Christiane Rösinger: "Liebe wird oft überbewertet. Ein Sachbuch." Fischer Verlag, 14 Euro, bereits erschienen

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Musikerin und Autorin Christiane Rösinger.

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Der Jahreskreis der Singles startet im November, mitten im "Herbst der Trennungen". In dieser Jahreszeit sind Paare besonders separierungsanfällig, erfahren wir in dem Buch "Liebe wird oft überbewertet". In dieser Jahreszeit wird es nicht nur dunkler und kälter, dazu kommen auch noch Herzschmerz, Rachegelüste und panische Angst vor dem winterlichen Singlehorror Weihnachten und Silvester. Doch hat man sich erst durch all den Beziehungsmurks samt Trennungsaction gebracht, stehen die Chancen gut: Ein stückweit befreit von der penetranten Pärchenideologie kann es nun in den Frühling gehen.

Mythen über Mythen

Die Musikerin Christiane Rösinger legt nach ihrem autobiographischen Romandebüt "Das schöne Leben" nun ein Sachbuch vor. Im Fokus ihrer Auseinandersetzung in "Liebe wird oft überbewertet" steht die "RZB" - die romantische Zweierbeziehung. Welche Mythen gibt es über sie? Welchen Einfluss hat sie auf das urbane Leben und wie ideal ist sie als Lebensform tatsächlich? Hinsichtlich dieser Fragen klopft Rösinger das Pärchenleben nicht nur mit historischen, neurowissenschaftlichen oder soziologischen Untersuchungen ab; Wir erfahren auch, wie gut (bzw. wie schlecht) Männer und Frauen im gemeinsamen Bett schlafen, wie sich der Einfluss von Kapitalismus und Massenmedien auf romantische Anbahnungsrituale gestaltet und in welche Kategorien sich die umfangreiche Liebesratgeberlitertur einteilen lassen. Diese für die RZB recht desillusionierenden Fakten unterbricht Rösinger mit tagebuchartigen Erzählungen aus dem Leben eines Großstadtsingles - mit allen Hoch und Tiefs eines Singlejahres.

Es sind vor allem diese Abschnitte, die dem Lebensgefühl von Singles neue Nuancen hinzufügen. Während Singleerzählungen à la "Bridget Jones" oder "Sex and the City" das Leben ohne Mann höchstes als Übergangszeit als akzeptabel präsentieren, ist es für Rösinger die heterosexuelle  Beziehungsnorm, aus der wir uns schleunigst befreien sollten. Sonst werden wir zu "Menschen, die wie Steine nebeneinandersitzen, die in Pizzerien verzweifelt das Besteck streicheln, um sich nicht anschauen und miteinander sprechen zu müssen." Und auch sonst spart die Autorin nicht mit Spitzen in Richtung "blöder Pärchen".

Den Sach- und Tagebuch-Elementen werden noch ein paar Polemik-Abschnitte zugefügt, etwa die "Zehn Pärchenlügen". Eine davon ist die "Die Arbeitslüge". Sie steckt in dem Rat, nach der kurzen Verliebtheitsphase sei das einzig richtige Rezept einer gelungenen Beziehung, hart an ihr zu arbeiten. Rösinger stellt dem entgegen, dass sich hinter dieser Aussage ein ganzer Berufszweig eine goldene Nase verdient - vom Paartherapeuten bis zur Autorin von Liebesratgebern. Und selbst eine der größten Liebesgeschichten der Literatur quittiert Rösinger romantikresistent so: "European Rich Kids, junge Adelige aus Verona. Julia war vierzehn, von körperlicher Arbeit befreit und ohne Geldsorgen." Da ist ein Liebesdrama eine willkommene Abwechslung im schnöden Reichendasein - wenn auch mit tödlichem Ausgang. 

Wo kriselt es am heftigsten?

Single- und Liebesklischees freilegen und demaskieren - das ist die Intention von "Liebe wird oft überbewertet". Leider gelingt Rösinger das nicht immer, ohne selbst beherzt in die Klischeekiste zu fassen. Da wäre zum Beispiel das Bild des Pärchen hassenden Singles, das - wenn auch auf witzige Art und Weise - bedient wird. Oder des Singles, der alle Beziehungen als schlecht oder "Lüge" einstuft, manchmal mit gar einfachen Erklärungsmustern: "Dort, wo die größte Einigkeit vorgeführt werden muss, kriselt es am heftigsten." Und wer Christianes Rösingers Werk - von ihren Liedern, Artikeln bis zu ihrem Roman - kennt, könnte sich im Laufe des Lesens an dem einen oder anderen Wort langsam sattsehen, zu viel wird einer dann das "Sinnlose" oder "Arge."

Gibt noch so viel mehr

Doch wohlwollend interpretiert könnte das auch als Wiedererkennungswert gedeutet werden, der sich mit dem vorliegenden Buch auch inhaltlich ergibt. Denn dass die Texterin von Liedzeilen wie "Pärchen, verpisst euch, keiner vermisst euch!" oder "Jugendliche werden so darauf konditioniert, dass das Leben nur als Paarbindung funktioniert" ein Buch über das herrschende Modell RZB schreibt, ist nur logisch. Obwohl sich Rösinger dabei selbst und auch ihre Thesen nicht immer ganz ernst nimmt, bearbeitet sie mit "Liebe wird oft überbewertet" doch ein hochpolitisches Thema. Sie geht damit über das Programm des Singleempowerment hinaus und erteilt der immer strenger verordneten Arbeit am emotionalen Selbst eine Absage. Und weil Frauen sich auch vor dieser unbezahlten Arbeit nicht scheuen, Selbsthilfeliteratur lesen oder Seminare besuchen um sich und ihn beziehungsfit zu machen, brauchen wir Bücher zum Thema Liebe von schlauen Frauen wie Christiane Rösinger.

Letztendlich verdonnert Rösinger dennoch nicht alle zu einem beziehungslosen Leben. In "aufreibenden Seelenverwandtschaften", "intensiven Freundschaften" oder durch die schon fast romantisch klingende "solidarische Nähe" lässt sich getrost ohne RZB ein Gefühlsleben führen. (dieStandard.at, 20.3.2012)