Sabine Derflinger.

Foto: Pressebild Sabine Derflinger

Der "Tatort" "Falsch verpackt" unter der Regie von Sabine Derflinger.

Foto: ORF/Petro Domenigg

Seit 1971 wird die "Tatort"-Reihe auch für Österreich gedreht. Somit hat es über 40 Jahre gedauert, bis eine Regisseurin für einen österreichischen "Tatort" eingesetzt wurde. Sabine Derflinger führte bei der neuesten Folge "Falsch verpackt" (Sonntag, 20.15 Uhr, ORF 2) Regie. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem "Tatort" ist bereits für Herbst geplant.

In ihren letzten Filmen beschäftigte sich die Filmemacherin und Regisseurin mit Sexarbeit ("Tag und Nacht") oder mit Langzeitarbeitslosigkeit ("Hot Spot"). Im Österreich-"Tatort" "Falsch verpackt" hatte es Sabine Derflinger mit der chinesischen Mafia und natürlich mit dem Polizeigespann Moritz Eisner und Bibi Fellner zu tun, von dem die mehrfach preisgekrönte Regisseurin schwer begeistert ist, wie sie im Gespräch mit Beate Hausbichler verriet.

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dieStandard.at: Wie kam es zu Ihrer Regiearbeit für den Österreich-"Tatort"? Schaute man sich bewusst zur Abwechslung mal nach einer Regisseurin um?

Sabine Derflinger: Nein, ich rannte denen sechs Jahre lang die Tür ein. Irgendwann hatte ich sie dann so weit. Ich habe 2004 für das ZDF den Fernsehfilm "Kleine Schwester" gemacht. Das war auch ein Krimi, seither habe ich es beim "Tatort" versucht. 

dieStandard.at: Warum wollten Sie unbedingt beim "Tatort" Regie führen?

Derflinger: Es ist ein tolles Format für das Fernsehen, beim "Tatort" ist einfach sehr viel möglich. Er bildet auch über die Jahre die Gesellschaft ab, wie sich die KommissarInnen verändern. Im Gegensatz zu den aktuellen Folgen musste früher außerdem immer alles restlos aufgeklärt werden. Auf der anderen Seite will ich für das Fernsehen arbeiten, weil ich damit kontinuierlicher Geld verdienen kann.

dieStandard.at: Ziemlich genau vor einem Jahr stieß zum Kommissar Eisner die Polizistin Bibi Fellner. Wie finden Sie diese Figur, auch "Bibi-Puppi" genannt oder "oide Nuttn", wie sie in "Falsch verpackt" ein alter Jugendfreund bezeichnet?

Derflinger: Ich finde sie toll. Die ist so geradeheraus, sie hat Fehler und ist nicht so eine Superwoman, sondern hat Ecken und Kanten. Außerdem ist die Adele Neuhauser einfach eine sehr gute Schauspielerin. Mit der Figur der Bibi Fellner kann man sehr spielerisch umgehen. Diese Puppi-Geschichte zeigt zum Beispiel, dass es diese Figur ermöglicht, mit Klischees spielerisch umzugehen. Oder auch mit diesem "du oide Nuttn" konnte das politisch Unkorrekte so überhöht werden, bis es absurd wird.

Das Bedürfnis, dass Frauen im Fernsehen auch Frauenvorbilder sehen sollen, resultiert oft darin, dass gerne die "starke Frau", die "tolle Frau" gezeigt wird. Das führt zu einem Frauenbild, das man schon gar nicht sehen will - die Frau, die alles schafft. HeldInnen sind einfach schöner, wenn sie Ecken und Kanten und viele Seiten haben oder scheitern. Das gilt für Männer wie für Frauen.

dieStandard.at: Wie gefällt Ihnen insgesamt das Frauenbild beim "Tatort"?

Derflinger: Wir haben generell das Problem, dass Frauen - wenn auch nur in kleinen Details - unmerklich abgewertet werden, das fällt den AutorInnen vielleicht gar nicht weiter auf. Ich bin mit den Drehbüchern oder den SchauspielerInnen auch insofern beschäftigt, als ich versuche, das hier und da zu verändern. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen schlägt sich natürlich auch in den Drehbüchern nieder, und es ist schon sehr interessant, sie auch auf diesen Aspekt hin durchzugehen.

dieStandard.at: In der Regiearbeit für eine Folge - inwieweit kann man da die Figuren beeinflussen?

Derflinger: Ich wurde schon relativ früh hinzugezogen. Während das Drehbuch geschrieben wurde, konnte ich anfangen zu besetzen und mich auch mit den SchauspielerInnen absprechen, das war schon ein gemeinsamer Prozess. Außerdem mache ich einen weiteren "Tatort" im Herbst, bei dem ich dann hoffentlich auch anknüpfen kann. Das KommisarInnen-Duo Eisner und Fellner finde ich jedenfalls super.

dieStandard.at: Beim Kommissar Eisner daheim ist immer alles tipptopp - obwohl er selbst offensichtlich nicht zum Putzen kommt. Und trotzdem ist es überraschend, wenn - wie in "Falsch verpackt" - in Eisners Wohnung eine Putzfrau bei ihrer Arbeit im Hintergrund zu sehen ist.

