innovation gibt es ähnliche Ergebnisse", so Vana.

Aufwertung von Teilzeit

Vana plädiert in einem ersten Schritt auch für Verbesserungen für Teilzeit-Beschäftigte. "Teilzeit ist eine Form der oft unfreiwilligen Arbeitszeitverkürzung mit negativen Auswirkungen wie nicht existenzsichernde Einkommen, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und niedrige Pensionen und betrifft in erster Linie Frauen."  Diskriminierungen wie jene beim Mehrarbeitszuschlag müssten beseitigt werden.

Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit in der Wirtschaftskammer, sieht in der Teilzeit aber bereits jetzt ein "Erfolgsmodell". "Die Nachfrage an Teilzeitstellen überragt das Angebot bereits jetzt um das zehnfache", lässt er in Richtung SPÖ-Frauen ausrichten. Die Teilzeit würde fälschlicherweise als prekäres Arbeitsverhältnis eingereiht werden. Eine generelle Arbeitszeitverkürzung hätte allerdings massive Auswirkungen für die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum, wie Gleitsmann mit Blick auf die Erfahrungen in Frankreich betont.

Arbeitszeitverkürzung als Jobmotor?

Frankreich ist bisher das einzige europäische Land, das in den letzten Jahrzehnten eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung vorgenommen hat. 2000 bzw. 2002 wurde unter sozialistischer Führung eine reguläre 35-Stunden-Woche eingeführt, aber seither durch diverse Begleitmaßnahmen immer weiter aufgeweicht, etwa durch eine steuerliche Begünstigung von Überstunden.

Arbeitsmarkt-Expertin Hedwig Lutz vom WIFO sieht darin einen Grund, warum das französische Modell nicht Schule machte. "Arbeitsmarktverkürzung wirkt sich dann positiv auf die Beschäftigung aus, wenn sie bei Arbeitskräften, Unternehmen und Kunden wenig Anpassungsmöglichkeiten an die Veränderung der Normarbeitszeit zulässt", gibt sie grundsätzlich zu bedenken.

Neu-Verteilung der Lebensarbeitszeit

Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde weniger Arbeiten zur Norm machen, was zweifelsohne eine "Signalwirkung" für die Gesellschaft hätte, betont die Expertin. Dennoch plädiert sie statt einer statischen Lösung für flexibel angepasste Modelle der Arbeitszeitverkürzung. "Ziel sollte es nicht sein, die Lebensarbeitszeit zu kürzen, sondern anders zu verteilen." Dazu zählen neben Teilzeit auch längere Unterbrechungsmöglichkeiten, wie Urlaube, Sabbaticals, Karenzzeiten wegen Betreuung/Pflege, Bildung, etc.

Als Problem sieht sie allerdings auch, dass in Österreich die Arbeit zwischen Männern und Frauen besonders ungleich verteilt ist. Deshalb sollte Männern Anreize gesetzt werden, weniger erwerbsmäßig zu arbeiten, vor allem in Phasen mit erhöhtem Bedarf an zeitlichem privaten Engagement.

Das gute Leben

Wohl herrscht bei ExpertInnen inzwischen Einigkeit, dass das 40-Stunden-Vollerwerbsmodell in gewissen Lebensphasen nur sehr schwer bewältigbar ist, wie auch der neue deutsche Familienbericht mit seiner Beschwörung der "Familienzeitpolitik" verdeutlicht, doch an eine ganzheitliche Analyse und Neubewertung von Erwerbs- und unbezahlter Arbeit wagen sich bisher die wenigsten heran. Dieses Feld ist weiterhin Feministinnen vorbehalten, wie etwa der Soziologin Frigga Haug, die mit ihrer Vier-In-Einem-Perspektive eine der meistgehörten Verfechterinnen eines guten Lebens für alle geworden ist. Ihr vielleicht überraschendes Argument: Uns geht nicht die Arbeit aus, im Gegenteil: es gibt unermesslich viel Arbeit, die derzeit nicht geleistet wird, etwa in der Ökologie oder auch in Fragen des sozialen Zusammenlebens.

Mit einer Reduktion der Erwerbstätigkeit auf vier Stunden pro Tag erwüchse für jede Person ein neues Zeitkontingent, das für die persönliche Entwicklung, die unablässige politische Arbeit und nicht zuletzt die Sorge für andere frei würde. Ein Modell, das sich die SPÖ letztes Jahr bei der Enquete "Arbeit.Neu.Denken" erläutern ließ. 

"Ernährer-Modell" schon länger in der Krise

Bisher bleibt die SPÖ allerdings bei der Verfechtung der Vollerwerbstätigkeit als Modell der sozialen Absicherung, wohl wissend, dass das bestehende "Ein-Ernährer-Modell" des Wohlfahrtsstaates (Vollzeit-Erwerb einer Person als Voraussetzung für die soziale Absicherung einer ganzen Familie) nicht erst seit der Krise gewaltig strauchelt. 

Alternativen, die mehr Gerechtigkeit in Bezug auf die Arbeitsverteilung und die soziale Absicherung zur Folge hätte, werden derzeit zu schwach gehört, stellt Vana fest. Es sei vor allem auf europäischer Ebene Lobby-Arbeit für die Idee der Umverteilung gefragt. Als Bündnispartner sieht sie dabei das europäische Parlament, die europäische Frauenlobby, aber auch öffentliche Unternehmen. Allein: der Skandal ob der faktischen Unmöglichkeit, Beruf und Familie "gerecht" zu vereinbaren, dauert schon so lange, dass auf die Mithilfe von wütenden Eltern vor den Zentralen der Macht vermutlich verzichtet werden muss. Sie sind, nach allem, was tagtäglich auf sie zukommt, wohl einfach zu müde. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 18.3.2012)