Bild nicht mehr verfügbar.

Dass sich nicht die Täter, sondern die Betroffenen schämen, ist symptomatisch für den Umgang der Öffentlichkeit mit dem Thema sexueller Gewalt. Die britische Kampagne "We believe you" will den Rückhalt für die Opfer forcieren.

Foto: APA/EPA/ROLAND WITTEK

"Wenn das Mädchen, dem du einen Drink spendierst ... nicht die Beine breit macht, denk an diese Statistik: 85 Prozent der Vergewaltigungen werden nicht gemeldet. [...] Die Chancen stehen recht gut." ("If the girl you've taken for a drink... won't 'spread for your head', think about this mathematical statistic: 85% of rape cases go unreported. [...] That seems to be fairly good odds.") Ein gut gemeinter Ratschlag, geschrieben vom einzigen weiblichen Redaktionsmitglied des britischen Webportals für echte PräfeministInnen "UniLad". Das steht ganz im Dienste der "Lad"-Kultur, die in den 1990ern als Reaktion auf die Zweite Frauenbewegung aufgekommen ist und längst auch die Uni-Campusse der Insel erreicht hat. Die "Lads" respektive die weiblichen "Ladettes" grenzen sich von einer intellektualisierten BügerInnenschicht durch extra viel politische Unkorrektheit ab, wobei die Reduzierung von Frauen auf Sexobjekte eingeübt und kultiviert wird.

Ansichten wie diese bezüglich sexueller Gewalt als Kavaliersdelikt oder männliches Recht auf das Sexobjekt Frau spiegeln wider, was die britische Statistik über Verurteilungsraten in Fällen angezeigter Vergewaltigungen belegen: Nur 5,9 Prozent der vermutlichen Täter kommen nicht ungeschoren davon.

Mit Verständnis nicht zu rechnen

Die britische Elternwebseite "Mumsnet" ist letzte Woche mit eigenen Zahlen zum Thema an die Öffentlichkeit gegangen. Sie hat über 1.600 Frauen, Userinnen der Seite, befragt: Eine von zehn gab an, vergewaltigt worden zu sein; jede Vierte in dieser Gruppe gab vier oder mehr Tatvorfälle an. 35 Prozent haben sexuelle Übergriffe erlebt. Zwei Drittel kannten die Täter. 83 Prozent gingen nicht zur Polizei, 29 Prozent haben es niemanden, auch nicht Nahestehenden, erzählt. 68 Prozent meinten, sie würden aufgrund der niedrigen Verurteilungsraten mit einer Anzeige zögern, und 53 Prozent, weil es peinlich und beschämend wäre. 70 Prozent denken, dass die Medien mit Vergewaltigungsopfern verständnislos umgehen, 53 Prozent legen das auf das Rechtssystem um, und 55 Prozent meinen, dass die Gesellschaft im Allgemeinen kein Verständnis habe.

"Wir glauben Dir"

Für die Betreiberinnen von "Mumsnet" waren die Ergebnisse dieser nicht representativen Umfrage Anlass genug, eine Kampagne zu lancieren, die in den Nachwehen des diesjährigen Frauentages in die selbe Kerbe wie die letztes Jahr entstandene Slutwalk-Protestbewegung schlägt: Vergewaltigungsmythen brechen und klarstellen, dass es bei sexueller Gewalt nur einen Schuldigen gibt, den Täter nämlich. Sie soll Opfern bzw. Überlebenden sexueller Gewalt öffentlich Rückhalt demonstrieren, indem sie schon im Titel sagt: "Wir glauben Dir" ("We believe you"). Diese Aussage, gerade weil sie simpel ist, konkretisiert niederschwellig, warum Betroffenen so oft keine Gerechtigkeit, ob von Seiten der Justiz oder der öffentlichen Meinung, widerfährt: Das Opfer steht unter Verdacht, mitschuldig zu sein und muss sich seine Glaubwürdigkeit erst verdienen.

Verdiente Unterstützung

So macht es sich die "Rape Awareness"-Kampagne zur Aufgabe, die gängigen Vorurteile gegenüber Betroffenen und Tathergängen mit Fakten zu wiederlegen: Dass die wenigsten Betroffenen von Fremden in dunklen Straßenecken überfallen werden, sondern von Bekannten; dass das Aussehen und die Aufmachung von Frauen - Schlüsselwort "sexy" - kein Auslöser für Vergewaltigungen sind; dass es keine Vergewaltigung sein kann, wenn die Frau keine offensichtlichen Wunden davongetragen hat.

"We believe you" kooperiert auch mit zwei britischen Gewaltschutzeinrichtungen, der landesweit agierenden Koalition zur Beendigung von Gewalt an Frauen, und "RapeCrisis", einer seit 1973 operierenden Helpline für Betroffene. Die Öffentlichkeit, sind sich die Einrichtungen einig, müsse endlich für das Thema sensibilisiert werden, und betroffene Frauen, fasst es Mumsnet-Mitgründerin Justine Roberts zusammen, sollten nicht länger schweigen müssen aus Angst vor Unverständnis: Gerade in der Situation würden sie Unterstützung am meisten brauchen - und verdienen sowieso. (red, dieStandard.at, 19.3.2012)