Cristernas Botschaft: "Frieden und Respekt vor allem und jedem. Mit mehr von beidem ginge es uns allen auf dieser Welt besser."

Foto: diestandard.at/Ursula Schersch

"Jede/r kann sich wie eine Tafel bekritzeln lassen. Mir ist es wichtig, dass jedes Tattoo seinen eigenen Platz findet. Bereut habe ich kein einziges", erzählt Maria Jose Cristerna.

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Ihre Transformation in eine Symbolfigur, die sie selbst in die Nähe der "Jaguar-Kriegerinnen" rückt, wird so lange weitergehen, wie es ihr körperlich möglich ist.

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Maria Jose Cristerna hat knallrot gefärbte Dreadlocks, die ihr bis zur Kniekehle reichen. Ihre Augen blitzen in grellem Lila, ihre massiven, teils spitz gefeilten Zähne sind wie ihre restliche Erscheinung unübersehbar. Wo sie auch hinkommt: Sie wird bemerkt, gemustert, bewertet, verurteilt, bewundert, idolisiert, als Projektionsfläche benutzt.

Die Mexikanerin aus Guadalajara ist ein Star der Body-Modification-Szene. An und in ihrem Körper vereint sie alle möglichen Bodymods wie Tattoos, Brandings und Implantate. Letztere sitzen in unterschiedlichen Größen als kleine Hörner unter ihrer Schädelhaut. An der Stirn stechen zwei Nägel hervor. Ihr Kinn ziert eine gemusterte Hommage an die Maori, die sich als Resultat von Cuttings herausstellt. Dafür wird die Haut gezielt verletzt, so dass sie vernarbt und das helle Gewebe zurückbleibt. Auch Cristernas übriges tätowiertes Gesicht spricht Bände, von ihren lebendigen Lieben und geliebten Toten.

Maria Jose Cristerna ist derzeit zu Besuch in Wien, wo sie als Stargast der "Wildstyle & Tattoo Messe" auftritt; im Gasometer wird sie sich als Kunstwerk und Tätowiererin präsentieren. dieStandard.at nutzte die Gelegenheit, um an der bunten Fassade Cristernas zu ritzen.

dieStandard.at: Die Medien betiteln Sie als "Vampir-Frau". Ist das ein Stempel, der Ihnen aufgedrückt wurde, oder ein selbst gewähltes Bild?

Cristerna: Der Begriff wurde von einem mexikanischen TV-Sender erfunden. Ich war darüber nicht glücklich. Ich hasste es, um ehrlich zu sein. Eine "Vampirin" ist nur eine Fantasie. Damit macht man es sich leicht, mich einzuordnen, aber das trifft mich nicht. Mittlerweile komme ich damit zurecht. Aber wenn schon, will ich mit einer "Jaguar-Kriegerin" (aztekische Kämpferinnen, Anm.) verglichen werden. Das ist viel näher an meinen Wurzeln.

dieStandard.at: Wofür steht die "Jaguar-Kriegerin" denn?

Cristerna: In Mexiko repräsentiert der Jaguar einen Krieger und Kämpfer. Er geht durchs Feuer und verteidigt sich. Im Gegensatz zum Vampir ist der Jaguar real.

dieStandard.at: Über Ihren Körper erzählen Sie Ihre Geschichte. Warum haben Sie ihn als Medium gewählt und nicht Film, Leinwand oder Buch?

Cristerna: Körperkunst ist Kunst. Ich habe früher auch gemalt, aber für mich ermöglichen Tattoos einen noch persönlicheren künstlerischen Ausdruck. Über meinen Körper sage ich aus, was ich sagen will.

dieStandard.at: Sie müssen aber eine sehr hohe Schmerztoleranzgrenze haben.

Cristerna: Ich habe vier Kinder!

dieStandard.at: Sie sind ausgebildete Juristin. Wie kam es zur Neuorientierung hin zur Body-Modification- und Tattoo-Künstlerin?

Cristerna: Ich habe mich immer schon für Kunst begeistert und mein Interesse in diese Richtung war früh da. Bereits als 13-Jährige habe ich angefangen, FreundInnen, aber auch mich selbst zu piercen. 

dieStandard.at: In Medienberichten über Ihre Person werden Ihre Erfahrungen als Überlebende häuslicher Gewalt als ausschlaggebender Grund für ihre Transformation angegeben. Stimmt das?

Cristerna: Die Transformation hat schon lange vor der Gewalt, die ich erlitten habe, begonnen. Was diese Erfahrungen allerdings bewirkt haben: Ich habe begriffen, dass ich mich selbst finden und alles daransetzen muss, meine eigene Persönlichkeit zu entfalten.

dieStandard.at: Waren sie auch Anlass, Frauen in derselben Situation zu helfen?

Cristerna: Ja, aber nicht in meiner Rolle als sogenannte "Vampir-Frau", sondern als Maria Jose. Für die mexikanische Regierung bin ich in dieser Sache in ganz Mexiko unterwegs, rede mit Frauen, höre mir an, wie es ihnen geht, und berate sie.

dieStandard.at: Gibt es da viel zu tun für Sie?

Cristerna: Ich komme viel herum, und das, was in Mexiko passiert, ereignet sich überall sonst auf der Welt auch. Sie ist voller unterdrückter Frauen. Sie trauen sich nicht, für sich selbst zu kämpfen.

dieStandard.at: Sind Sie feministische Kämpferin?

Cristerna: Nein, keine Hardcore-Feministin. Zwei meiner Kinder sind Jungs, und ich weiß, dass es viele gute Männer gibt. Aber manchmal kommt ihnen der Machismo in den Weg!

dieStandard.at: Die Tattoo-Szene wirkt auch wie eine harte Macho-Szene, in die frau nicht leicht hineinzukommen scheint.

Cristerna: Ja, für mich als Frau war es schwer. Es war ein Männerding. Aber auch aus der Arbeit als Juristin kenne ich das: Die KlientInnen wollten lieber einen Anwalt, und erst, wenn das nicht ging, nahmen sie sich eine Anwältin. Beide Wege waren beschwerlich.

dieStandard.at: Es gehört ziemlich viel Mut dazu, Kunst an sich selber immer vor sich, an sich zu tragen. Man konfrontiert immer und wird immer konfrontiert. Gibt es Menschen, die Ihnen nicht gut begegnen?

Cristerna: Mein Aussehen wird immer Thema sein und die Menschen spalten in die, die es mögen, und die, die es nicht mögen. Viele Menschen sagen mir, dass ich so cool, so großartig aussehe. Ich freue mich besonders, wenn alte Frauen in Mexiko auf mich zukommen, die eigentlich konservativ sind, und sagen, dass sie mich spektakulär finden.

dieStandard.at: Haben Sie jemals einen Eingriff bereut?

Cristerna: Nein.

dieStandard.at: Wird Ihre Transformation jemals abgeschlossen sein?

Cristerna: Manchmal nehme ich mir Auszeiten. Aber solange es möglich ist, mache ich weiter. (Birgit Tombor, dieStandard.at, 5.4.2012)