"Profil" deckt auf: "Einkommensungleichheit ist ein Mythos". Im Artikel werden amtliche Statistiken und seriöse Studien hinterfragt. Wer sich allerdings näher mit der Logik der Argumente beschäftigt, darf eines nicht übersehen, nämlich das Datum des Artikels: 1. April 2012.

Eine Handvoll männlicher Betriebsräte kann in den Einkommensberichten ihrer Unternehmen keine ungleiche Entlohnung zwischen Frauen und Männern erkennen. Damit sind für die "Profil"-Autoren scheinbar alle offiziellen Statistiken widerlegt. 

"Angemessene Bezahlung"

Wenn Frauen - im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen - nicht befördert werden, dann hätte das jedenfalls nichts mit Einkommensdiskriminierung zu tun, meinen die Autoren des "Profil"-Artikels. Das ist dann zwar eine Benachteiligung beim Aufstieg, aber die schlechtere Bezahlung für die Stelle mit weniger Führungsverantwortung wäre ja schließlich der Tätigkeit angemessen.

Das grundsätzliche Problem dahinter ist: Frauen werden seltener befördert. Damit sind sie indirekt einer Einkommensdiskriminierung ausgesetzt. Aber das ignorieren die Autoren. Es reicht nicht, wenn eine Frau so gut ist wie ein Mann. Das zeigen Studien des Karriereforschers Guido Strunk deutlich. In einer seiner Studien verglich er die Karriereverläufe von weiblichen und männlichen WU-AsolventInnen mit identischen Ausgangsbedingungen wie etwa Studienerfolg, persönliche Eigenschaften und fachliche Ausrichtungen. Das Ergebnis: Die Männer hängten schon innerhalb der ersten zehn Jahre ihre Kolleginnen weit ab. Sie verdienten in diesem Zeitraum um 70.000 Euro mehr als die Frauen. 

Kein Einblick in Einkommensberichte

Wenn einige Betriebsräte bei der Einkommensgleichheit zwischen Frauen und Männern alles im grünen Bereich sehen, dann ist für die beiden "Profil"-Autoren offenkundig alles ok. Aber: ein paar männliche Betriebsratsvorsitzende sind noch lange keine ausgewiesenen ExpertInnen für Lohngleichheit.

Aber nur ihnen wird von den Unternehmen der Einkommensbericht vorgelegt. Sonst niemandem. Weder die Öffentlichkeit, die Mitarbeiterinnen, nicht einmal die Frauenministerin darf in die Einkommensberichte Einblick nehmen. Selbst die Europäische Kommission kritisiert den Umstand, dass in Österreich die Einkommensberichte nur den BetriebsrätInnen vorgelegt werden müssen.* In Schweden beispielsweise werden diese von externen Gleichbehandlungsbeauftragten überprüft. 

Grenzen der Einkommensberichte

Ob die ArbeitnehmerInnen, deren Gehälter in bestimmten Verwendungsgruppen aufscheinen, richtig eingestuft sind und ihre Vordienstzeiten und die Karenz korrekt angerechnet wurden, das kann aus einem Einkommensbericht gar nicht abgelesen werden. Welche konkreten Qualifikationen die ArbeitnehmerInnen in den einzelnen Verwendungsgruppen haben, auch das muss der Einkommensbericht nicht ausweisen. Somit ist klar: BetriebsrätInnen können aufgrund der ihnen vorliegenden Daten gar nicht beurteilen, ob es in ihrem Betrieb Einkommensdiskriminierung gibt. Das Vertrauen der beiden Autoren in die Aussagen einiger Betriebsräte allein erscheint daher doch einigermaßen befremdlich.

Eine Lohndiskriminierung kann derzeit nur von Fall zu Fall von der Gleichbehandlungskommission oder von einem Gericht beurteilt werden. Die Einkommensberichte liefern nur grobe Anhaltspunkte über Durchschnittsgehälter in bestimmten Verwendungsgruppen. So wurde im August 2011 aufgrund eines Gerichtsurteils von der Gewerkschaft geschätzt, dass fast die Hälfte der rund 50.000 KassiererInnen, überwiegend Frauen, in einer zu niedrigen Verwendungsgruppe eingestuft war. Diese Art der Falscheinstufungen in frauendominierten Branchen werden in den Einkommensberichten nicht sichtbar und dennoch handelt es sich dabei ganz eindeutig um eine Gehaltsdiskriminierung von Frauen.

Platte Polemik

Die Autoren des "Profil"-Artikels interpretieren damit insgesamt die Statistiken auf sehr eigenartige Weise. Undurchsichtige Einkommensberichte und die Meinungen von ein paar Betriebsräten sind für sie offensichtlich der Weisheit letzter Schluss, während sie offizielle Statistiken als unseriös abtun. Das ist schade, denn mit platter Polemik statt seriöser Auseinandersetzung wird sich die Lohnschere sicher nicht schließen. (Judith Schwentner, dieStandard.at, 3.4.2012)