Derflinger: Ja, als wir dieses Motiv in der Wohnung besichtigt haben, war da tatsächlich diese Putzfrau anwesend, die die Wohnung geputzt hat. Christine Mayer, die Kamerafrau, und ich sind dann auf diese Idee gekommen. Denn wir haben so etwas auch noch nie gesehen, obwohl sich eben Leute wie der Eisner sicher ihre Wohnung aufräumen lassen. Daher haben wir die Putzfrau einfach gefragt, ob sie mitmachen will.

dieStandard.at: Das ist auch ein Beispiel dafür, dass eine Perspektive, die auch Geschlechterverhältnisse in den Blick nimmt, die Regiearbeit offenbar sehr beeinflusst.

Derflinger: Ja. Ich definiere mich als Filmemacherin natürlich nicht ausschließlich über das Frausein. Aber für einen Teil meiner Arbeit ist das wichtig. Wenn so wenige Frauen an den Produktionsprozessen beteiligt sind, fallen manche Perspektiven einfach unter den Tisch. Da gibt es noch viel Handlungsspielraum, in der Besetzung etwa oder wie die Rollen gespielt werden.

dieStandard.at: In "Falsch verpackt" übernimmt auch Kommissar Eisner einmal den Part des scharfen Kritikers seiner Fähigkeiten oder seiner Attraktivität. Unter Tränen lässt er seinem Selbstzweifel freien Lauf, er sei "alt, blöd und fett". Eisner ist zwar auch sonst eher brummig und nicht gerade der fröhlichste Mensch, aber dass so offen sein Frust hervorbricht - das ist doch auch das erste Mal, oder?

Derflinger: Ja, das stimmt. Das kam aber durch die Initiative von Harald Krassnitzer zustande, aber vielleicht hat ihn meine Anwesenheit dazu ermutigt. Überhaupt habe ich in letzter Zeit sehr viele verzweifelnde Männer in Filmen gesehen - ob auf der Berlinale oder auch sonst im Kino. Ich finde interessant, dass hier auch im internationalen Kontext sehr wohl eine Umbruchsituation zu beobachten ist und Filme Männer mehr und mehr auch mit ihren Schwächen zeigen. Etwa in "Haywire" von Steven Soderbergh oder auch "Shame" von Steve McQueen.

dieStandard.at: Sie haben vorhin Fernsehen auch als Möglichkeit erwähnt, als Regisseurin regelmäßig arbeiten zu können.

Derflinger: Ja, das ist schon ein Aspekt bei der Arbeit fürs Fernsehen. Was kann man schon machen als Regisseurin? Man kann Werbung machen, man kann reich heiraten, oder vielleicht hat man geerbt. Bis zu dem Moment, in dem man große Kinofilme machen kann und Erfolg hat, gibt es also nicht viele Möglichkeiten. Für mich ist Fernsehen daher schon auch ein Standbein, das mir einen längeren Atem verschafft, um auch Kinoprojekte machen zu können. Und es gibt den Vorteil, dass man mit einem großen Publikum in Kontakt treten kann, was ich toll finde.

dieStandard.at: Sie haben sich immer wieder für Quoten ausgesprochen. Wie könnten diese in der Filmbranche aussehen?

Derflinger: Die Quote ist das effektivste Mittel gegen dieses Ungleichgewicht. Aber es braucht auch ein anderes Bewusstsein, in Schweden werden die Leute auch in den Förderinstitutionen auf genderspezifische Fragen aufmerksam gemacht. Einfach nur Frauen in Entscheidungspositionen zu bringen reicht da nicht, das heißt nämlich noch lange nicht, dass die auch ein entsprechendes Bewusstsein dafür haben. 

Quoten sollte es in der Besetzung von Jurys der Auswahlkommissionen geben. Zum Teil gibt es das auch schon, letztlich sitzen in den Runden, die entscheiden, aber dann doch immer wieder nur Männer, weil die Frauen keine Zeit haben oder warum auch immer. Auch JournalistInnen sind wichtig, die den Gender-Aspekt in Filmen als einen unter mehreren mittragen. Und es muss einen gewissen Prozentsatz an Fördergeldern geben, der für Filmemacherinnen ausgeschüttet wird. Aber es gibt nicht die eine Lösung, es muss ein Kombinationspaket sein, das dann auch immer wieder auf seine Sinnhaftigkeit hin geprüft werden muss. (dieStandard.at, 25.3.2012)